Nikolai Frederik Severin Grundtvig
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Nikolai Frederik Severin Grundtvig (* 8. September 1783; † 2. September 1872 in Kopenhagen), bekannter als N.F.S. Grundtvig, war ein dänischer Schriftsteller, Dichter, Philosoph, Historiker, Pfarrer, Pädagoge und Politiker, kurz: interdisziplinärer Philologe, Theologe und Patriot.
N.F.S. Grundtvig ist eine der bedeutendsten Personen in der Geschichte Dänemarks. Er war stark beeinflusst von Johann Gottfried von Herder. Grundtvig ist Begründer der Volkshochschule. Seine Anhänger nennen sich Grundtvigianer. Der Grundtvigianismus ist als kirchliche Reformbewegung aus der dänischen Kirchengeschichte nicht wegzudenken. Grundtvigs Dichtung prägte das Selbstverständnis der Dänen.
1861 wurde er in Anerkenntnis seines Lebenswerkes von König Frederik VII. zum Bischof von Seeland ernannt. Er war damit nominell Primas der dänischen Kirche.
Leben und Werk des N.F.S Grundtvig sind in Dänemark bis heute ein sehr breit beachtetes Thema.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Leben
Als Sohn des Pfarrers Johan Grundtvig wird Nikolai Frederik Severin am 8. September 1783 in Udby auf der Insel Seeland in Dänemark geboren. Ab 1800 besucht er die Aarhus Katedralskole. Er lernt dort Latein und bezeichnet diese Zeit später als eine Phase, in der er sich in eine kalte und altkluge Person verwandelt habe.
Er wird 1803 Kandidat der Theologie an der Universität Kopenhagen. Danach kehrt er nach Udby zurück.
1805-1807 ist er Privatlehrer auf dem Landgut Egelykke auf der Insel Langeland. Dort verliebt er sich unglücklich in die Frau des Hauses, Constance Leth. In seiner Biografie wird das als eine Modeerscheinung der damaligen Zeit geschildert, wo sich alle jungen Männer unglücklich verlieben mussten – ganz nach dem Vorbild der Leiden des jungen Werther von Johann Wolfgang von Goethe, was seinerzeit sehr prägenden Einfluss auf die Jugend hatte. Danach ist er bis 1811 Geschichtslehrer am Scousboeske Institut.
Bei der Predigt anlässlich seiner Ordination 1810, welche für die folgende Zeit mustergültig werden sollte, eifert er gegen seine rationalistischen Kollegen, die seiner Meinung nach das Wort Gottes nicht richtig verkündeten. Im selben Jahr durchlebt er eine, sein ganzes weiteres Leben prägende, gesundheitliche und mentale Krise. (siehe im Folgenden den Abschnitt Der Theologe).
Er arbeitet in Udby von 1811-1813 als Vikar und hilft seinem Vater, welcher 1813 verstirbt. Vergeblich bewirbt er sich um seine Nachfolge als Pfarrer und geht so nach Kopenhagen. Dort schlägt er zunächst die Laufbahn des Dichters ein (siehe im Folgenden den Abschnitt Der Nationaldichter).
1816-1819 erscheint seine Monatszeitschrift Danne-Virke, welche sich mit den Themen Vernunft und Offenbarung beschäftigt. Weitere Schwerpunkte ist die Rolle der Phantasie in Kunst und Poesie. Hier veröffentlicht er auch diverse Gedichte und Aufsätze über Kirche, Staat und Schule. Parallel dazu entsteht sein interdisziplinäres Werk über die Weltgeschichte (siehe im Folgenden den Abschnitt Der Historiker).
Am 12. August 1818 heiratet er nach siebenjähriger Verlobungszeit Elisabeth (Lise) Blicher. 1821-1822 wird er Pfarrer in Præstø. Hier wird sein erster Sohn Johan geboren, und hier begräbt er auch seine Mutter. Danach ist er bis 1826 Vikar der Erlöserkirche (Kopenhagen). In dieser Zeit entsteht mit Nyaars-Morgen (Neujahrs-Morgen) Grundtvigs größtes einzelstehendes poetisches Werk.
1826 bezichtigt er in einer theologischen Streitschrift den anerkannten Theologieprofessor Henrik Clausen der Ketzerei, steht vor Gericht und wird unter lebenslange Zensur gestellt, welche 1837 allerdings wieder aufgehoben wird.
1829, 1830 und 1831 unternimmt Grundtvig seine Reisen nach England, wohin er 1843 noch einmal fährt. Er interessiert sich für alte angelsächsische Handschriften, welche damals für die Engländer eher uninteressant waren. Die Englandreisen beeinflussen darüber hinaus sowohl sein weiteres kirchliches Denken, als auch seine pädagogischen Ideen. England erweckte in ihm den fortan unauslöschlichen Drang nach Freiheit. Das Jahr 1832 markiert einen weiteren entscheidenden Wendepunkt in Grundtvigs Biografie: Er wendet sich als Theologe der Aufklärung zu. Mehr dazu im Abschnitt Der Theologe.
1844 eröffnet die erste Volkshochschule der Welt. Siehe hierzu im Folgenden: Der Volkspädagoge. Im selben Jahr durchlebt er eine erneute mentale Krise und muss aufgrund seiner Depressionen eine Schaffenspause einlegen, bevor es ihm dann wieder besser geht.
Nach der Märzrevolution 1848 in Dänemark beginnt der parteilose Grundtvig seine politische Laufbahn. Er gilt als äußerst liberal, setzt sich für Religions- und Schulfreiheit ein, und gehört zu den wenigen Männern seiner Zeit, welche die beginnende Frauenbewegung unterstützen. Siehe im Folgenden den Abschnitt Der Politiker.
Im Januar 1851 stirbt seine Frau Lise. Neun Monate später heiratet er am 25. Oktober die große Liebe seines Lebens, Marie Toft. Tragischerweise verstirbt sie bereits drei Jahre nach der Hochzeit. Grundtvigs Liebeslied Hvad er det, min Marie (Was ist das, meine Marie?) gehört zum dänischen Liedgut.
Am 14. April 1858 heiratet er Asta Reedz. In der Öffentlichkeit wurde dies teilweise als anstößig empfunden, denn Grundtvig war damals schon 75 Jahre alt. Die Ehe wird aber als glücklich beschrieben. 1861 wird Grundtvig vom dänischen König der Titel des Bischofs von Seeland verliehen. Er ist damit das nominelle Kirchenoberhaupt in Dänemark.
1863-1872 etabliert sich der Brauch der Freundestreffen um Grundtvig, nachdem er seinen 80. Geburtstag feiert. Jährlich treffen bei ihm Freunde und Bewunderer ein. Sein Biograf Alchin spricht von einem einsetzenden Personenkult in seinen letzten Lebensjahren. 1867 erlebt Grundtvig eine erneute mentale Krise. Diese manische Periode spitzt sich am Palmsonntag zu, wo er eine stark prophetisch gefärbte Predigt hält. Er spricht vom nahenden Erscheinen Gottes auf Erden. Viele glaubten, das wäre nun sein Ende, aber er erholte sich und blieb rüstig.
Am 2. September 1872 stirbt N.F.S. Grundtvig im Alter von 89 Jahren. Tausende Freunde begleiten seinen Sarg auf dem letzten der legendären Freundestreffen, anstelle seinen 90. Geburtstag zu feiern, welcher 6 Tage nach seinem Tod gewesen wäre.
[Bearbeiten] Der Theologe
N.F.S Grundtvig gilt als der markanteste Theologe in Dänemark. Berühmt sind seine Psalmen (dänisch.: salme), von denen er ungefähr 1.500 verfasste. Weltanschaulich wandelte er sich vom Fundamentalisten zum Reformer. Er vertrat dann die Auffassung: Menneske først – kristen så = Erst Mensch – dann Christ. Das dänische Internetprojekt Grundtvig på Nettet (deutsch: Grundtvig im Netz) hat sich zur Aufgabe gemacht, seine 600 überlieferten Predigten, die in Manuskripten erhalten sind, zu entziffern und dann (meist erstmals) zu veröffentlichen.
[Bearbeiten] Theologische Laufbahn
Grundtvig, der Pastorensohn, wird als Jugendlicher 1800 auf die Kathedralenschule in Århus geschickt, und studiert ab 1803 Theologie in Kopenhagen. Nach seiner Probepredigt mit dem Titel Warum ist das Wort des Herrn aus seinem Hause verschwunden? gegen viele seiner Predigerkollegen 1810 ereilt ihn ein mentaler Schock:
Ihm erscheint nach eigenen Angaben im Gasthof Vindbyholt kro der Teufel. Grundtvig soll danach so laut gebetet haben, dass er alle anderen Gäste aufweckte. Danach verfasst er seinen ersten Psalm Dejlig er den himmel blå – Schön ist des Himmels Blau. Er entschließt sich, das Luthertum gegen den in dieser Zeit dominierenden Rationalismus zu erneuern.
1811 bis 1813 ist Grundtvig Kaplan in seinem Heimatort und hilft seinem Vater in der Kirche. Als dieser stirbt, geht sein Wunsch, dessen Nachfolge antreten zu dürfen, nicht in Erfüllung. Vom Februar 1821 bis zum November 1822 ist Grundtvig Priester in dem Ort Præstø auf Seeland. Es ist überliefert, dass dort die „Chemie stimmte“.
1822 bis 1826 ist er Priester an der Erlöserkirche (Kopenhagen) [1]. Dies wird als eine für Grundtvig schwierige Zeit geschildert. Gleichwohl entwickelte er seinen kirchlichen Standpunkt weiter. Er legte großen Wert auf das Glaubensbekenntnis, die Sakramente und die altkirchliche Tradition, also das Dogma. Die Erlöserkirche trägt heute neben dem Beinamen Königskirche auch den Beinamen Grundtvigskirche.
1826: In seinem Pamphlet Kirkens Genmåle (Erwiderung der Kirche) antwortet er dem rationalistischen Theologieprofessor Henrik Clausen auf dessen umfangreiches Buch Verfassung, Lehre und Ritus des Katholizismus und Protestantismus (1825). Grundtvig wird von Clausen wegen Beleidigung angezeigt und verzichtet 1826 auf sein Pfarramt. Trotzdem wird er am 30. Oktober zu einer Geldstrafe verurteilt und unter lebenslange Zensur gestellt. Diese wird 1837 allerdings wieder aufgehoben. Voller Glück hierüber verfasste er Moders navn er en himmelsk lyd - Mutters Name ist ein himmlischer Laut.
Bereits 1832 erhält er von der Regierung die Erlaubnis, in der Kopenhagener Christianskirche zu predigen. Seine Anhängerschaft wächst unermüdlich weiter. Dieses Jahr markiert seine Hinwendung zur Aufklärung. Sein Grundproblem war nach Auffassung seines Biografen Kaj Thaning (1963) die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Christenleben und dem Menschenleben. Dies manifestiert sich fortan in Grundtvigs Grundsatz: Menneske først og kristen så – Zuerst Mensch und dann Christ. Er interessiert sich immer mehr für den Humanismus. Thanning beschreibt 1832 als den wichtigsten Wendepunkt in Grundtvigs Leben. Anders als andere Biographen, welche 1810 (mentale Krise) und 1825 (Auseinandersetzung mit Professor Clausen) nennen.
1837 erscheint sein Sang-Værk til den danske Kirke, sein Liederbuch für die dänische Kirche. Es umfasst 400 der insgesamt 1.500 Grundtvig-Psalmen. Sang-Værk (wörtlich: Liedwerk) bedeutete bis dahin in der dänischen Sprache eigentlich Glockenspiel, wie man es in Kirchtürmen findet.
Am 9. Juni 1839 bekommt er das Pfarramt am Kopenhagener Vartovhospital. Er gilt nach dem Eklat von 1826 wieder als rehabilitiert. Zu seiner großen Gemeinde dort zählt unter anderem Königin Caroline Amalie. Seine Psalmensamlung Festsalmer wird das eigene Gesangbuch der Gemeinde. Von hier nimmt der Grundtvigianismus seinen Ausgang und verändert das gesamte geistliche Leben Dänemarks. Heute befindet sich hier die Grundtvig Bibliothek.
1860 erscheint das lange Gedicht Christenhedens Syvstjerne, das Siebengestirn der Christenheit in Anlehnung an die sieben Gemeinden in der Offenbarung des Johannes. In dem Gedicht kommen sechs große Kirchen vor: die jüdische (die Christen aus dem Judentum), die griechische, die römische, die englische, die deutsche und die nordische. Welches die siebte sein soll, blieb sein Geheimnis.
1861, 50 Jahre nach seiner Ordination, wird N.F.S. Grundtvig vom König zum Bischof ernannt. Als Bischof von Seeland ist er nominell Primas der dänischen Kirche. Bis zu seinem Tode 1872 predigt er jeden Sonntag in Vartov [2].
[Bearbeiten] Der Nationaldichter
Nach dem Tod des Vaters 1813 und seinem Gang nach Kopenhagen, lässt sich N.F.S. Grundtvig dort in der Straße Løngangsstræde nieder. Dieser Ort bezeichnet seine schriftstellerische Phase bis 1821. Nachdem man ihm seinen Wunsch, eine eigene Pfarrei zu bekommen, ausgeschlagen hat, wollte er stattdessen Dichter werden – und das mit bis heute andauerndem Erfolg bei seinen Lesern.
[Bearbeiten] Bruch mit der Romantik
Er spezialisiert sich in (Älterer) Skandinavistik und Anglistik. Gleichzeitig bricht er mit der damals vorherrschenden Stilrichtung der Romantik. Er selber nennt diese Zeit rückblickend seine Bücherwurmzeit.
In seiner Zeitschrift Danne-Virke 1816-1819 erscheinen zahlreiche Gedichte, neben philosophischen und theologischen Essays.
1818-1822 übersetzt und veröffentlicht Grundtvig Saxo og Snorre, 1820 Beowulf.
1824 erscheint sein größtes poetisches Einzelwerk, Nyaars-Morgen (Neujahrs-Morgen). Hierbei handelt es sich um ein großes autobiografisches, prophetisches Gedicht, welches in 10 Liedern seine persönliche Entwicklung und seine große Hoffnung in die Zukunft Skandinaviens ausdrückt. Die Bildersprache des Werkes lehnt sich an die Jahres- und Tageszeiten an, dem Gegensatz zwischen Licht und Dunkelheit, Wärme und Kälte, Leben und Tod. Nyaars Morgen erfreut sich bis heute ungebrochener Popularität in Dänemark.
Sein Interesse für die alte angelsächsische Sprache und Literatur führt ihn 1829, 1830, 1831 und 1843 nach England. König Frederik VI. setzt sich persönlich dafür ein, dass er die nötigen finanziellen Mittel hierfür erhält. England erweckt Grundtvigs großes Streben nach Freiheit, welches für seine weitere Entwicklung prägend sein wird.
Sein unabhängiger Geist manifestiert sich 1832 in seiner Mythologie des Nordens (bereits 1808 erschien ein ähnlich benanntes Werk von ihm, damals noch national-romantisch geprägt).
In Dänemark berühmt sind folgende Zeilen aus der Feder N.F.S. Grundtvig:
- Til et folk de alle høre,
som sig regne selv dertil,
har for modersmålet øre,
har for fædrelandet ild.
Aus dem Gedicht »Folkeligheden«, 1848. Zu deutsch etwa:
- Zu einem Volk all die gehören,
die sich selber dazu zählen,
auf ihre Muttersprache hören,
für sich das Vaterland erwählen
Besonders die ersten beiden Zeilen werden gerne zitiert und gehören mit zum Selbstverständnis des dänischen Volkes.
Grundtvigs Bemühungen um die nordische Philologie führten auch zu einer engen Freundschaft mit dem färöischen Linguisten V. U. Hammershaimb, der die neufäröische Schriftsprache entwickelte. Grundtvigs Einfluss wird hier als prägend angesehen. Er stand bis zu seinem Tod 1883 mit Hammershaimb in ständigem Briefkontakt. Grundtvigs Sohn Svend Grundtvig führte das Werk seines Vaters fort und wurde bedeutender Herausgeber der färöischen Balladen.
[Bearbeiten] Der Historiker
1812, 1814 und 1817 erscheint von N.F.S. Grundtvig das Werk Udsigt over Verdens-Krøniken, seine Weltgeschichte, wo er seine drei Schwerpunktgebiete Geschichtswissenschaft, Dichtkunst und Theologie in einem umfangreichen Werk zusammenfasst und dort die Zusammenhänge der drei Disziplinen untereinander beschreibt.
1832 erscheint das monumentale Werk Mythologie des Nordens, der volle dänische Titel lautet: Nordens Mythologi eller Sindbilled-Sprog - Historisk-Poetisk udviklet og oplyst af N. F. S. Grundtvig. Er schafft eine Kombination von Poesie und Geschichtswissenschaft, welche nach Auffassung seiner Leser wesentlich spannender zu lesen ist, als alle vergleichbaren historischen Werke dieser Zeit.
1838 macht Grundtvig durch seine historischen Vorträge von sich reden. Hierbei handelte es sich um eine Vorlesungsreihe über die Geschichte Europas. Hier begründete er seine Gewohnheit, einen Vortrag mit dem Singen eines seiner Psalmen zu beginnen: Seine Zuhörer stimmten selber spontan den Psalm Kommer hid, I piger smaa – Kommet her, ihr kleinen Mädchen an. Diese Tradition wird bis heute an den dänischen Volkshochschulen gepflegt.
[Bearbeiten] Der Volkspädagoge
International bekannt sind die Schulen, welche Grundtvig begründet hat. Das sind nichtstaatliche Volkshochschulen in Dänemark, die so genannten folkehøjskoler. 1844 eröffnete die erste Volkshochschule der Welt: Rødding højskole in Sønderjylland (Südjütland). 1851 folgt die Ryslinge Højskole auf der Insel Fünen, 1856 die Marielyst højskole in Hillerød (heute Grundtvigs Højskole [3]) und 1865 die Askov Højskole [4] in Vejen.
Die Grundidee von Grundtvig war, eine Alternative zum staatlichen Erziehungssystem zu schaffen. 1849 und 1855 erkämpfte er in Dänemark die Schulfreiheit. Seitdem gibt es dort keine Schulpflicht mehr.
Sein pädagogisches Konzept war das lebendige Wort zwischen Lehrer und Schüler. In Grundtvig-Schulen gibt es keine Noten. Nicht die Lehrer dozieren monologartig einen Stoff, sondern sie lernen selber durch die Fragen der Schüler. All das unter dem Gesichtspunkt der Aufklärung. Grundtvig wollte die Schule des Lebens, was auch bedeutet: lebenslanges Lernen für alle Beteiligten.
Dieses System ist verwandt mit dem später entwickelten Konzept der Waldorfpädagogik von Rudolf Steiner, und den Projekten von Célesitin Freinet, Paulo Freire und Ivan Illich. Es wird auch als experimentelle Erziehung verstanden.
Die Theorie der Grundtvig-Schule ist in keinem kompakten Kanon (in dem Artikel zur Begriffserklärung des Kanon die Bedeutungen 3. und 4.) niedergeschrieben. Vielmehr wird sie in erster Linie mündlich und vor allem durch die Praxis überliefert.
N.F.S. Grundtvig hat durch sein pädagogisches Werk auch das staatliche Schulsystem Dänemarks nachhaltig beeinflusst. Konkurrenz und Schulnoten spielen dort eine untergeordnete Rolle. Das dänische Schulsystem gilt als besonders liberal und vorbildlich, so dass zum Beispiel die vom dänischen Staat betriebenen Schulen in Südschleswig inzwischen mehr von Kindern deutschsprachiger Eltern, als von Kindern der dänischen Minderheit besucht werden.
Heute ist Grundtvig der Namensgeber eines gleichnamigen EU-Programms, das sich unter dem Sokrates-Programm die Idee des Life-Long-Learnings auf die Fahnen geschrieben hat. Die Grundtvig-Programme bemühen sich um die Entstehung europäischer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Erwachsenenbildung.
[Bearbeiten] Der Politiker
Im 19. Jahrhundert war N.F.S. Grundtvig ein wichtiger dänischer Politiker. Zunächst ein überzeugter Monarchist und gegen den Liberalismus der deutschfreundlichen dänischen Bourgeoisie eingestellt, nimmt er dennoch an der bürgerlichen Revolution von 1848 teil. Er wird in der Folge Mitglied der dänischen Nationalversammlung, welche die erste Verfassung des Königreichs verabschiedet und so die konstitutionelle Monarchie einführt. Diese Verfassung gilt zu der Zeit als die demokratischste in Europa.
Er setzt sich als Parteiloser ebenso für Religionsfreiheit und Schulfreiheit ein, wie auch für die aufkeimende Frauenbewegung. Sein Freiheitsdrang manifestiert sich in einer äußerst liberalen Gesinnung.
Von 1850-1858 ist er Abgeordneter im dänischen Reichstag. 1866, nach dem Debakel der Düppeler Schanzen, hat er als 83jähriger ein spätes Comeback und profiliert sich als Führer der linken Opposition im Folketing.
[Bearbeiten] Der Philosoph
N.F.S Grundtvig war stark vom Gedanken der Volksaufklärung beseelt. Er vertrat eine emanzipatorische Sicht, welche sich nach dem nationalen Trauma von 1864 (Deutsch-Dänischer Krieg) in einer nationalen Position wiederfand, die man mit den Worten umschreiben kann: Was außerhalb verloren wurde, muss innerhalb wiedererlangt werden. Er verstand die nationale Krise Dänemarks als Chance zur nationalen Identitätsfindung.
[Bearbeiten] Herausgeberschaft
- Johannes Knudsen: Selected Writings. Fortress, Philadelphia 1976. ISBN 0800612388
- What Constitutes Authentic Christianity? Fortress, Philadelphia 1985, ISBN 0800618440
- Max Lawson: Selected educational writings. The International People's College, Helsingör 1991. ISBN 87-88735-08-7
- Niels Lyhne Jensen: A Grundtvig Anthology. Selections from the Writings. James Clarke & Co., Cambridge 2000, ISBN 0227678850
[Bearbeiten] Literatur
- Kaj Thaning: N.F.S. Grundtvig. Det Danske Selskab, Kopenhagen 1972 (englisch, auch auf deutsch und französisch erschienen). ISBN 8787790440
- Poul Dam: Nikolaj Frederik Severin Grundtvig (1783-1872) - The preacher and revivalist. Königlich Dänisches Außenministerium, Kopenhagen 1983 (auch auf deutsch, französisch und spanisch). ISBN 87-87646-08-0
- Christian Thodberg, Anders Pontoppidan Thyssen (Hrsg.): N.F.S. Grundtvig - Tradition and Renewal. Grundtvig's Vision of Man an People, Education and Church, in Relation to World Issues Today. Det Danske Selskab, Kopenhagen 1983. ISBN 87-7429-045-2
- Paul Röhrig (Hrsg.): Um des Menschen willen. Grundtvigs geistiges Erbe als Herausforderung für Erwachsenenbildung, Schule, Kirche und soziales Leben. Deutscher Studien-Verlag, Weinheim 1991. ISBN 3892712522
- Arthur Macdonald Allchin (Hrsg.): Heritage and Prophecy: Grundtvig and the English-speaking World. Canterbury Press, Norwich 1994, ISBN 185311085X
- Lilian Zøllner: Grundtvig's Educational Ideas in Japan, The Philippines and Israel, Kroghs, Vejle 1994
- Arthur Macdonald Allchin: N.F.S. Grundtvig. An Introduction to his Life and Work. Århus University Press, Århus 1997, ISBN 8772886560
- Lilian Zøllner: Grundtvigs skoletanker i USA, Argentinia og Chile. Kroghs, Vejle 1997 (bisher nur auf dänisch). ISBN 87-7469-291-7
- Inga Meincke: Vox viva - Die "wahre Aufklärung" des Dänen Nikolaj Frederik Severin Grundtvig. Heidelberg 2000, ISBN 3-8253-1045-0
- Jindra Kulich: Grundtvig's Educational Ideas in Central and Eastern Europe and the Baltic States in the 20th Century. Vartov, Kopenhagen 2002, ISBN 87-87389-02-9
- Henning Eichberg: The People of Democracy. Understanding Self-Determination on the Basis of Body and Movement. Forlaget Klim, Århus 2004, ISBN 87-7955-292-7 (Diese Neuerscheinung baut u.a. auf den vorgenannten Werken auf, wie dem umfangreichen Literaturnachweis dort zu entnehmen ist).
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Nikolai Frederik Severin Grundtvig im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Eintrag (mit Literaturangaben) im Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikon (BBKL)
- nfs-grundvik.dk: Biografie (dänisch)
- Die beliebtesten Psalmen von Grundtvig (dänisch)
- Grundtvig på Nettet: Berühmte Predigten Grundtvigs (dänisch)
- EU-Aktion GRUNDTVIG
- NFS-Grundtvig.dk - das dänische Grundtvig-Portal (dänisch)
- Grundtvigakademiet.dk - Grundtvig-Akademie (dänisch)
- Vartov.dk - Kirchliche Grundtvig-Gesellschaft (dänisch)
- ADL.dk - sehr umfassende Bibliographie (dänisch)
Personendaten | |
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NAME | Grundtvig, Nikolai Frederik Severin |
ALTERNATIVNAMEN | N.F.S. Grundtvig |
KURZBESCHREIBUNG | dänischer interdisziplinärer Philologe, Theologe und Patriot |
GEBURTSDATUM | 8. September 1783 |
STERBEDATUM | 2. September 1872 |
STERBEORT | Kopenhagen |
Kategorien: Philosoph (19. Jh.) | Philologe | Evangelischer Theologe (19. Jh.) | Evangelischer Bischof (19. Jh.) | Autor | Literatur (19. Jh.) | Literatur (Dänisch) | Lyrik | Kirchenlieddichter | Reformpädagogik | Däne | Politik (Dänemark) | Mann | Historiker | Religion (Dänemark) | Geboren 1783 | Gestorben 1872