Oratorium
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Oratorium (kirchenlat. oratorium = Bethaus, von lat. orare = „beten“) nennt man in der musikalischen Formenlehre die dramatische, mehrteilige Vertonung einer zumeist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen (z. B. Jesus, ein oder mehrere Engel und den Erzähler), Chor und Orchester. Es ist eine erzählend-dramatische (also mit Handlungselementen durchsetzte) Komposition.
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[Bearbeiten] Abgrenzung zur Oper
Das Oratorium wird im Gegensatz zur Oper ausschließlich konzertant (nicht szenisch) aufgeführt, die Handlung findet also nur in den Texten und in der Musik statt. Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen Oper und Oratorium besteht darin, dass die Oper zum großen Teil weltliche Stoffe zum Inhalt hat, während sich das Oratorium mehr auf die geistlichen Geschichten konzentriert. Oratorien werden traditionell in kirchlicher Umgebung aufgeführt. Die Oper bewegt sich im Kreis ihres eigenen Opernhauses und greift nur selten auf die Räumlichkeiten einer Kirche zurück. Oratorium und Oper haben sich immer gegenseitig beeinflusst, zum Beispiel in der Einführung der Da-capo-Arie aus der Oper, die von Alessandro Scarlatti vorgenommen wurde.
[Bearbeiten] Form
Den Handlungsleitfaden liefert im Oratorium der Erzähler (Historicus, Testo oder Evangelist). Er stellt die Rahmenhandlung in Rezitativen dem Publikum vor (wie in unterem Beispiel, das aus Johann Sebastian Bachs Johannespassion entnommen wurde). Neu dazu gedichtete Texte werden von Chor und Solisten dargeboten. Die Stoffe für ein Oratorium stammen meistens aus dem Alten oder Neuen Testament, auch Heiligenlegenden können Oratorienthemen sein. Selbst Figuren der Mythologie (z.B. bei Hans Werner Henze) oder der Weltgeschichte (z.B. Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer) sind im Oratorium darstellbar.
Die folgende Arie findet sich in Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium Elias.
[Bearbeiten] Geschichte
Rom, ein Erdbeben, keiner kam ums Leben, aus Dankbarkeit darüber verbietet der Papst die Oper, die ihm seit längerem schon ein Dorn im Auge war. So entwickeln Komponisten Oratorien, mit denen sie der Kirche schmeicheln. Das Oratorium nannte man auch den Betsaal in römischen Klöstern. Das Oratorium handelte meistens von etwas Geistlichem oder etwas Biblischem.
[Bearbeiten] Barock
Das musikalische Oratorium entwickelte sich aus den Gebetstreffen des heiligen Philipp Neri, unter Mitwirkung des Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina heraus. Das früheste Oratorium dürfte Rappresentazione di Anima e di Corpo (Darstellung der Seele und des Körpers) von Emilio de' Cavalieri sein, das im Jahre 1600 in Rom uraufgeführt wurde.
Zu den bekanntesten noch heute häufig aufgeführten Oratorien zählen Bachs Weihnachtsoratorium (streng genommen handelt es sich hierbei um eine Folge von sechs selbständigen Kantaten), ebenso seine Matthäuspassion und seine Johannespassion; der Messiah von Händel, obwohl er noch weitere Oratorien schrieb (z. B. Belshazzar, Judas Maccabaeus, Solomon, etc.).
[Bearbeiten] Klassik
Zum Zeitalter der Klassik und der entsprechenden Tonsprache leitet Die Schöpfung von Joseph Haydn hinüber, die ein großartiger Erfolg für den Komponisten wurde. Felix Mendelssohn Bartholdys Elias und Paulus markieren dann schon den Übergang zur Romantik.
Das bekannteste „weltliche“ Oratorium dürfte Die Jahreszeiten von Joseph Haydn sein.
Am Übergang zur Romantik entstand 1810 das ernste Oratorium "Die vier letzten Dinge" von Joseph Leopold Eybler.
[Bearbeiten] Romantik
Die Romantik blieb dem Genre mit Beethovens Christus am Ölberge von 1800, Mendelssohns oben erwähnten Oratorien Paulus und Elias sowie den Werken Louis Spohrs treu. Händels Chöre hatten dabei großen Einfluss auf die Gestaltung der Chorpartien. Im weiteren Sinne kann man auch Robert Schumanns Das Paradies und die Peri (1843), und Legende von der Heiligen Elisabeth (1862) von Franz Liszt (der auch das Oratorium Christus schrieb) dazu zählen. (Liszts Werk weist übrigens starke Parallelen zu Richard Wagners Oper Tannhäuser auf.) Als Gipfel der Oratorienkomposition der deutschen Romantik kann die Tetralogie Christus von Felix Draeseke gelten. Wie das gleichnamige Liszt-Werk zeigt sie Parallelen zu Wagner, diesmal allerdings zum Ring des Nibelungen.
In Frankreich blieb das Oratorium unter der Bezeichnung Drame sacré oder Mystère im 19. Jahrhundert ebenfalls beliebt. Hector Berlioz (L'enfance du Christ), Camille Saint-Saens und César Franck lieferten hier die geistlichen Dramen an das französische Publikum ab. In England, wo die Gattung sich stets großer Beliebtheit erfreute, traten unter anderen Hubert Parry und Edward Elgar mit wichtigen Werken hervor.
[Bearbeiten] 20. Jahrhundert
Das 20. Jahrhundert kennt eine Vielzahl von Oratorienformen. Eine generelle Richtlinie ist nicht festzustellen, statt dessen zeichnen sich viele verschiedene Lösungen ab. Arthur Honegger schloss 1921 sein Oratorium Le roi David ab, Igor Strawinsky entwickelte mit Oedipus Rex (1927) eine Zwischenform von Oper und Oratorium - das Werk kann, muss aber nicht, zwingend szenisch aufgeführt werden. Arnold Schönberg steuerte mit Die Jakobsleiter (1917-22) seinen Beitrag zur Gattung bei. In Österreich erbrachte Franz Schmidt ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Gattung, der auch im 21. Jahrhundert wieder neu zur Aufführung gebracht wurde: Das Buch mit sieben Siegeln für Soli, Chor und Orchester, Text nach der Offenbarung des heiligen Johannes (komp.: 1935-37; Urauff: Wien, 1938). Sodann gehört auch Michael Tippetts A Child of Our Time (1939-41) zu den bekannten Oratorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte ein Neuanfang in dieser Gattung mit Johannes Driesslers reichem oratorischem Schaffen. Zu nennen sind hier die größeren Werke: Dein Reich komme, op. 11 (1947/1948, Uraufführung 1950), De profundis, Op. 22 (1952), Der Lebendige, Op. 40. (1954-1956), Oratorien, die zum Teil opulent besetzt sind (Vokalsolisten, Kammerchor und großer Chor, Holzbläser, Blechbläser, Klavier, Schlagwerk) und Wege einer neuen Klangsprache in dieser Gattung suchen.
In der ihm eigenen Tonsprache schrieb Hans Werner Henze das Oratorium Das Floß der Medusa (Fertigstellung 1968), das die Gattung aus dem Raum der Kirche hinausführte.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts schrieb Oskar Gottlieb Blarr zwei Oratorien über Jesus: Jesus - Geburt. Weihnachtsoratorium (1988/1991) und das Oster-Oratorium (1996). International viel beachtet wurde Tom Johnsons Bonhoeffer-Oratorium (1998), das zahlreiche europäische und amerikanische Aufführungen erlebte.
Im Bereich der geistlichen Popularmusik machte sich der Liedermacher und Kantor Siegfried Fietz mit der Schaffung von Oratorien (und ihrer Einspielung) einen Namen. Zu erwähnen sind sein Paulusoratorium, Petrusoratorium, Johannesoratorium und sein Lutheroratorium.
[Bearbeiten] 21. Jahrhundert
Für die Weiterentwicklung der Gattung Oratorium im 21. Jahrhundert ist Hans Georg Bertram zu nennen. Sein Hioboratorium (2001) und sein Schöpfungsoratorium (2005) verbinden die alte Gattung mit der Moderne und ihren neuen Mitteln. Ebenfalls an der Jahrhundertschwelle findet sich John Coolidge Adams mit seinem El Niño - A Nativity Oratorio (1999-2000).
Im Bereich der geistlichen Popularmusik machte sich der katholische Kantor und Komponist Thomas Gabriel mit der Schaffung von Oratorien (und ihrer Einspielung) einen Namen. Zu erwähnen sind seine Oratorien Emmaus (2002) und Bonifazius (2004).
Auch Paul McCartney hat zwei Oratorien geschrieben. Liverpool-Oratorium (1991) und Ecce Cor Meum (2006).
[Bearbeiten] Weitere Formen
[Bearbeiten] Abendmusiken
Auch die ab Mitte des 17. Jahrhunderts von den Organisten der Lübecker Marienkirche (Tunder, Buxtehude) für die gleichnamige Konzertveranstaltungsreihe komponierten Abendmusiken werden als Untergattung den Oratorien zugerechnet.
Ab etwa 1960 lassen sich neue Formen des Oratoriums beobachten:
[Bearbeiten] Kinderoratorium
Hinter dem Begriff „Kinderoratorium“ verbirgt sich ein oratorisches Werk, das entweder von Kinderchören aufgeführt werden kann oder einen kindergerechten Inhalt bietet. Auch hier greift die oben bereits angedeutete Unterscheidung zwischen „Singspiel für Kinder“ (szenisch) und „Kinderoratorium“ (konzertant). Davon auch zu unterscheiden ist der Begriff „Kindermusical“ (siehe entsprechende Erläuterungen zu diesem Begriff unter Musical).
Beispiele:
- Paul Burkhard: Kinder-Oratorium Zäller Wienacht, 1960; große Verbreitung in der Schweiz
- Holger Hantke: Die Weihnachtsgeschichte für Kinder. Oratorium für Soli, Kinderchor, Blockflötenquartett, Querflöte, Streichquartett und obligate Orgel, 1999
- Chris Seidler: Kinderoratorium 7 Himmel (interreligiöses Werk)
[Bearbeiten] Pop-Oratorium
Ein Oratorium mit dieser Gattungsbezeichnung zeigt an, dass es explizit zum Musikstil der Popularmusik gerechnet werden möchte.
Beispiele:
- Johannes Nitsch, Helmut Jost: Ewigkeit fällt in die Zeit – Ein Pop-Oratorium zur Christusgeschichte, 1989
- Arndt Büssing: Zurück in Deine Hände – Ein Pop-Oratorium auf dem Weg von Emmaus und zurück, 2003
[Bearbeiten] Rock-Oratorium
Dieser Oratorienstil arbeitet mit der Tonsprache und den Mitteln der Rockmusik.
Beispiele:
- Richard Geppert: Moses, 1985
- Thomas Gabriel: Daniel
[Bearbeiten] Literatur
- Günther Massenkeil: Oratorium und Passion. 2 Bände. Laaber, Laaber 1998/99, ISBN 3-89007-133-3, ISBN 3-89007-481-2