Studienzentrum Weikersheim
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Das 1979 auf Schloss Weikersheim gegründete Studienzentrum Weikersheim gilt als Denkfabrik für einen betont christlich orientierten christdemokratischen Konservatismus. Mitgründer und Ehrenpräsident ist der CDU-Politiker Hans Filbinger. Das Studienzentrum veranstaltet regelmäßige Kongresse, Seminare und Tagungen, vor allem zur Europa- und Deutschlandpolitik. Es wurde mit Spenden aus der Privatindustrie aufgebaut und wird mit staatlichen Fördermitteln, u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung, bezuschusst.[1] Kritikern gilt das Institut als ein Netzwerk der sog. Neuen Rechten.
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Vertreter
Präsident des Studienzentrums ist gegenwärtig Bernhard Friedmann, der von 1976 bis 1990 für die CDU Mitglied des Deutschen Bundestages und Präsident des Europäischen Rechnungshofs war. Vizepräsidenten sind Jörg Schönbohm, der Innenminister des Landes Brandenburg und Norbert Nothelfer (ehemaliger Regierungspräsident).
Zum Präsidium gehören außerdem Philipp Jenninger, Manfred Rommel, ehemaliger Oberbürgermeister von Stuttgart, Klaus Hornung, früherer Präsident des Studienzentrums, Renate Heinisch (Ex-MdEP), Dieter Farwick (Brigadegeneral a.D.), Ulrich Kolberg, Arnold Vaatz, ehemaliger Umweltminister des Freistaats Sachsen, Andreas Graudin, Stefan Winckler (Publizist) sowie Lienhard Schmidt.
Geschäftsführer ist seit Ende 2002 der Dipl.-Betriebswirt und Philosoph Ronald F.M. Schrumpf.
Ausrichtung
Das Studienzentrum beschreibt heute seine Zielsetzung wie folgt: Unsere Arbeit gilt der Erhaltung des Kulturerbes Deutschlands und Europas sowie einer freiheitlichen Demokratie in Anlehnung an die Ideen herausragender Gründerväter wie Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard. Dabei betrachten wir die Anerkennung von Menschenwürde und Menschenrechten als ersten Schritt auf dem Weg zu einem Zusammenleben aller Bürger unseres Vaterlandes und Kontinents in Frieden und Gerechtigkeit. Diese Grundrechte aller Menschen müssen jedoch vorstaatlichen bzw. naturrechtlichen Charakter haben, um zu verhindern, dass politische Institutionen die Deutungshoheit für sich reklamieren und so, je nach ideologischer Ausrichtung, Menschenwürde und Menschenrechte in ihrem Sinne auslegen. Demnach vertreten die Weikersheimer einen Konservatismus, der sich auf Werte und Traditionen des „christlichen Abendlands“ beruft, diese als Identität Europas versteht und bewahren will.
Albrecht Jebens, ehemaliger Geschäftsführer des Instituts und persönlicher Referent Hans Filbingers, erklärte 1996, das Studienzentrum sei mit dem expliziten Auftrag gegründet worden, die in den 1970er Jahren nach Eindruck konservativer Kreise entstandene kulturelle Hegemonie des links-liberalen Lagers zu brechen und eine „geistig-moralische Wende“ in Deutschland einzuleiten.[2]
Auch laut Präsidiumsmitglied Stephan Winckler orientierte sich das Studienzentrum als „wertkonservative Denkfabrik" seit seiner Gründung an der ursprünglich von Helmut Kohl angekündigten, aber seiner Ansicht nach nie verwirklichten „geistig-moralischen Wende". Als Hauptvertreter der Entwicklung des Instituts nennt er die Professoren Günter Rohrmoser (Sozialphilosoph), Lothar Bossle (Soziologe, † 2000) und Klaus Hornung.
Die Europäische Verfassung in ihrer jetzigen Form lehnt das Studienzentrum ab. Es fordert ein „Europa der Vaterländer“ und einen „Gottesbezug“, mit dem es die Menschenrechte willkürlicher Auslegung entziehen will. Auch Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union werden abgelehnt.
Veranstaltungen
Das Studienzentrum veranstaltet regelmäßige Weikersheimer Wirtschaftsgespräche, Jahreskongresse und die sogenannten „Kamingespräche“ zu bestimmten Themen, z.B. „Nationale Identität“ (2002), „Völkerrecht und Irakkrieg“ (2003), "Der Weg zur Integration Europas" (2004), "Welches Europa wollen wir? - Nationale Interessen im Europa der Vaterländer" (2005), Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik. Dazu werden vielfach prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Religion als Redner verpflichtet.[3]
Mitveranstalter von Weikersheimer Tagungen waren früher u.a. die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (1993), der Bund Junges Ostpreußen (2002/2003), die Paneuropa-Union, das Institut für Staatspolitik, der Verein zur Förderung der Psychologischen Menschenkenntnis und die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft (siehe Weblinks). In den letzten Jahren kooperiert das Studienzentrum - hauptsächlich bei den „Weikersheimer Wirtschaftsgesprächen“ und den „Kamingesprächen“ - u.a. mit Unternehmerverbänden darunter der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Unternehmer und dem Bund Katholischer Unternehmer in Rottenburg- Stuttgart, ASU, Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer, BDS - Bund der Selbständigen Baden-Württemberg und Wirtschaftsrat der CDU e.V. Landesverband Baden-Württemberg.
Verhältnis zum Rechtsextremismus
Das Studienzentrum geriet erstmals 1989 in den Ruf, eine "Rechte Kaderschmiede" zu sein, als das Präsidiumsmitglied Rolf Schlierer als Pressesprecher für die Republikanern fungierte, deren Parteivorsitzender er heute ist. Schlierer wurde vom Präsidium abberufen.
Eine Reihe von Kritikern, darunter Autoren des ehemaligen IDGR, des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung sowie der Sprecher der SPD-Fraktion für Verfassungsschutz- und Extremismusfragen, Stephan Braun, siedeln das Studienzentrum in einer Grauzone zwischen Rechtskonservatismus und Rechtsextremismus an. Es überschreite die Grenzen zwischen diesen Lagern gezielt, um zur Enttabuisierung rechtsextremer Positionen beizutragen.
Sa kamen als Referenten unter anderen der ehemalige Bundespräsident Karl Carstens, Wolfgang Schäuble oder Erwin Teufel zu Wort, aber auch Neurechte und Rechtsextreme wie Wolfgang Strauss, Hans-Ulrich Kopp und Hans-Dietrich Sander. [4]
Ulli Boldt gehörte zur Leitung der Jungweikersheimer, war aber auch zugleich für die heute verbotene Neonazigruppe Nationalistische Front aktiv, leitete das Nationale Infotelefon Berlin und meldete einige Rudolf Heß-Gedenkmärsche in Frankfurt an der Oder und Oranienburg an. Als dies 1995 bekannt wurde, schloss das Kuratorium Weikersheim ihn aus.[5]
Die Kritik bezieht sich auch auf Kontakte zu Rechtsextremisten, welche laut Panorama der ehemalige Hauptvertreter des Instituts Albrecht Jebens unterhalten haben soll.[6] Referenten wie dem Politikwissenschaftler Hans-Helmuth Knütter wird von manchen Kritikern wie dem Fernsehmagazin Panorama vorgeworfen, sie hätten neonazistisch Gewalt gerechtfertigt.[7].
Auch manche Mitveranstalter wurden von der SPD dem rechtsextremen Lager zugeordnet.[8]
1997 wurde Wolfgang Freiherr von Stetten Präsident und Nachfolger von Filbinger im Amt. Er sollte einen Kurswechsel von national-konservativ zu liberal-konservativ einleiten. Das Studienzentrum kam trotzdem mehrfach wieder in die Schlagzeilen.
Besonders kritisiert wurde, dass Präsidiumsmitglied Günter Rohrmoser das ehemalige RAF-Mitglied Horst Mahler, der im Jahr 2000 in die NPD eintrat, zu seiner Geburtstagsfeier am 1. Dezember 1997 vor Mitgliedern des Instituts auftreten ließ, seine und Mahlers Positionen für identisch erklärte und Mahlers Haltung als „national-christlichen Konservativismus" lobte.[9] Mahler hatte gefordert, das „besetzte" Deutschland müsse sich von seiner „Schuldknechtschaft" zum aufrechten Gang seiner „nationalen Identität" befreien.[10]
Wegen solcher Verbindungen forderte die SPD-Fraktion im Stuttgarter Landtag am 16. Mai 2006 den Ausschluss rechtsextremer Kontakte und Referenten in Weikersheim mit der Begründung: Es muss verhindert werden, dass Bildungsstätten wie das Studienzentrum Weikersheim eine Scharnierfunktion bei der von rechtsextremistischen Gruppen angestrebten Vernetzung mit dem rechtskonservativ-demokratischen Spektrum übernehmen.[11]
Zu einer differenzierteren Sicht kommt der Politikwissenschaftler Wolfgang Gessenharter, der die Abgrenzung zwischen „intellektueller Neuen Rechte“ zu (national-)konservativen geistigen Eliten, so auch im Studienzentrum Weikersheim, für schwierig erachtet, weil es „ständig fließende Grenzen gibt“[12]
Literatur
- Meinrad Heck: Studienzentrum Weikersheim. Der Club der rechten Denker. In: Stephan Braun, Daniel Hoersch (Hg.): Rechte Netzwerke - eine Gefahr. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, S.95-101. ISBN 381004153X
Quellen
- ↑ bpb-Liste für anerkannte Bildungsträger
- ↑ Martin Thunert, Politikberatung in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949, in: Ulrich Willems (Hrsg.), Demokratie und Politik in der Bundesrepublik 1949-1999, Leske + Budrich Verlag, 2001, S. 233
- ↑ Liste der Weikersheimer Referenten 1979-1998
- ↑ Alice Brauner-Orthen: Die Neue Rechte in Deutschland, Opladen 2001, ISBN 3-8100-3078-3, S.29
- ↑ Anton Maegerle: Denkschmiede für Ultrarechte
- ↑ Panorama Sendung Nr. 614, ARD, ausgestrahlt am 06.06.2002, Beitrag „Vertuschen und verdrängen - Rechtsradikale in der CDU“
- ↑ Panorama Sendung Nr. 634, ARD, ausgestrahlt am 13.11.2003, Beitrag „Heuchelei um Hohmann. Weitere Rechtsradikale in der CDU.“ Online einsehbar
- ↑ Stephan Braun, MdL der SPD-Fraktion im Baden-Württembergischen Landtag, Presseerklärung vom 03.08.2004 „Studienzentrum Weikersheim sucht Nähe zu Rechtsextremen“ Online einsehbar
- ↑ Junge Freiheit: Interview mit Rohrmoser über Mahler, 24. April 1998
- ↑ Rede Horst Mahlers zum 70. Geburtstag Günter Rohrmosers
- ↑ Pressemitteilung der SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg: Studienzentrum Weikersheim sucht Nähe zu Rechtsextremen (pdf)
- ↑ Wolfgang Gessenharter, „Thesen zum Konferenzthema und zum Thema des Forums Fakten gegen Fiktionen – Journalismus braucht Recherche“, vorgelegt auf der Konferenz beim NDR-Hamburg, am 03.06.2005
Weblinks
Eigeninformationen
- www.studienzentrum-weikersheim.de Internetpräsenz des Studienzentrums
- Bücher von Jahreskongressen des Studienzentrums
- Stephan Winckler: Wertkonservative Denkfabrik (Ostpreußenblatt 3. Februar 2001)
- Bund Junges Ostpreußen: Bericht über gemeinsame Herbsttagung zum Thema „Weltordnung und Völkerrecht nach dem Irak-Krieg“
Kritik