Pragmatismus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Pragmatismus (von griech. pragma „Handlung“) beschreibt eine philosophische Grundhaltung, die das Erkennen und die Wahrheitsbildung eng mit den Handlungen, die in der Lebenswelt ausgeführt werden, verbindet und in der gelebten Erfahrung Gründe für Theoriebildungen und deren Veränderungen im Laufe der Zeit findet. Geschaffen wurde der Begriff im Jahr 1878 von Charles Sanders Peirce (1839–1914). Da die Lehre des Pragmatismus jedoch von mehreren anderen Autoren in einer Form verwendet wurde, die mit der ursprünglichen Definition des Erfinders nicht übereinstimmte, benutzte Ch. S. Peirce später das Wort Pragmatizismus, um seine Lehre zu bezeichnen.[1] Wichtige Vertreter des Pragmatismus sind William James, George Herbert Mead und John Dewey.
J. Dewey versteht den Pragmatismus als Instrument des Erkennens. Dabei ist das Erkennen nicht passiv, sondern aktiv, da es selbst schon ein Handeln darstellt. Das erkennende Subjekt erfasst mit seinen Bewusstseinsvorstellungen nicht eine ihm jenseitige objektive Wirklichkeit, sondern das Erkennen dient als Mittel zur theoretischen und praktischen Bewältigung der Herausforderungen, die die Wirklichkeit, d.h. die praktischen Probleme stellen, und wird mit solcher Bewältigung, "Bewährung" zur Erkenntnis der Wirklichkeit bzw. Wahrheit.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Das pragmatische Weltbild
Nach den Ansichten der Pragmatisten beziehen sich alle Urteile, Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe u.a. auf jeweils handelnde Menschen. Sie erweisen sich bei kritischer Sicht auf diese Handlungen als Aussagen über das Tätigsein und das Verhalten, auch wenn es immer wieder illusionäre Theorien gibt, die aus einer Letztbegründung oder transzendentalen Sphäre heraus Erkennen unabhängig von Handlungen und Lebenswelt zu begründen trachten. Am Pragmatismus gibt es die Kritik, dass er aus der Haltung des Skeptizismus heraus (dass es dem Menschen nie glaubhaft gelungen sei, die Realität wirklich hinreichend so abzubilden, dass es zur Übereinstimmung mit der Realität gekommen sei), die Erkenntnis relativiere. Aber hier ist zu bedenken, dass der Pragmatismus keineswegs eine skeptische, sondern eine vor allem handlungsbezogene und zugleich demokratisch orientierte Theorie ist. Insoweit ist zwar die grundsätzliche Relativität der Wirklichkeitskonstruktionen in Abhängigkeit vom Zeitalter und Kontexten vom Pragmatismus ähnlich wie vom Konstruktivismus zugestanden, aber dies führt keineswegs zu einer relativistischen Weltanschauung. Pragmatisten haben mehr als andere philosophische Theoretiker sich umfassende Gedanken über die Demokratie und notwendige Demokratisierungen gemacht, was insbesonders durch das Werk John Deweys ausgedrückt wird. Dabei wird das Kriterium der Wahrheit auch nicht einseitig zum Kriterium der Nützlichkeit, des Nutzens, des Erfolges, wie immer wieder behauptet wird. Man würde die pragmatistische Theorie entstellen, wenn man sie so ihres Kontextes beraubt. Zwar drückt James seine Auffassung über die Wahrheit so aus:
- „Wahr ist das, was sich durch seine praktischen Konsequenzen bewährt.“
Oder mit anderen Worten (James):
- „Eine Vorstellung ist wahr, solange es für unser Leben nützlich ist, sie zu glauben!"
Aber diese Aussage bedeutet nicht, dass nun alles auf Nützlichkeit reduziert wird. Bei Dewey wird deshalb besonders die Idee des Wachstums ("growth") benutzt, um auszudrücken, dass Menschen ihre Erfahrungen in der Lebenswelt so gemeinsam gestalten müssten, dass ein Wachstum für alle Gesellschaftsmitglieder erreicht werden kann und nicht bloß ein Nutzen für wenige.
Europäern fällt es nicht leicht, Wahrheit mit Nützlichkeit in Beziehung zu setzen. Der Nützlichkeitsbegriff des Amerikaners ist aber viel weiter als der des Europäers. Es ist nicht falsch, für die Formel, "was nützlich ist, das ist wahr", versuchsweise die Formel, "was gut ist, das ist wahr", einzusetzen. Bewährung meint letztlich Güte der Erkenntnis.
[Bearbeiten] Weitere Strömungen
Der Instrumentalismus ist eine aus den USA stammende Ausprägung des Pragmatismus, deren Ursprünge auf John Dewey zurückgehen. Nach dem Instrumentalismus ist aber keineswegs, wie oft fälschlich dargestellt wird, alles menschliche Denken und jegliche Begriffsbildung nur eine Anpassung an die Realität. Die Gedanken sind auch nicht nur Werkzeuge zur Beherrschung von Natur und Menschen. Dewey weist vielmehr in seinen sehr umfassenden Schriften darauf hin, dass die Menschen die Realität zunächst immer erzeugen, bevor sie wieder in den Kreislauf einer Nachahmung oder Anpassung zurückfällt. Seine Vision richtet sich darauf, die Realität grundsätzlich zu demokratisieren und die Welt kritisch zu betrachten, um nicht auf bloße Übernahme von Konventionen zu verfallen. In dieser Hinsicht ist Dewey deshalb heute auch für viele kritische Philosophen wie z.B. Jürgen Habermas wieder interessant geworden.
Die Entwicklung des Pragmatismus ist vielgestaltig. Richard Rorty z.B. ist einen sehr eigenen Weg gegangen, um den Pragmatismus als eine eher relativierende Weltsicht zu begründen. Andere Richtungen bemühen sich stärker, an die klassischen Werke der Pragmatisten anzuknüpfen. Schwierig für die deutschsprachige Rezeption ist es, dass die Klassiker sehr schlecht übersetzt wurden, was die Rezeption erschwert.
[Bearbeiten] Kritik
Die Reduzierung der Wahrheit und die Ausklammerung der Moral auf den vom Interesse des einzelnen oder einer Gruppe von Menschen her bestimmten Nutzen und Erfolg ist der entscheidende Moment der Lebensphilosophie des Pragmatismus. Bei konsequenter Anwendung des Pragmatismus in der täglichen Praxis würde sich ein völliger Relativismus einstellen, der geeignet ist, alle Handlungen zu rechtfertigen, solange sich diese als nutzbringend, erfolgreich oder bewährt herausstellen.
Die Frage der sittlichen Bindung und Gestaltung für die staatlichen Prozesse wird ebenfalls nicht in Betracht gezogen. Würde zum Beispiel eine Rechtsprechung an die Prinzipien des Pragmatismus gebunden, so könnten sich erhebliche Brüche der angelsächsischen Rechtstradition bezüglich der Bestandsnormen des Eigentums ergeben. Insofern kann auch ein Element des Irrationalismus im Pragmatismus enthalten sein.
[Bearbeiten] Gegenkritik
Der Bewertung des Pragmatismus schadet der alltägliche Missbrauch des Begriffes "pragmatisch". Als Mittel zur zweckgerichteten Wahrheitsfindung muss pragmatisches Denken sorgfältig abgegrenzt werden von nur als "pragmatisch" bezeichneten Denkweisen, die vorwiegend der Minderung kognitiver Dissonanz und der Vermeidung von Verantwortung dienen.
Gerade John Dewey hat sich sehr umfassend mit Fragen der Moral und der politischen Verfassung der kapitalistischen Gesellschaft befasst. Die Reduzierung des Pragmatismus auf eine Nützlichkeitsideologie ist eine zu weitgehende Vereinfachung. Eine sittliche Bindung gibt es in der Tat nicht, aber wohl eine gesellschaftliche Reflexion, die heute in großen Teilen der englischsprachigen Gesellschaftswissenschaften wieder breit rezipiert wird. Dabei gibt es rege Diskussion zwischen Pragmatismus und z.B. Kommunitarismus.
[Bearbeiten] Literatur
- John Dewey : A common faith, Yale University Press, New Haven1991, ISBN 0-300-00425-7
- John Dewey: Die Erneuerung der Philosophie, Junius, Hamburg 1989, ISBN 3-88506-409-X
- John Dewey: Philosophie heute und morgen. Eine Einführung ins operationale Leben, 1971
- John Dewey: Philosophie und Zivilisation, Suhrkamp, Frankfurt/M. 2003, ISBN 3-518-29274-9
- John Dewey: Wie wir denken, Verlag Pestalozzianum, Zürich 2002, ISBN 3-907526-98-8
- William James: Was ist Pragmatismus?, Beltz, Weinheim, 1994, ISBN 3-89547-060-0
- Charles S. Peirce: Über die Klarheit unserer Gedanken, Klostermann, Frankfurt/M. 1985, ISBN 3-465-01650-5
- Charles S. Peirce: Schriften zum Pragmatismus und Pragmatizismus, Suhrkamp, Frankfurt 1976, ISBN 3-518-06029-5
- Charles S. Peirce: Vorlesungen über Pragmatismus, Meiner, Hamburg 1991, ISBN 3-7873-0984-5
- Bertrand Russell: Der Pragmatismus, 1909, in: Philosophische und politische Aufsätze, Reclam, ISBN 3-15-007970-5
- Ferdinand C. Schiller: Our Human Truths, AMS Press, New York 1979, ISBN 0-404-59347-X
- Helmut Woll: Ökonomisches Wissen zwischen Bildungstheorie und Pragmatismus, Metropolis, Marburg 2006, ISBN 3-89518-544-2
- Marie-Luise Raters, Marcus Willaschek (Hg.): Hilary Putnam und die Tradition des Pragmatismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp, (stw), 2002
Eine umfassende Literaturliste kann über das Pragmatismus-Archiv [1], die Pragamatism Cybrary [2] oder das Dewey-Center [3] erhalten werden.
[Bearbeiten] Quellenangaben und Anmerkungen
- ↑ Christian Kloesel und Helmut Pape (Hrsgr.). Charles S. Peirce. Semiotische Schriften. Band 2: 1903-1906. Frankfurt: Suhrkamp,1990. Seite 289
[Bearbeiten] Weblinks
- 3sat
- Pragmatismus-Archiv der Pragamatism Cybrary
- Dewey-Center