Nathan der Weise
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Nathan der Weise ist der Titel und die Hauptfigur eines fünfaktigen Ideendramas von Gotthold Ephraim Lessing, das 1779 veröffentlicht und am 14. April 1783 in Berlin uraufgeführt worden ist. Es ist im Blankvers verfasst, welcher der Klassik als Vorbild dient. Das Werk hat als Themenschwerpunkt Religionstoleranz. Besonders wichtig dabei ist die Ringparabel im dritten Aufzug des Dramas, die sich bereits bei Giovanni Boccaccio in dessen Geschichtensammlung „Decamerone“ findet.
Die Parabel reicht aber tatsächlich bis etwa um 1100 zur Iberischen Halbinsel zurück, wo sie von sephardischen Juden erfunden wurde.
„Nathan der Weise“ ist Lessings letztes Werk. Sein Hintergrund ist eine Auseinandersetzung mit dem Hamburger Hauptpastor Johann Melchior Goeze, die soweit reichte, dass ein Teilpublikationsverbot erhoben worden ist. Infolgedessen implizierte Lessing seine Idee des Deismus in dieses Drama. Seine Beschäftigung mit dem Stoff reicht jedoch nachweislich bis ca. 1750 zurück.
In der Figur Nathans des Weisen setzte Lessing seinem Freund Moses Mendelssohn ein literarisches Denkmal.
Von historischem Interesse für die Entstehung des Stückes ist auch die Auseinandersetzung mit Hermann Samuel Reimarus im Fragmentenstreit.
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[Bearbeiten] Ringparabel
In der Schlüsselszene lässt Saladin Nathan zu sich rufen und legt ihm die Frage vor, welche der drei monotheistischen Religionen er denn für die Wahre halte. Nathan sieht sich vor den Konflikt, weder seine Religion zu sehr zu betonen, noch die anderen beiden. Deshalb antwortet er mit einem Gleichnis. Darin besitzt ein Mann ein wertvolles Familienerbstück: einen Ring, der über die magische Eigenschaft verfügt, seinen Träger „vor Gott und den Menschen angenehm“ zu machen. Dieser Ring wurde über viele Generationen hinweg vom Vater an jenen Sohn vererbt, den der Vater am meisten liebte. Doch nun tritt der Fall ein, dass der Vater von seinen drei Söhnen keinen bevorzugen kann und möchte, sodass er von einem Goldschmied zwei Duplikate des Ringes herstellen lässt. Er hinterlässt jedem Sohn einen Ring, wobei er jedem versichert, sein Ring sei der echte. Nach dem Tode des Vaters ziehen die Söhne vor Gericht, um klären zu lassen, welcher von den drei Ringen der echte sei. Der Richter aber ist außerstande, dies zu ermitteln. So erinnert er die drei Männer daran, dass der echte Ring die Eigenschaft habe, den Träger bei allen anderen Menschen beliebt zu machen; wenn aber dieser Effekt bei keinem der drei eingetreten sei, dann könne das wohl nur heißen, dass der echte Ring verloren gegangen sein müsse. Jedenfalls solle ein jeder von ihnen trachten, die Liebe aller seiner Mitmenschen zu verdienen; wenn dies einem von ihnen gelinge, so sei er der Träger des echten Ringes.
[Bearbeiten] Wirkung und Diskussion der Ringparabel
Die Ringparabel gilt als ein Schlüsseltext der Aufklärung und als pointierte Formulierung der Toleranzidee. Dem zugrunde liegt die Analogie, dass der Vater für Gott, die drei Söhne für die drei monotheistischen Religionen (Judentum, Christentum und Islam) und der Richter für Nathan selbst steht. Die Aussage der Parabel wäre demnach, dass Gott die drei Religionen gleichermaßen liebe.
Eine weitere Interpretation ist, dass Gott die Religion am meisten liebe, die von allen Menschen angenommen und respektiert wird und die alle Menschen eint.
Eine dritte Interpretation ist, dass der echte Ring im Laufe der Zeit an seiner Wirkung erkannt werden kann. Gleiches gälte dann für die wahre Religion.
Eine weitere Interpretationsmöglichkeit besteht darin, dass der Vater der drei Söhne für die ursprünglich als Ideale betrachtete einzige Religion steht, die sich in die drei Religionen (drei Söhne) Islam, Judentum und Christentum unterteilte. Der Richter in der Ringparabel steht für Gott, der vor allen Religionen gleich ist. Die Idee des Dramas (Ideendrama) besteht folglich darin, die drei Religionen erneut zu einer starken Einheit zu verbinden.
Gleichermaßen lässt sich auch außerhalb der Aufklärung die Bedeutung finden, dass die „Wahrheit“, also die wahre Gottesschau (in diesem Fall hinter dem christlichen Charisma- und Liebessymbol versteckt) tatsächlich verloren gegangen ist (so sie denn jemals in expliziter Form vorlag und nicht nur als implizite Offenbarung). Die Religionen als Gruppierungen, welche diesem Ideal zustreben, seien ihm ähnlich nah, aber gleichzeitig auch ähnlich fern. Die Tradition, immer dem „liebsten“ Sohn die Wahrheit zu vererben, lässt sich deuten als Verweis auf das Prophetenwesen, weshalb die Ähnlichkeit der abrahamitischen Religionen untereinander und des gesamten Monotheismus zu Recht postuliert wird. Mit der Parabel jedoch wird auch unterstellt, man müsse das Wirken Gottes an seinen Resultaten in der Welt erkennen können, um ihnen Sein zuzuweisen.
Zur Vorgeschichte der Ringparabel siehe die Erzählung von Saladins Tisch bei Jans dem Enikel (13. Jahrhundert) und die Erzählung "Vom dreifachen Lauf der Welt" in den Gesta Romanorum.
[Bearbeiten] Charakterisierung der Hauptpersonen
[Bearbeiten] Nathan
Nathan ist die Hauptfigur, bei der die Handlungsstränge zusammenlaufen und der alle Fäden zu einem Ganzen verknüpft. Zuerst wird Nathan als reicher Kaufmann aus Jerusalem vorgestellt (I, 6.), der von seinen Geschäftsreisen immer viel Geld und Luxusgüter mitbringt. Das Volk hat sich bereits vor geraumer Zeit ein Bild von diesem reichen „Juden“ gemacht. Nathan ist nicht geizig, möchte aber nicht die leeren Staatskassen Saladins füllen, obwohl er dadurch seinen Reichtum vermehren könnte; nicht zuletzt deshalb lehnt er aber ab, weil sein Freund Al-Hafi ihn darum bittet. Durch dieses Verhalten entkräftet Nathan das Vorurteil, dass Juden nur nach Reichtum streben. Auf die Bitte des Sultans, ihm Geld zu leihen, reagiert er aber entgegenkommend. Nathan wird vom Volk und von allen Menschen vor allem wegen seiner Güte und seines Großmuts gelobt. In Nathans Person bilden „bürgerliche Tüchtigkeit“ und „Tugend“ eine in sich geschlossene Einheit.
Saladin und der Tempelherr sehen in Nathan allerdings zuerst den Juden, dem man aus dem Weg gehen sollte.
Recha ist zwar nur Nathans Adoptivtochter, doch er nennt sie ganz selbstverständlich „meine Recha“ und „mein liebes Kind“. Nathan ist für Recha der perfekte Vater, obgleich er nicht ihr leiblicher ist. („Das Blut allein macht noch nicht den Vater aus.“)
Nathan hat sich vom orthodoxen Judentum gelöst und ist anderen Religionen gegenüber tolerant eingestellt (Vers 1070 „Jud' und Christ Und Muselmann und Parsi, alles ist Ihm eins“). Für ihn ist die Religion nur eine Hülle. Bei ihm finden Glaube und Vernunft Einklang. Seine Weltanschauung lebt er vorbildhaft und macht sie auch zur Grundlage von Rechas Erziehung. Durch diese Weltanschauung wird er als „weise“ bezeichnet.
[Bearbeiten] Saladin
Sultan Saladins Palast ist der Mittelpunkt der politischen Macht in Jerusalem und Schauplatz der letzten Szene. Während eines Angriffes auf Tebnin nehmen Saladins Männer einige Tempelritter als Gefangene. Nur einen dieser Tempelritter lässt Saladin am Leben, weil er seinem verschollenen Bruder Assad ähnlich sieht. Er ist von Grund auf ein guter Mensch, der anderen Gutes möchte und ihnen jederzeit, soweit es möglich ist, Geschenke und Gaben überreicht. Er sieht dabei auch von seinem eigenen Wohl ab, was ihn schlussendlich in den wirtschaftlichen Ruin treibt. Mit seiner Schwester Sittah spielt Saladin oft Schach, was von Intellektualität zeugt. Die Begegnung mit Nathan und der „Ringparabel“ wird zum Schlüsselerlebnis für Saladin, welche seine Einstellung vollkommen verändert. (4. Aufzug, 4. Auftritt: „Ich wollte nie, dass Bäumen eine Rinde wächst.“) Saladin gilt als Verbesserer der Welt: Er hilft den Bettlern und begnadigt einen Tempelherren, welchem er anfangs sogar gute Kleidung beschafft, um ihm Ansehen zu verleihen. Mit der Freundschaft zu Nathan bildet er eine Glaubensgemeinschaft, welche alle Grenzen der Religion überwindet.
[Bearbeiten] Der Junge Tempelherr
Der Tempelherr (Leu von Filnek) ist Christ und Mitglied des Templerordens. Und als Christ hat er auch die damals üblichen Vorurteile gegenüber Juden. Durch sein beherztes Eingreifen rettet er Recha aus den Flammen des brennenden Hauses. Für diese Tat möchte er aber keinen Dank und keine Anerkennung, weil es für ihn selbstverständlich ist, zu helfen. Ferner schätzt der Tempelherr zu Beginn des Dramas das Leben Rechas als weniger wert ein, da sie „nur“ eine Jüdin ist. Erst nach einiger Zeit, in der er Daja, Recha und Nathan aus dem Weg geht, merkt er, dass er sich in ein „Judenmädchen“ verliebt hat. Zu Nathan kann der Tempelherr eine Freundschaft aufbauen und sein gesamtes Bewusstsein verändern. In der Schlussszene stellt sich heraus, dass der Tempelherr und Recha Geschwister sind.
[Bearbeiten] Figurenkonstellation
[Bearbeiten] Literatur
- Erstausgabe: G. E. Lessing : Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht, in fünf Aufzügen. 1779 [keine Verlagsangabe], 276 S.(inkl. Anmerkungen)
- Hans-Ulrich Lindken: Erläuterungen zu Gotthold Ephraim Lessing, Nathan der Weise. 5. Auflage. Bange 1987, ISBN 3-8044-0225-9
- Hans Ritscher: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. 9. Auflage. Diesterweg 1979, ISBN 3-425-06380-4
- Timotheus Will: Lessings dramatisches Gedicht Nathan der Weise und die Philosophie der Aufklärungszeit, Schöningh 1999. ISBN 3-506-75069-0
[Bearbeiten] Weblinks
- Text der Ringparabel
- Lessings 'Nathan' im Spielplan deutschsprachiger Bühnen
- Inhaltszusammenfassung, Figurenkonstellation und Verbindung zum Decameron
- Musteraufsatz Inwieweit wird die Forderung der Aufklärung nach religiöser Toleranz in Lessings 'Nathan der Weise' aufgezeigt?
- Die Ringparabel bei Boccaccio, gelesen als Niederschlag von Renaissanceideen
- Stoffsammlung zu Lessings Ringparabel
- Lessing, der Islam und die Toleranz
- Szenarium/Szenenübersicht
- Kerngedanken und Aktzusammenfassung