Religion
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Als Religion bezeichnet man eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Erscheinungen, die menschliches Leben und Handeln normativ beeinflussen. Sinngebungssysteme, die als Religion bezeichnet werden, überschreiten rein materielle Vorstellungen und suchen die Ursachen sinnlich erfahrbarer Folgen oft in der Transzendenz oder Immanenz. Während eine einheitliche Definition des Begriffs Religion nicht existiert, sind viele Religionsbegriffe abhängig von ganz bestimmten historischen Religionen.
Diese in sehr langen Traditionen entstandenen Welterklärungen und Anleitungen zur Lebensbewältigung werden in der westlichen Welt aufgrund christlicher und humanistischer Traditionen häufig mit der Kurzformel „Glaube“ zusammengefasst. Hierbei handelt es sich um den zumeist institutionalisierten und organisierten Glauben an eine oder mehrere persönliche oder auch unpersönliche transzendente (z. B. eine Gottheit, Geister und Ahnen) oder auch immanente Wesenheiten (z. B. das Göttliche, das All-Eine oder die Allseele) und/oder Prinzipien (z. B. Dao, Dharma) und/oder andere Vorstellungen, wie z. B. Nirvana und Jenseits.
Allerdings erfasst der westliche Ansatz einer Definition mit Hilfe des Begriffs „Glaube“ nicht alle Religionen, da dieser Terminus in einigen Religionen nicht oder kaum existiert und damit nicht das eigentliche Merkmal dieser Religionen sein kann.
Ein weiteres Problem stellt die Definition einer Gemeinschaft als Religion dar. Einige Religionen beruhen auf philosophischen Systemen, bei anderen ist die politische Orientierung oder die Spiritualität sehr ausgeprägt. Eine klare Abgrenzung ist unmöglich, Überschneidungen finden sich in nahezu allen Religionen und insbesondere bei der Rezeption durch einzelne Menschen. Den meisten Religionen sind Heilslehren, Symbolsysteme und Rituale zu eigen. Vor diesem Hintergrund werden populäre Einteilungen vorgenommen.
Die größten Religionen sind nach Anhängerzahl Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Shinto, Daoismus, Sikhismus, Judentum, Konfuzianismus und Baha'i. Siehe auch Liste der Religionen der Welt.
Mit der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen befassen sich insbesondere Religionswissenschaft/Religionsgeschichte, die Religionssoziologie, die Religionsphänomenologie und die Religionsphilosophie.
Keine Religionsdefinition findet in den verschiedenen Wissenschaften allgemeine Anerkennung. In der Religionswissenschaft beispielsweise existieren viele unterschiedliche Definitionen nebeneinander. Im Folgenden werden einige allgemeine Umschreibungen zur Annäherung an das Thema gegeben und relevante wissenschaftliche Ansätze dargestellt, bevor der Begriff selbst in seiner historischen Entwicklung und heutigen Verwendung problematisiert wird.
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[Bearbeiten] Etymologie und Begriff
religio hatte im Lateinischen die unterschiedlichsten Bedeutungen: "Gottesfurcht", "Frömmigkeit", "Heiligkeit", aber auch "Rücksicht", "Bedenken", "Skrupel", "Pflicht", "Gewissenhaftigkeit" oder "Aberglaube". Die weitere Etymologie des Begriffs ist nicht mit Sicherheit geklärt. Der Begriff religio ist kein Terminus altrömischer Religion. Die frühesten Belege finden sich vielmehr erst in den Komödien des Plautus (ca. 250-184 v. Chr.) und in den politischen Reden des Cato (234-149 v. Chr.).
Nach Cicero (De Natura Deorum 2, 72; 1. Jh. v. Chr.) geht religio zurück auf relegere, was wörtlich "wieder auflesen, wieder aufsammeln, wieder aufwickeln", im übertragenen Sinn "bedenken, Acht geben" bedeutet. Cicero dachte dabei an den Tempelkult, den es sorgsam zu beachten galt. Dabei steht religio als gewissenhafte Beachtung überlieferter Regeln im Gegensatz zu superstitio als freier, ekstatischer Spiritualität. Auch bei der Entlehnung ins Deutsche im 16. Jahrhundert wird Religion zunächst in diesem Sinne verwandt: In Abgrenzung amtskirchentreuer Bibelauslegung und Kultpraxis gegenüber sogenanntem Aberglauben (siehe superstitio).
Etwa 350 Jahre nach Cicero führt der christliche Apologet Lactantius (Divinae Institutiones 4, 28) das Wort religio dagegen zurück auf religare: "an-, zurückbinden". Mögliche ursprüngliche Bedeutungen von "Religion" sind demnach "frommes Bedenken" oder die "Rückbindung" an einen von Gläubigen an- bzw. wahrgenommenen universellen göttlichen Ursprung oder an sonstiges Höheres.
[Bearbeiten] Religion und Religiosität
Der Begriff religio bzw. religiosus wurde im Mittelalter vor allem für den Ordensstand benutzt. Diese Bedeutung hat der Begriff bis heute im römisch-katholischen Kirchenrecht. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit waren für das Wort "Religion" die Bezeichnungen fides (Glaube), lex (Gesetz) und secta (Richtung, Partei) gebräuchlich. Der heutige Begriff "Religion" wurde erst nach der Reformation eingeführt. Darunter verstand man zunächst Lehren, die je nach Auffassung, entweder richtig oder falsch sein sollten. In der Aufklärung entwickelte sich dann ein abstrakterer Religionsbegriff, auf den die gegenwärtigen Definitionsansätze zurückgehen.
Im Deutschen sind die Begriffe Religion und Religiosität zu unterscheiden. Der Begriff Religion wird seit Ende des 18. Jh. verwendet. Religion bezeichnet demgemäß ein System - also das Äußerliche, Strukturelle, Gemeinschaftliche -, während Religiosität auf das Subjektiv-Individuelle bezogen ist, insbesondere auf das Erleben des Einzelnen. Der Begriff Religion verschiebt sich hin zur Religiosität. Vor allem in der Romantik wird die innere Haltung des frommen Individuums betont. Der Theologe Friedrich Schleiermacher in seinem Buch Über die Religion (1799) schrieb: Religion ist nicht Metaphysik und Moral, sondern Anschauen und Gefühl.
[Bearbeiten] Begriffliche Problematik
Wichtig bei der Betrachtung der Herkunft des Wortes ist die kritische Beobachtung seiner (ideologischen) Verwendung. Abgesehen von diesen etymologischen Unsicherheiten ist der Terminus auch heute noch problematisch. Mit der europäischen "Entdeckung" bisher in der so genannten Alten Welt unbekannter Kulturen wurde der Begriff auf Sachverhalte angewendet, die zwar Ähnlichkeiten mit dem europäischen Religionskonzept haben (zum Beispiel die Gottesverehrung), in mancher Hinsicht aber auch sehr gegensätzlich sind (zum Beispiel der Ausschließlichkeitsanspruch). Diese Differenz besteht auch zu den östlichen Religionen, was z. B. an den Übersetzungen des Wortes Religion in der jeweiligen Sprache zu erkennen ist.
Eine Folge ist, dass heute zwar viele verschiedene Religionen und Religionsformen bekannt und erforscht sind, jedoch eine auf alle Religionsgemeinschaften und -formen anzuwendende Definition aussteht und wahrscheinlich - wegen der heterogenen Theoriesysteme - auch in Zukunft nicht existieren wird.
[Bearbeiten] Wissenschaftliche Ansätze zur Definition von Religion
Dazu siehe auch: Religionsdefinition, Religionsphänomenologie und Religionskritik
Die Religionssoziologie und Religionswissenschaft untersuchen seit ca. 100 Jahren auf empirischer und theoretischer Grundlage Religionen als gesellschaftliche Phänomene. Dabei gibt es unterschiedliche Auffassungen über Definition und Funktion von Religion. In beiden Wissenschaften konnte man sich bisher auf eine wissenschaftliche Definition, die beschreibt, was Erkennungsmerkmale von Religionen sind und wann eine Weltanschauung als Religion bezeichnet wird, nicht einigen. Dennoch gab es schon vorher Ansätze, an die die weitere Forschung angeknüpft hat.
Ludwig Feuerbach erklärt 1841 Religion als das bewußtlose Selbstbewußtsein des Menschen. [...] der Mensch vergegenständlicht in der Religion sein eigenes geheimes Wesen. (Das Wesen des Christenthums. Leipzig: Wigand, 1841: Erster Theil) Demnach betrachtet der religiöse Mensch alles, was er für wahr, richtig und gut hält, als selbständige Erscheinungen außerhalb seiner selbst. Diese selbständigen Erscheinungen kann sich der Mensch als Person in Einzahl oder Mehrzahl mit begrenztem oder unbegrenztem Wirkungsbereich vorstellen und demzufolge seine Begriffe vom Wahren, Richtigen und Guten als Bereichsgötter oder einzigen Gott benennen oder ohne Personifikation als Kräfte, Mächte, Wirkungen, gesetzmäßige Abläufe oder ähnlich bestimmen. Wie er das tut, richtet sich nach regionaler Entwicklung und Überlieferung. Folgerichtig anerkennt Feuerbach Religion nicht mehr als Welt deutendes, vielleicht alle Menschen verpflichtendes System, sondern als völkerkundliches Forschungsgebiet.
Immanuel Kant, der sich zum Christentum bekannte, formulierte 1793 in seiner religionsphilosophische Schrift "Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" seine Doktrin für eine Vernunftreligion.
Nach Karl Marx u. a. sind Religionen ursprünglich an eine unilaterale gesellschaftliche Praxis gekoppelt. Demnach sind Jäger-, Nomaden- und Ackerbauernreligionen (als Basalreligionen) zu unterscheiden. Nur die Nachfolger der beiden letzteren, mit dem Neolithikum entstandenen Religionen hatten noch wesentlichen Einfluss auf die heutigen Religionen Europas.
Erich Fromm bildete eine weite, sozialpsychologische Definition von Religion als jedes von einer Gruppe geteilte System des Denkens und Handelns, das dem einzelnen einen Rahmen der Orientierung und ein Objekt der Hingabe bietet.
Richard Dawkins sucht 1991 im Rahmen der evolutionswissenschaftlichen Theorie der Meme eine Erklärung für das Phänomen Religion. Er analysiert eine Religion als Gruppe von Ideen und Denkmustern, die sich gegenseitig bestärken und gemeinsam auf ihre Verbreitung hinwirken (Memplex). Grundlage dieser Einordnung bildet dabei die Beobachtung, dass durch Religionen Handlungen und Überzeugungen erfolgreich verbreitet werden können, die außerhalb ihres religiösen Kontexts sinnlos scheinen oder im Gegensatz zur objektiven Realität stehen. Voraussetzung zur Verbreitung von religiösen Gedanken sind laut Dawkins die Bereitschaft zur wörtlichen Weitergabe von Glaubenssätzen und zur Befolgung der in ihnen kodierten Anweisungen. Er sieht hier eine Ähnlichkeit zu den Mechanismen mit denen Viren einen befallenen Organismus zur Weiterverbreitung ihres Erbguts anregen. In Analogie zu Computerviren spricht er auch von Viren des Geistes.
[Bearbeiten] Religionssoziologische Ansätze
- Nach Émile Durkheim, einem der Begründer der Soziologie, trägt Religion zur Festigung sozialer Strukturen, aber auch zur Stabilisierung des Einzelnen bei. Sein Religionsbegriff ist somit ein funktionalistischer. Gemäß Durkheim ist die Religion ein solidarisches System, das sich auf Überzeugungen und Praktiken bezieht, die heilige Dinge beinhalten und in einer moralischen Gemeinschaft wie beispielsweise der Kirche, alle vereinen, die dieser angehören. Daraus ergeben sich drei Aspekte von Religion, die Glaubensüberzeugungen (Mythen), die Praktiken (Riten) und die Gemeinschaft, auf die diese bezogen sind. Durkheim bezeichnet unter anderen Faktoren den Glauben als ein Element der Macht, die die Gesellschaft über ihre Mitglieder ausübt. Zu den bemerkenswerten Aspekten des Durkheimschen Religionsbegriffs gehört auch die Unterscheidung zwischen dem Heiligen und dem Profanen, die es erlaubt, Religion ohne den Bezug auf Gott, Götter oder übernatürliche Wesenheiten zu definieren. Sie wird auch außerhalb der Soziologie verwendet, etwa von Mircea Eliade (Das Heilige und das Profane, 1957), und liegt auch dem Begriff säkulare Religion (bei Max Weber: Diesseitigkeitsreligion) zugrunde, mit dem Weltanschauungen bezeichnet werden, die diesseitige Phänomene wie z. B. den Staat, eine Partei oder einen politischen Führer zum Gegenstand einer religionsähnlichen Verehrung machen.
- Ferdinand Tönnies unterscheidet Ende des 19. Jh. zwischen 'Gesellschaft' und 'Gemeinschaft'. Er betont die sinnstiftende Funktion von Religion als typisch "gemeinschaftlich" und erforscht ihre Symbolsysteme. Religiöse Gemeinschaften - wie andere traditionelle Gemeinschaften - dienen demnach der kulturellen Bindung des Individuums. Sie verlieren zugunsten der Prägung durch die Gesellschaft in der Moderne an Bedeutung für den Einzelnen. Als Kirche, das heißt als Institution, behalten sie jedoch hohen gesellschaftlichen Einfluss. Laut Tönnies ("Geist der Neuzeit") folgt gegenwärtig einem Zeitalter der Gemeinschaft ein Zeitalter der Gesellschaft. Die Funktion der Religion im ersteren werde nunmehr von der öffentlichen Meinung mehr und mehr übernommen.
- Max Weber, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts ausführlich mit dem Phänomen "Religion" aus soziologischer Sicht befasste, unterschied zwischen Religion und Magie. Unter Religion versteht er ein dauerhaftes, ethisch fundiertes System mit hauptamtlichen Funktionären, die eine geregelte Lehre vertreten, einer organisierten Gemeinschaft vorstehen und gesellschaftlichen Einfluss anstreben. Magie dagegen ist nach Weber lediglich kurzfristig wirksam, gebunden an einzelne Magier oder Zauberer, die als charismatische Persönlichkeiten vermeintlich Naturgewalten bezwingen und eigene moralische Vorstellungen entwickeln. Diese Abgrenzung versteht Weber als idealtypisch. Reinformen sind selten, Überschneidungen und Übergänge werden konstatiert.
- Weber hat umfangreiche theoretische Abhandlungen über die verschiedenen Religionen, insbesondere über die protestantische Ethik, vorgelegt und empirische Studien zu der unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklung in protestantischen und katholischen Ländern durchgeführt.
[Bearbeiten] Religionswissenschaftliche Ansätze
- Nach Clifford Geertz (1973) ist Religion ein kulturell-geschaffenes Symbolsystem, das versucht, dauerhafte Stimmungen und Motivationen im Menschen zu schaffen, indem es eine allgemeine Seinsordnung formuliert. Diese geschaffenen Vorstellungen werden mit einer solch überzeugenden Wirkung ("Aura von Faktizität") umgeben, dass diese Stimmungen und Motivationen real erscheinen. Solche "heiligen" Symbolsysteme haben die Funktion, das Ethos - das heißt das moralische Selbstbewusstsein einer Kultur - mit dem Bild, das diese Kultur von der Realität hat, mit ihren Ordnungsvorstellungen zu verbinden. Die Vorstellung von der Welt wird zum Abbild der tatsächlichen Gegebenheiten einer Lebensform. Die religiösen Symbolsysteme bewirken eine Übereinstimmung zwischen einem bestimmten Lebensstil und einer bestimmten Metaphysik, die einander stützen. Religion stimmt demnach menschliche Handlungen auf eine vorgestellte kosmische Ordnung ab. Die ethischen und ästhetischen Präferenzen der Kultur werden dadurch objektiviert und erscheinen als Notwendigkeit, die von einer bestimmten Struktur der Welt erzeugt wird. Die Glaubensvorstellungen der Religionen bleiben demgemäß nicht auf ihre metaphysischen Zusammenhänge beschränkt, sondern erzeugen Systeme allgemeiner Ideen, mit denen intellektuelle, emotionale oder moralische Erfahrungen sinnvoll ausgedrückt werden können. Da somit eine Übertragbarkeit von Symbolsystem und Kulturprozess vorliegt, bieten Religionen nicht nur Welterklärungsmodelle, sondern gestalten auch soziale und psychologische Prozesse . Durch die unterschiedlichen Religionen wird eine Vielfalt unterschiedlicher Stimmungen und Motivationen erzeugt, sodass es nicht möglich ist, die Bedeutsamkeit von Religion in ethischer oder funktionaler Hinsicht festzulegen.
- Jacques Waardenburg bezeichnet die Definition von Religion als 'Glauben' als ein Produkt westlicher Tradition. Dieser Begriff treffe daher nicht auf die Vorstellungen anderer Kulturen zu und sei für die Beschreibung von Religionen eher ungeeignet. Religionen können nach seiner Auffassung als Bedeutungsgefüge mit darunterliegenden Grundintentionen für Menschen angesehen werden.
- Der irisch-britische Religionswissenschaftler Ninian Smart entwirft ein multidimensionales Modell von Religion und unterscheidet dabei sieben Dimensionen: 1. die praktische und rituelle, 2. die erfahrungsmäßige und emotionale, 3. die narrative oder mythische, 4. die doktrinale und philosophische, 5. die ethische und rechtliche, 6. die soziale und institutionale und 7. die materielle Dimension (z. B. sakrale Bauwerke).
[Bearbeiten] Phänomene und religionsspezifische Begrifflichkeit
Um Religionen zu beschreiben, haben Menschen, die sich mit Religion(en) beschäftigten, Kriterien und Begriffe für gefundene Phänomene geschaffen. Viele dieser Begriffe sind selbst Produkte religiöser Sichtweisen und damit problematisch für das Beschreiben religiöser Phänomene, da sie oftmals religiöse Interpretationen des jeweiligen Objektes sind und höchstens einen Ausschnitt des eigentlichen Phänomens zeigen können. So ist z. B. der Begriff "Gebet" ein christlicher und beschreibt eine christliche Praktik, die nicht auf Dinge wie Meditation oder Versenkung angewandt werden kann, obgleich dies immer wieder geschieht. Dennoch gibt es in vielen Religionen ähnliche Konzepte, die miteinander verglichen und einander gegenüber gestellt werden können, wodurch ein Ordnen und Beschreiben von Religionen erst möglich wird.
[Bearbeiten] Theismus und Atheismus
Religionen, die an die Existenz eines einzelnen Gottes glauben, werden als monotheistisch bezeichnet, Religionen, die an die Existenz mehrerer Götter glauben, als polytheistisch, Religionen, die das Göttliche in der gesamten Welt sehen, als pantheistisch, Religionen die sich nicht auf ein oder mehrere transzendente Wesen beziehen als atheistisch, obwohl der Atheismus als solcher keine Religion ist. Dennoch gibt es atheistische Religionen wie z. B. den Theravada-Buddhismus oder den Jainismus.
Auch einige atheistische Weltanschauungen haben an religiöse Rituale erinnernde ideologisch geprägte Formen. Man denke z. B. an die Aufmärsche und Feiern kommunistischer Staaten oder an freireligiöse, freidenkerische oder sozialistischen Jugendweihen. Der Faschismus bzw. Nationalsozialismus trägt ebenfalls die Züge eines extremistischen religiösen Systems. Ein Beispiel ist die Quasi-Göttlichen-Verehrung des Führers. Neuere Forschungen zur Entstehung des Nationalsozialismus widmen dieser Thematik besondere Aufmerksamkeit. Die These, dass scheinbar nichtreligiöse Systeme sich religiöser Formen bedienen, wird wissenschaftlich diskutiert (siehe auch: Politische Religion). Weitere Kategorien zur Bezeichnung von (weniger weit verbreiteten) Religionen sind indigene und animistische Religionen.
[Bearbeiten] Schöpfungsmythen und Kosmologie
Häufig vermitteln Religionen eine Vorstellung, wie die Welt entstanden ist, eine Schöpfungsgeschichte und ein Bild der letzten Dinge, eine Eschatologie. Dazu gehört immer die Hauptfrage, was mit dem Menschen nach dem Tod geschieht. Themen wie Reinkarnation, Nirvana, Ewigkeit, Jenseits, Himmel oder Hölle, und was letztlich mit der Welt geschehen wird (Weltuntergang, Apokalypse, Ragnarök, Reich Gottes), sind in vielen Religionen zentral.
[Bearbeiten] Religiöse Spezialisten
Die meisten Religionen kennen Seher oder Propheten, Priester, Prediger, Geistliche, Mönche, Nonnen, Magier, Druiden, Medizinmann oder Schamanen, die die Religion überliefern, lehren, ihre Rituale ausführen und zwischen Mensch und Gottheit vermitteln. Manche Religionen sprechen einzelnen dieser Menschen übernatürliche Eigenschaften zu. In vielen Religionen sind diese Personen innerhalb einer formellen Organisation tätig, in anderen unabhängig. Sie werden bezahlt oder üben ihre Tätigkeit unentgeltlich aus. In einigen Religionen werden die religiösen Rituale vom Familienoberhaupt durchgeführt oder geleitet. Es existieren auch Religionen, in denen es keinen autorisierten Vermittler zwischen dem Übernatürlichen und dem Menschen gibt.
[Bearbeiten] Spiritualität und Rituale
Häufig pflegen Religionen und Konfessionen eine eigene Art von Spiritualität. Spiritualität - insbesondere im Christentum - ist das geistliche Erleben, im Gegensatz zur Dogmatik, welche die festgesetzte Lehre einer Religion darstellt. Das Ritual hingegen ist durch die Religion formalisierte Spiritualität. Im heutigen westlichen Sprachgebrauch wird Spiritualität als seelische Suche nach Gott oder einem anderen transzendenten Bezug bezeichnet, ob im Rahmen von spezifischen Religionen oder jenseits davon. In einigen Religionen finden sich Strömungen, deren Anhänger die Begegnung mit der Transzendenz oder dem Göttlichen in mystischen Erfahrungen finden.
Zu religiösen Riten gehören unter anderem Gebet, Meditation, Gottesdienst, religiöse Ekstase, Opfer, Liturgie, Prozessionen und Wallfahrten. Daneben gibt es im Alltag gelebte Frömmigkeit wie Almosen geben, Barmherzigkeit oder Askese.
[Bearbeiten] Schismen und Synkretismen
Aufgrund ihrer ideologischen Momente haben Religionen die latente Tendenz zur Spaltung. Subreligionen sind oft durch die Abtrennung einer Gruppe aus der ursprünglichen Religionsgemeinschaft entstanden.
Der Begriff Synkretismus beschreibt das gleichzeitige Ausüben von Praktiken verschiedener Religionen. Im klassischen Sinne ist er der Versuch, ähnliche Religionen (wieder) zu vereinen oder die Schaffung einer neuen Religion aus unterschiedlichen Vorgängern zu initiieren.
Seit der Aufklärung wird – vor allem im westlichen Kulturkreis – zwischen institutionalisierter Religion und persönlicher Haltung zum Transzendenten unterschieden.
Hinzu kommen seit den 1980er Jahren postmoderne Ansätze, nach denen Gruppen oder Individuen Ideen, Rituale usw. aus Religionen und anderen Weltanschauungen neu zusammenstellen und auf ihre Bedürfnisse zuschneiden. Dieses eklektizistische Vorgehen wird von Vertretern traditioneller Religionen zuweilen „Patchwork-Religion“ oder „Supermarkt der Weltanschauungen“ genannt.
[Bearbeiten] Religionen in Zahlen
Viele Menschen haben das Bedürfnis, zu erfahren, wie viele "Gläubige" sich zu einer Religion bekennen. Obwohl immer wieder Statistiken auftauchen, ist die Quellenlage zumeist fraglich. Daher sollte stets beachtet werden, dass solche Statistiken im besten Falle nur etwas über die Anzahl der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft (ähnlich einer Vereinsmitgliedschaft) und über die Ideologie der Statistikveröffentlicher aussagen. Darüber hinaus gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen der Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Beispielsweise werden zum Judentum häufig auch diejenigen gerechnet, die sich als Atheisten bezeichnen, zum Christentum in Deutschland alle Kirchensteuerzahler, auch wenn sie nicht gläubig sind.
Statistik A - Religionen der Welt - Zugehörige (Quelle: adherents.com)
- Christentum (2,1 Milliarden)
- Islam (1,3 Milliarden)
- Atheismus, Nichtreligiöse (1,1 Milliarden)
- Hinduismus (900 Millionen)
- Traditionelle Chinesische Religionen (394 Millionen)
- Buddhismus (376 Millionen)
- Nichtafrikanische Indigene Religionen (300 Millionen)
- Traditionell Afrikanische Religionen (100 Millionen)
- Sikhismus (23 Millionen)
- Judentum (15 Millionen)
- Spiritismus (15 Millionen)
- Baha'i (7 Millionen)
- Jainismus (4,2 Millionen)
Statistik B - Religionen der Welt - Zugehörige (Quelle: David B. Barrett)
- Islam (1,313 Milliarden)
- Römisch-Katholische Kirche (1,119 Milliarden)
- Hinduismus (870 Millionen)
- Nichtreligiös (769 Millionen)
- Unabhängige Christliche Kirchen (427 Millionen)
- Traditionelle Chinesische Religionen (405 Millionen)
- Protestantische Kirchen (376 Millionen)
- Orthodoxe Kirchen (220 Millionen)
- Anglikanische Christen (80 Millionen)
- Buddhismus (379 Millionen)
- Sikhismus (25 Millionen)
- Judentum (15 Millionen)
- Ethnoreligionen (256 Millionen)
- Atheismus (152 Millionen)
- Afrikanische Religionen (100 Millionen)
- Neue Religionen (108 Millionen)
Stand Mitte 2005, Weltbevölkerung: 6,454 Milliarden.
Statistik C - Religionen in Deutschland - Zugehörige (Quelle: REMID)
- Römisch-Katholische Kirche (25,90 Millionen oder 31,4 %), Stand: 12/2005
- Evangelische Landeskirchen (25,63 Millionen oder 31,1%), Stand: 12/2004
- Atheismus, Nichtreligiöse (23,4 Millionen), Stand: 12/2004
- Islam (gesamt: 3,3 Millionen), Stand: 12/2004
- Neuapostolische Kirche (0,38 Millionen), Stand: 12/2004
- Judentum (gesamt: 0,21 Millionen), Stand: 12/2004
- Buddhismus (gesamt: 0,21 Millionen), Stand: 12/2004
- Jehovas Zeugen (gesamt 0,163 Millionen), Stand 2005
- Hinduismus (gesamt: 0,092 Millionen), Stand: 12/2004
Für Österreich siehe: Anerkannte Religionen in Österreich
[Bearbeiten] Religion und Ethik
Die meisten alten Religionen hatten zugleich den Anspruch menschliches Zusammenleben durch Gesetze zu regeln (10 Gebote). Die meisten Religionen der Gegenwart haben ein ethisches Wertesystem, dessen Einhaltung sie fordern. Dieses System umfasst Vorstellungen darüber, was richtig und falsch und was gut und böse ist, wie ein Angehöriger der jeweiligen Religion zu handeln und teilweise zu denken hat. Immer also findet sich eine zugrundeliegende Auffassung über die Welt, die Natur und die Stellung des Menschen dazu darin. Obgleich sich diese Vorstellungen historisch wandeln, stehen hinter solchen religiösen Pflichten in fast allen Religionen ähnliche ethische Prinzipien. Diese sollen das konfliktarme Miteinander der Mitglieder der Religionsgemeinschaft regeln, sollen Gesellschaft und zum Teil Politik positiv beeinflussen und die Menschen individuell dem jeweiligen religiösem Ziel näher bringen. Zum Teil bieten sie für den Einzelnen einen moralischen Rahmen, der ihn psychisch und physisch stabilisieren kann.
In einigen Religionen sollen diese moralischen Gesetze der jeweiligen Überlieferung nach direkt dem Religionsstifter von der entsprechenden Gottheit überbracht worden sein und somit höchste Autorität besitzen. Nach dieser Vorstellung müssen sich auch weltliche Herrscher diesen ethischen Anforderungen beugen. Gehorsam wird teilweise unter Androhung von diesseitigen oder jenseitigen Strafen gefordert oder als einziger Weg zum Heil dargestellt.
Häufig existieren noch weitere Regeln, die nicht direkt vom Stifter der Religion stammen, sondern aus den heiligen Schriften und anderen Tradierungen der jeweiligen Religion abgeleitet werden (z. B. Talmud, Sunna). Einige dieser Normen verloren im Laufe der historischen Entwicklung für viele Gläubige ihren Sinn und wurden in einigen Fällen den sehr unterschiedlichen Wertesystemen der entsprechenden Zeit angepasst.
[Bearbeiten] Ethik im Judentum und Christentum
Die gelebte Ethik von Judentum und Christentum unterscheidet sich unter anderem dadurch, ob die jeweilige Religion mit einem weiten individuellem Denk- und Handlungsspielraum, traditionell oder fundamentalistisch ausgelegt wird. Auch innerhalb der einzelnen Religionen gibt es häufig unterschiedliche Schulen, welche die jeweilige Morallehre verschieden auslegen und anwenden. So gab es z. B. im Christentum Strömungen, die das Alte Testament aufgrund der darin sehr gewalttätig wirkenden Gottheit "verbannen" wollten.
Judentum und Christentum verbindet in ihren ethischen Systemen beispielsweise der Gedanke an eine Endzeit. Dieses lineare Verständnis von Zeit bedeutet, dass die Gläubigen im Diesseits nach den von ihrer Gottheit geforderten Regeln leben, um den Lohn dafür in einer späteren Zeit zu erhalten; obgleich die Gottheit auch im Diesseits schon wirken kann. Allerdings wird im Protestantismus ebenso oftmals die göttliche Gnade für ausschlaggebend gehalten, auch teilweise unabhängig von der Befolgung moralischer Postulate. Das Judentum ist weniger jenseitsbezogen jedoch gebotreicher als das Christentum, was sich u. a. im hebräischen Wort für Religion, nämlich Torah (Gesetz), widerspiegelt. Ähnlich wie im Hinduismus gibt es genaue Anweisungen, wie die Handlungsweisen des Mitglieds in der Gruppe sein sollen. In den christlichen Religionen sind durch die Relativierungen ihres Stifters und die neuplatonischen Einflüsse weit weniger Richtlinien vorgegeben - beispielsweise die aus dem alttestamentlich-jüdischen Glauben übernommenen Zehn Gebote.
[Bearbeiten] Ethik im Islam
Die Ethik im Islam ist ähnlich wie im Judentum sehr stark an Gebote für einzelne Situationen gebunden. Der Koran gibt genaue Anweisungen für die Handlungen des Einzelnen in der Gruppe. Wichtig für den Islam ist eine kollektive Verantwortung für Gut und Böse. Dies wird beispielsweise in der Anweisung al-amr bil ma'ruf wa n-nahi an al-munkar (das Gute befehlen und das Schlechte verbieten) deutlich. In Folge besteht die Gefahr einer unumschränkten Befehlsgewalt der Gemeinschaft (siehe auch Hisba und Hisbah). Der Islam geht in seinen Hauptrichtungen Sunna und Schia von der Prädestination (Vorherbestimmung) aus, die dem Individuum nur begrenzten Handlungsspielraum zugesteht. In fundamentalistisch ausgerichteten Staaten (islamische Gottesstaaten) hat die Scharia als islamisches Recht eine wesentliche Bedeutung.
[Bearbeiten] Ethik bei den "östlichen Religionen"
Religionen wie der Buddhismus, der Hinduismus oder auch der Daoismus stellen ebenso ethische Anforderungen, wie unter anderem die Überwindung von Hass, Habgier, Lüge sowie besonders Gewaltlosigkeit. Dabei werden die Regeln an einer angenommen kosmischen Gesetzmäßigkeit bzw. einem Weltprinzip ausgerichtet (z. B. Dharma im Hinduismus und im Buddhismus, Dao im Daoismus). Dieses kosmische Weltprinzip beinhaltet ethische Vorgaben für jedes Individuum. Von den Anhängern wird erwartet, die Gesetzmäßigkeiten des Daseins zu erkennen und entsprechend zu handeln. So existieren z. B. Tötungsverbote, die sich teilweise auch auf Tiere beziehen.
Abweichendes Verhalten wird in solchen Religionen weniger von der Religionsgemeinschaft sanktioniert, sondern soll vor allem negative Konsequenzen für das Individuum z. B. in einer der nächsten Existenzen nach sich ziehen (im Hinduismus, Buddhismus, Jainismus innerhalb der Vorstellung von Karma und Wiedergeburt, Samsara); im Daoismus und chinesischen Buddhismus äußern sich diese Konsequenzen z. B. innerhalb der daoistischen bzw. buddhistischen "Hölle", wo grausame Strafen auf Missetäter warten. Die populäre Annahme, dass "östliche Religionen" bedingt durch deren Ethik weniger zu Gewalt neigen, kann wissenschaftlich nicht bestätigt werden, da Gewalt eher von den jeweiligen Machthabern, als von den religiösen Autoritäten selbst ausgeht. Aber, religiös motivierte Gewalt, wie wir sie aus der Kreuzzugs-, Conquista-, Missionierungs-Historie im christlichen Kulturkreis oder auch im Rahmen der islamischen Expansion kennen, tritt im Kulturkreis östlicher Religionen deutlich seltener auf.
Siehe auch: Buddhistische Ethik
[Bearbeiten] Ethik bei indigenen Kulturen
Indigene Kulturen, die oftmals auch mit den problematischen Begriffen "Naturvölker" oder "Stammeskulturen" bezeichnet werden, weisen häufig Moralsysteme auf, welche die Gemeinschaft schützen sollen. Da nur durch ein funktionierendes Sozialbewusstsein das Überleben der Gruppe gesichert werden kann, steht ein prosoziales Verhalten im Mittelpunkt der mündlich weitergegebenen Verhaltensweisen. Diese "Naturreligionen" beinhalten weiterhin Rituale zur Beeinflussung ihrer Götter bzw. Naturgewalten.
[Bearbeiten] Religion in der Neuzeit
Seit dem Beginn der Neuzeit beanspruchen die Natur- und Geisteswissenschaften verbunden mit der Idee eines natürlichen Grundrechts Autorität in Fragen zu Evolution oder Ethik/Recht – Bereiche, die zuvor der Religion unterstanden. Diese Entwicklung wird als Säkularisierung bezeichnet. Erklärungsversuche für dieses Phänomen beziehen sich oft auf die Industrielle Revolution, die allmähliche Überwindung des Ständestaates und den damit verbundenen ökonomischen, sozialen, kulturellen und rechtlichen Wandel.
Seitdem ist – im Gegensatz zu den vormodernen christlichen Gesellschaften, in denen alle Bereiche menschlichen Lebens unter der Autorität der Religion standen – eine Tendenz bemerkbar, die zunehmend Bereiche der Gesellschaft aus dem vormaligen Herrschaftsbereich der Religion ausgliedert. (Émile Durkheim)
In Europa verlor das Christentum im späten 19. Jahrhundert und im gesamten 20. Jahrhundert hinsichtlich seiner Reputation, seines gesellschaftlichen und politischen Einflusses und seiner Verbreitung an Bedeutung. Einige traditionell christliche westliche Länder verzeichnen sinkenden Klerikernachwuchs, Verkleinerung der Klöster und ein Anwachsen von Kirchenaustritten oder andere Formen von Distanzierung.
Besonders in Frankreich, wo Napoleon die Schließung und Enteignung von Klöstern angeordnet hatte und Anfang des 20. Jahrhunderts eine strikte Trennung von Kirche und Staat durchgesetzt wurde, ging der gesellschaftliche Einfluss der Kirchen zurück. In den ehemaligen sozialistischen Staaten ist eine ambivalente Entwicklung festzustellen. Während in den neuen Bundesländern die organisierte Religion nur eine marginale Rolle spielt, ist sie beispielsweise in Polen tief verwurzelt. Studien belegen rückläufige Besucherzahlen in Kirchen, Synagogen und anderen religiösen Einrichtungen, z.B. in Großbritannien, Deutschland und Frankreich, obwohl die Kirchen hier Umfragen zufolge weiterhin zu den anerkannten öffentlichen Einrichtungen zählen. In den meisten europäischen Staaten waren 2005 jedoch noch mehr als 50 % der Einwohner Mitglieder einer christlichen Kirche, in Polen, Irland, Spanien und Italien gilt die katholische Kirche, der jeweils mehr als 80 % der Bewohner angehören, als einflussreich.
In den meisten europäischen Ländern wurde früher oder später das Recht auf Religionsfreiheit gesetzlich verankert. Davor waren auch nichtreligiöse Menschen in aller Regel in religiöse Organisationen eingebunden, da eine demonstrative Abwendung von der Religion zu Diskriminierungen führen konnte. Diese Gruppe sieht derzeit weniger Gründe, sich einer Religionsgemeinschaft anzuschließen. Während des Kommunismus konnte in einigen Ostblockstaaten eine religiöse Orientierung zu formellen und informellen Benachteiligungen führen. In vielen europäischen Ländern ist es nach wie vor üblich, zumindest formell, einer Religion anzugehören.
Parallel zur Säkularisierung kam es sowohl im evangelischen als auch im katholischen Raum zu einer vertieften und bewussteren Teilnahme am kirchlichen Leben von Seiten einer Minderheit von engagierten und häufig kritischen Laien. Auch junge Menschen wenden sich im Zuge ihrer Sinnsuche seit Ende des vorigen Jahrtausends häufiger wieder der Religion zu.
Im Gegenzug zur Säkularisierung in Europa gewinnt die Religion in der übrigen Welt partiell an Bedeutung. In den USA und Lateinamerika beispielsweise stellt die Religion nach wie vor einen wichtigen Faktor dar. Im 20. Jahrhundert ist in Afrika der Einfluss des Christentums und des Islam erheblich gewachsen. In der arabischen Welt ist der Islam nach wie vor das prägende Element der Gesellschaft. Auch in China zählen, trotz jahrzehntelangem staatlich verordnetem Atheismus, die Weltreligionen wieder ca. 100 Millionen Anhänger.
[Bearbeiten] Positive und negative Wirkungen von Religion
Oft wird der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern einer Religion in Form einer Schaden-Nutzen-Analyse ausgetragen. Allerdings sagt das wenig über den Wahrheitswert von religiösen Botschaften aus. Dies sollte im Folgenden bedacht werden.
[Bearbeiten] Positive Wirkungen
Dass viele Menschen trotz Aufklärung und moderner Religionskritik an ihrem Glauben festhalten, hat mit positiven Erfahrungen zu tun, die sie mit ihrer Religion verbinden.
Religionen postulieren eine Realität jenseits des physisch Wahrnehmbaren sowie oft ein Leben nach dem Tod. Sie ermöglichen so eine Sinngebung, die als fundierter empfunden wird als eine Sinngebung, die durch die als unbefriedigend erlebte Welt und die eigene Sterblichkeit limitiert ist. Sie bieten ihren Anhängern häufig stabile soziale Strukturen. Fast alle Religionen setzen einen, oft rigorosen, ethischen Standard. Manche Menschen befürchten, ohne solches religiöses Fundament würden ethische Standards in der Praxis stark reduziert ("Ohne Gott ist alles erlaubt."). Diese moralischen Postulate seien wichtig, um die Gesellschaft und den einzelnen selbst vor destruktiven Exzessen zu schützen.
Außerdem besteht in zeitgenössischen Gesellschaften häufig ein Zusammenhang zwischen Demografie und religiöser Bindung. Die Geburtenrate in religiösen Gemeinschaften ist z. T. erheblich höher als die in der eher säkular geprägten Gesellschaft. Beispiele hierfür sind die Geburtenraten der türkischstämmigen Familien in Deutschland, die zum allergrößten Teil dem Islam angehören und diejenigen der orthodoxen Juden in Israel. Dieses Phänomen wird sowohl positiv wie auch negativ bewertet.
Religiöse Aktivitäten, wie Gebet oder Meditation oder auch die Sinneseindrücke und Symbolik von religiösen Zeremonien, führen bei manchen Menschen zu spirituellen Empfindungen. Religiöse Gemeinschaften können ihren Mitgliedern Inspiration für Mitgefühl, praktische Nächstenliebe und moralische Selbsteinschränkung bieten. So entwickelt sich auch ein Dialog zwischen Hirnforschern und Religionswissenschaftlern sowie Theologen, der mitunter als Neurotheologie beschrieben wird.
Alle Weltreligionen und darüber hinaus die meisten kleineren Religionen, fordern Barmherzigkeit von ihren Mitgliedern, das heißt, sie sollen sich fürsorglich um andere Menschen kümmern. Hierbei ist es weitgehend unerheblich, ob diese der eigenen Religionsgemeinschaft angehören oder nicht. So ist im Islam z. B. vorgeschrieben, dass jeder einen festen Anteil seines Einkommens für soziale Zwecke spenden soll. Besondere Hilfe und Fürsorge wird den Mitgliedern der eigenen Religionsgemeinschaft zuteil. Ein besonderer Aspekt der Religion ist der Frieden stiftende, welche besonders im Gebot der, in einigen Religionen postulierten, Feindesliebe Ausdruck findet. Alle diese Werte und Haltungen werden in unterschiedlicher Weise auch in nicht religiös orientierten Gruppierungen vertreten.
Es lässt sich beobachten, dass beispielsweise das Christentum in der Vergangenheit für die Gründung vieler großer Universitäten und Schulen, den Aufbau von Hospitälern, den Vorläufern der heutigen Krankenhäuser, das Verteilen von Nahrungsmitteln und die Schaffung von Waisenhäusern verantwortlich war. Andere Religionen und weltliche Organisationen haben im Rahmen ihrer Kulturen und im Verhältnis zu ihrer Größe und ihrem Reichtum vergleichbare Leistungen vorzuweisen.
Forschungen von Abraham Maslow nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten, dass die Überlebenden des Holocaust oft diejenigen mit starken religiösen Überzeugungen (nicht notwendigerweise Tempelbesuch etc.) waren. Die humanistische Psychologie untersuchte, ob eine religiöse oder spirituelle Persönlichkeitsprägung mit längerer Lebensdauer und besserer Gesundheit verknüpft ist. Viele Menschen brauchen möglicherweise insbesondere religiöse Bindungen, weil diese verschiedene emotionale Bedürfnisse, wie das Bedürfnis, geliebt zu werden, das Bedürfnis, zu einer gleichförmigen Gruppe zu gehören, das Bedürfnis nach verständlichen Erklärungen oder das Bedürfnis nach Gerechtigkeit befriedigen.
Maslows Ergebnisse haben sich in anderen Zusammenhängen nicht als wiederholbar erwiesen. Die These einer Korrelation zwischen Religion und Gesundheit bzw. Lebensdauer eines Individuums ist daher wissenschaftlich umstritten. Der besondere Umstand, dass Maslow ausschließlich Überlebende des Holocaust befragt hatte, und dass Religion das primäre Auswahlkriterium für die Forschungssubjekte war, könnte zu einer Verzerrung der Ergebnisse geführt haben, da gerade die - in Konzentrationslagern übliche - permanente Bedrohung des eigenen Lebens eine stärkere Hinwendung zur Religion wahrscheinlich erscheinen lässt.
Religion kann auch, soweit sie moralische Leistungen - gute Taten - fordert, neben Hilfe im Einzelfall, begrenzte oder umfassende Reformen und Verbesserungen des rechtlichen oder wirtschaftlichen Systems einer Gesellschaft motivieren.
Der deutsche Philosoph Peter Sloterdijk schreibt der Religion die Wirkung eines psychosemantischen Immunsystems zu. Im Zuge der kulturellen Entwicklung sei der Mensch offener aber auch verletzbarer geworden. Religion befähige den Menschen „Verletzungen, Invasionen und Kränkungen“ selbst zu heilen. Sloterdijk bezeichnet nicht Gott, sondern „das Wissen um Heilung als Realität, von der biologischen bis zu einer spirituellen Stufe“ als die Perle in der Muschel der Theologie (Rede beim Sprengelkonvent, St. Petri Dom Schleswig, 29. Mai 2006).
[Bearbeiten] Negative Wirkungen
Die stärkste Form negativer Wirkung stellen Religionskriege und andere Gewalttaten dar, die mit religiösen Auffassungen begründet werden. Dies werten Gläubige zumeist als Missbrauch ihrer Religion, während Religionskritiker von einer allen Religionen immanenten Tendenz zu "Fanatismus und Grausamkeit" ausgehen. Allerdings ist umstritten, ob diese Verhaltensweisen Folge von Religionen sind oder nur religiös gerechtfertigt werden.
Beispielsweise ist die römisch-katholischen Kirche für die Inquisition verantwortlich. Andere Verbrechen im Namen der Religion vor christlichem Hintergrund sind beispielsweise Kreuzzüge, Hexenverfolgung, Judenverfolgung, Gewalttätige Formen der Missionierung oder aus religiös vebrämten politischen Gründen, wie die Tötung zahlreicher so genannter Indios, Angehöriger Indigener Völker Südamerikas während der Eroberung sowie teilweise die Unterstützung von Diktaturen und die ambivalente Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus. Der Kirchen- und Religionskritiker Karlheinz Deschner hat in seinem auf zehn Bände angelegten Werk Kriminalgeschichte des Christentums eine Fülle historischen Materials zu diesem Thema ausgewertet, kommentiert und für den Laien verständlich aufbereitet.
Wo religiöse Kräfte zu viel Einfluss auf nationale und supranationale politische Strukturen haben, prägen sie entweder die Gewalt der jeweiligen Regierung oder werden von ihr geprägt. Die beiden Fälle lassen sich nicht immer deutlich unterscheiden:
- Seit der islamistischen Revolution von 1979 werden in Iran tausende von Menschen wegen sogenannter Verbrechen gegen die Religion inhaftiert, gefoltert und oft sogar ermordet. Frauen werden systematisch benachteiligt und schon wegen einer Nichteinhaltung von Bekleidungsvorschriften bestraft. Wegen so genannter moralischer Verfehlungen können sie legal öffentlich gesteinigt werden. Homosexualität gilt als Verbrechen. Religiöse Minderheiten wie die Baha'i und politische Dissidenten werden strafrechtlich und von den sogenannten Religionswächtern verfolgt.
- Im christlichen Namibia kam es in den 1990er Jahren zu Gewalttätigkeiten gegenüber Homosexuellen, die von religiösen Autoritäten aber teilweise auch von der Regierung für eine langdauernde Dürre verantwortlich gemacht wurden.
- In Indien gibt es von Zeit zu Zeit Ausschreitungen von Hindus vor allem gegenüber Muslimen und von Muslimen gegenüber Hindus.
Hinzu kommt, dass religiöse Autoritäten aller Religionen für ihre Gläubigen oft Vorschriften erlassen, die die Privatsphäre reglementieren sollen. Wie in allen Weltanschauungen, so gibt es auch in den Religionen einen sichtbaren Widerspruch zwischen theoretischem Anspruch und praktischer Umsetzung. Während Machtmissbrauch und andere Missstände im Mittelalter und der frühen Neuzeit häufig zu religiösen Erneuerungsbewegungen führten, haben sie gegenwärtig teilweise eine Abkehr von der Religion zur Folge. Es kommt aber auch zu religiösen Kritikbewegungen gegenüber als "korrupt" bezeichneten religiösen Führern, die zu fundamentalistischen Interpretationen und Praxis, bis hin zum Terrorismus, führen können.
Viele Religionskritiker betrachten religiöse Belehrungen in der frühen Kindheit als Mittel zur Anpassung an veraltete Normen. Erziehung zu religiösem Fanatismus wird von diesen, aber auch von religiös orientierten Menschen, häufig als Gehirnwäsche kritisiert.
Manche stimmen mit der marxistischen Sichtweise überein, wonach "Religion das Opium des Volkes" sei, also zur passiven Hinnahme ökonomischer und sozialer Machtstrukturen beitrage. Einige Kritiker werfen insbesondere Christen vor, durch die Hoffnung auf ein Jenseits, im Diesseits keine gesellschaftlichen Veränderungen mehr anzustreben.
Hingegen verlangen einige säkularisierte Formen von Religion so wenig Engagement, dass sie kaum Einfluss auf das Leben ihrer Mitglieder ausüben. Viele davon gehören nur formell einer Religionsgemeinschaft an, was auf ihr Alltagsleben kaum Auswirkungen hat. Nur zu bestimmten Gelegenheiten werden einige religiöse 'Dienstleistungen' in Anspruch genommen. Diese Auswirkungen der Moderne und Postmoderne werden von Gläubigen abgelehnt.
Die meisten Religionen, die christliche eingeschlossen, verhängen entweder sexuelle Tabus oder versuchen die freie sexuelle Entfaltung einzuschränken. So erzeug(t)en sie bei vielen Menschen Schuldgefühle.
[Bearbeiten] Literatur
- Thomas Gensicke: Jugend und Religiosität. In: Deutsche Shell (Hrsg.) Jugend 2006. Die 15. Shell Jugendstudie. Fischer Taschenbuch Verlag 2006.
- Betz, H. D. u. a. (Hg.): Religion in Geschichte und Gegenwart : Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaften, 4. Auflage, Bde. 1 und 8, Tübingen, Mohr-Siebeck, 1998/2005.
- Cancik, Hubert (Hrsg.), Die Religionen der Menschheit, 36 Bd.e, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart, wird seit 1979 fortlaufend überarbeitet.
- Deppert, Wolfgang, Michael Rahnfeld (Hg.), Klarheit in Religionsdingen, Aktuelle Beiträge zur Religionsphilosophie, Band III der Reihe: Grundlagenprobleme unserer Zeit, Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2003, ISBN 3-936522-44-8, ISSN 1619-3490.
- Eliade, Mircea: Geschichte der religiösen Ideen, 4 Bd.e., Freiburg (Herder) 2002, ISBN 3-451-05274-1
- Fahlbusch, Erwin (Hrsg.): Taschenlexikon Religion und Theologie, 5 Bd.e, Vandenhoeck & Ruprecht, 1983, ISBN 3-525-50123-4
- Geertz, Clifford (1987) Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt/M.: Suhrkamp
- Haußig, Hans-Michael: Der Religionsbegriff in den Religionen, Studien zum Selbst- und Religionsverständis in Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Islam, Berlin, Philo 1999, ISBN 3825701298
- Klöcker, Michael und Tworuschka, Udo: Handbuch der Religionen, Olzog Verlag, 1997 ff. (Loseblattwerk mit jährlich 3 Ergänzungslieferungen), ISBN 3-7892-9900-6
- Klöcker, Michael und Tworuschka, Udo (Hg.): Ethik der Weltreligionen. Ein Handbuch, Darmstadt 2004
- Luckmann, Thomas: Das Problem der Religion in der modernen Gesellschaft, Freiburg 1963
- Meth, Wulf (Hrsg.): Handbuch Weltreligionen: eine umfassende Einführung in Gedanken und Riten der Weltreligionen, R. Brockhaus, 2003, ISBN 3-417-24779-9
- Tworuschka, Udo: Religionswissenschaft, Stuttgart 2006
- Tworuschka, Monika und Tworuschka, Udo: Die Welt der Religionen, Gütersloh/München 2006.
- Weber, Hartwig: Lexikon Religion, Reinbek, 2001, ISBN 3499606291
- Wagner, Falk: Was ist Religion? Gütersloher Verlagshaus, 1991, ISBN 3579002678
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
Wikinews: Themenportal Religion – Nachrichten |
Wiktionary: Religion – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |
- [1] 15. Shell Jugendstudie zu Religiosität und Wertorientierungen
- Informationsplattform Religion (REMID)
- Politik und Zeitgeschichte: Religion und Gesellschaft
- C6 Magazin: Dossier über Religion und Glaube
- Heilige Texte verschiedener Religionen durchsuchen
- Religiosität als demographischer Faktor in Deutschland
- Links zum Thema „Religion und Spiritualität“ im Open Directory Project