Zugunglück von Dahlerau
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Das Zugunglück von Dahlerau war eines der schwersten Eisenbahnunglücke in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am 27. Mai 1971 kollidierten zwei Züge im Radevormwalder Ortsteil Dahlerau. Dabei starben 46 Fahrgäste, davon waren 41 Schülerinnen und Schüler der Radevormwalder Geschwister-Scholl-Schule.
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[Bearbeiten] Geschehnisse
Am Abend des 27. Mai 1971 befuhr kurz nach 21 Uhr ein Triebwagen der Baureihe VT 95 der damaligen Deutschen Bundesbahn als Sonderzug die eingleisige Eisenbahnstrecke Wuppertal-Oberbarmen - Radevormwald (Wuppertal-Bahn). Der Zug war mit einer Jahrgangsstufe der Radevormwalder Hauptschule sowie Lehr- und Begleitpersonal auf einer Schulabschlussfahrt voll besetzt und hatte etwa 30 Minuten Verspätung. Der Triebwagen befand sich kurz vor dem Bahnhof in Dahlerau. Ein entgegen kommender Güterzug, der die Strecke regelmäßig befuhr und sonst um diese Zeit nicht halten musste, sollte wegen des Sonderzuges im Bahnhof von Dahlerau warten, der Lokführer fuhr aber nach eigenen Angaben wegen des vom Fahrdienstleiter mit seiner Handleuchte signalisierten Befehls weiter. Er war von der Verspätung nicht unterrichtet. Hinter einer Kurve etwa 800 m hinter dem Bahnhof Dahlerau stießen die beiden Züge zusammen. Der Motorwagen der zweiteiligen Schienenbuseinheit wurde bei dem Aufprall der fünfmal so schweren und ca. 20 cm höheren Lok etwa 100 Meter zurückgedrückt, dabei auf etwa 1/3 seiner Länge zusammengepresst und fast vollständig zerstört.
Der Fahrdienstleiter, der vergeblich versucht hatte, die Lok zu Fuß noch zu erreichen, rief im fünf Kilometer entfernten Wuppertal-Beyenburg an, um Bescheid zu geben, dass man den Sonderzug dort aufhalten solle. Der Schienenbus war jedoch schon in Richtung Dahlerau weiter gefahren und das Unglück damit nicht mehr zu verhindern, denn es gab keine Möglichkeit, den Lokführer oder den Fahrer des Schienenbusses anzufunken. So alarmierte der Fahrdienstleiter die Rettungsleitstelle zeitlich noch vor dem Zusammenstoß, und aus dem Radevormwalder Stadtzentrum sowie aus den Städten Wuppertal, Remscheid und Solingen kamen Krankenwagen, Feuerwehr und Polizei zur Unglücksstelle. Die Rettungsarbeiten wurden durch die unwegsamen Gegebenheiten vor Ort (relativ schwer begehbare Hanglage zur Straße) und durch Eltern, die am Hauptbahnhof gewartet und von dem Unfall erfahren hatten und ihre Kinder suchten, vor allem aber auch durch weitere unzählige Schaulustige, die durch die Signalhörner der Einsatzfahrzeuge angelockt worden waren, erschwert. Dennoch konnten die Retter vielen Verletzten die nötige Hilfe rechtzeitig leisten, und 25 Menschen überlebten trotz schwerer Verletzungen. Für 41 Schülerinnen und Schüler, zwei Lehrer, eine Mutter und zwei Bahnbeamte kam die Hilfe jedoch zu spät. Lediglich ein Schüler überstand das Unglück körperlich unversehrt.
Im Rathaus wurde ein Krisenzentrum eingerichtet. Die hohe Todeszahl bedingte, dass einige der mit der Bitte um Bereitstellung von Särgen noch zu später Stunde angerufenen Bestattungsunternehmen zunächst von einem schlechten Scherz ausgingen. Die Toten wurden zur Identifizierung in die Turnhalle Bredderstraße gebracht.
[Bearbeiten] Unglücksursache
Die Ermittlungen zur Ursache des Unglücks dauerten länger als ein Jahr. Der Hergang ließ sich jedoch nicht hinreichend rekonstruieren, denn der Fahrdienstleiter des Bahnhofs starb kurze Zeit nach dem Ereignis bei einem nachgewiesenermaßen nicht selbst verschuldeten Autounfall. Der überlebende Lokführer des Güterzuges sagte in der Vernehmung aus, der Fahrdienstleiter habe ihm mit seiner grün abgeblendeten Handleuchte die freie Durchfahrt signalisiert. Die Bahnhöfe dieser Nebenstrecke verfügten über keine Ausfahrsignale. Als eine Konsequenz aus dem Unglück wurde es zur Vermeidung von Verwechselungen und Falschsignalen verboten, die grünen Blenden aus den Handleuchten weiterhin zu nutzen. Nach Abschluss der Ermittlungen am Unglücksort wurden am 1. September die Wrackteile des Schienenbusses zur Verschrottung freigegeben. Da die Maschine des Güterzuges keine größeren Schäden hatte, wurde sie repariert.
[Bearbeiten] Beerdigung
Die Mehrzahl der toten Schülerinnen und Schüler erhielt auf dem Kommunalfriedhof in Radevormwald ein gemeinsames Gräberfeld. Zur Beerdigung am 2. Juni, einem sehr warmen Tag, kamen etwa 10.000 Menschen, unter ihnen waren der damalige Bundeskanzler Willy Brandt, der Verkehrsminister und der Bundesratspräsident. Die Betroffenheit der Radevormwalder Bürger und weiten Teilen der Gesellschaft zeigte sich u. a. darin, dass in der Stadt die Geschäfte geschlossen blieben und in vielen Schaufenstern Schilder mit Beileidsbekundungen auslagen („Wir trauern mit den Hinterbliebenen der Zugkatastrophe“). Geplante Veranstaltungen wurden abgesagt, Taxen hatten Trauerflor, die Feuerwehr stand Ehrenwache. Beileidsbekundungen und Trauerkränze kamen nicht nur von der Bundesbahn und umliegenden Städten, sondern auch aus dem Ausland (Frankreich und England). Auf der nahegelegenen Bahnstrecke wurde der Zugverkehr in der Zeit der Beerdigung ausgesetzt. Indirekt forderte das Unglück an diesem Tag ein weiteres Todesopfer; der Onkel eines verstorbenen Kindes brach auf dem Friedhof bei den hohen Temperaturen zusammen und starb an einem Herzinfarkt.
Ein steinernes Denkmal mit der Inschrift: „Komme Geist von den vier Winden herbei und hauche diese Toten an, damit sie lebendig werden“ (Ezechiel 37,9) wurde neben den Gräberreihen aufgestellt. Aufgrund der von vielen als unangebracht hoffnungsvoll und zuversichtlich empfundenen Inschrift („...damit sie lebendig werden“), war das Denkmal zunächst umstritten.
[Bearbeiten] Nachwirkungen
Bis heute, 35 Jahre später, ist das Zugunglück auch in der jüngeren Radevormwalder Bevölkerung ein um den Jahrestag immer wieder aufgegriffenes Thema. Während manche Menschen das Interesse als Sensationsgier werten und es begrüßen würden, das Thema ruhen zu lassen, sehen andere im bekundeten Interesse der Bevölkerung nicht nur den Wunsch, sich auch mit diesem dunklen Kapitel der Radevormwalder Stadtgeschichte zu beschäftigen, sondern auch ein Zeichen mangelhafter Aufarbeitung der Geschehnisse. Zur damaligen Zeit war es noch nicht üblich, bei solch schweren Unglücken professionelle Notfallseelsorge und langfristige, kompetente psychologische Begleitung für Überlebende, Angehörige und Rettungskräfte anzubieten, um die Belastungsreaktionen aufzufangen. Während bei den meisten anderen größeren Unglücken dieser Art Menschen aus verschiedenen Städten betroffen sind, konzentrierten sich die Folgen des Radevormwalder Eisenbahnunglücks auf eine im Vergleich kleine Stadt und noch dazu auf eine einzige Klassenstufe einer Schule. So kam es z.B. zu Anfeindungen zwischen Familien, Fragen, warum diese Kinder gestorben und jene überlebt hatten, spalteten und wirkten sich auf das sozialpsychologische Klima der Kleinstadt aus. Bis heute sind für Außenstehende schwer fassbare Nachwirkungen der damaligen Situation und der kollektiven und stark zentrierten Trauer und Erschütterung in Radevormwald spürbar. Den meisten Bürgern ist das Unglück bekannt, viele haben Verwandte oder Bekannte, die damals direkt oder indirekt betroffen waren. Es wurde von jungen Menschen im Alter von heute Mitte 20 berichtet, dass z. B. Gedanken an das Unglück beim Befahren der Autostraße am Unglücksort immer wieder auftauchen, oder dass es eine beklemmende Angst vor dem Zugfahren gibt, die nicht rational erklärt werden kann. So kann das heute noch bestehende Interesse am Austausch über das Unglück und seine Folgen durchaus auch auf ein sogenanntes „Trauma der 2. Generation“ zurückgeführt werden, also auf ein psychisches Trauma, dessen Folgen latent und weitgehend indirekt auf die nachfolgende Generation wirken. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich bei diesem Phänomen um posttraumatische Belastungsstörungen handelt, wie man sie beispielsweise bei Nachkommen von Überlebenden des Holocaust beobachten kann (mittlerweile bereits in der 3. Generation). Der Wunsch nach Information und Gespräch interessierter auch jüngerer Radevormwalder sollte vor diesem Hintergrund als Wunsch nach individueller Bearbeitung und letztlich auch Verarbeitung dieses Ereignisses aus der allgemeinen Stadt- und teilweise auch privaten Familiengeschichte akzeptiert und angemessen unterstützt werden.
Das Zugunglück von Radevormwald war bis zur ICE-Katastrophe von Eschede am 3. Juni 1998 der folgenschwerste Unfall der Eisenbahn in der alten Bundesrepublik Deutschland.
[Bearbeiten] Weblinks
- Bahnhof Dahlerau (die Lok kam von oben, der Schienenbus von unten)
