Wilhelm Raabe
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Wilhelm Raabe, (Pseudonym: Jakob Corvinus; * 8. September 1831 in Eschershausen; † 15. November 1910 in Braunschweig), war ein deutscher Erzähler und einer der wichtigsten Vertreter des poetischen Realismus, besonders bekannt für seine gesellschaftskritischen Erzählungen, Novellen und Romane.
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[Bearbeiten] Leben
Wilhelm Raabe wurde als Sohn eines Justizbeamten im kleinstädtischen Eschershausen im Weserbergland geboren. Nach dem Tod des Vaters zog die Witwe mit Wilhelm und seinen zwei Geschwistern nach Wolfenbüttel. Nach dem Abbruch der Schule und einer ebenfalls 1853 abgebrochenen Buchhandelslehre in Magdeburg, versuchte Raabe in Wolfenbüttel vergeblich, das Abitur nachzuholen. In Berlin studierte er, was ihm als Bürgerssohn auch ohne Abitur möglich war. In dieser Zeit entstand sein erster Roman „Die Chronik der Sperlingsgasse“, der gleichzeitig sein größter schriftstellerischer Erfolg war.
In den fast fünfzig Jahren zwischen dem 15. November 1854, als sein erster Roman „Die Chronik der Sperlingsgasse“ erschien, und dem abgebrochenen Roman Altershausen im Jahre 1902, verfasste Raabe nicht weniger als 86 Romane, Erzählungen und Novellen. Da Raabe ausschließlich von seinen Einkünften als freier Schriftsteller lebte, war er zu dieser hohen Produktivität gezwungen. Das Spektrum seines Werks reicht von großen, realistischen Romanen und meisterhaften Novellen bis hin zu alltäglicher Unterhaltungsliteratur. Die Popularität seines Erstlingswerkes, der „Sperlingsgasse“, erreichte kein anderes seiner Bücher, die dennoch eine große Leserschaft fanden. In den 1890er Jahren wurde einigen Titeln wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Während dieses Aufschwungs wurde er auch einige Male öffentlich geehrt, obwohl er selbst sich bereits als gestorbenen Schriftsteller betrachtete. In Raabes letzten acht Lebensjahren entstanden keine neuen Werke mehr, er unternahm mehrere Reisen.
[Bearbeiten] Künstlerisches Schaffen
Raabe beobachtete besonders stark die irreparablen Risse zwischen Altem und Neuem, zwischen Geborgenheit und technischer Industrialisierung, welche sich auf Kosten der Natur und der Gemütskultur vergrößerten und vertieften. Ungeachtet dieses Verlustgefühls, sah er mit unbestechlichem Blick die dunklen Seiten des Daseins und nahm die Haltung eines Realisten und als solcher auch die des Pessimisten an. Für diese Lage empfahl er: Sieh auf zu den Sternen. Gib Acht auf die Gasse. In diesem Grundzug wurzelt auch Raabes Humor. So war Raabe kein Mensch der Idylle, obwohl er oft so gelesen bzw. interpretiert wurde, sondern blieb vielmehr ein bitterer Kritiker seiner Zeit.
In Raabes Gesamtwerk kommt ein guter Teil der deutschen Geschichte vor, zumal der Krieg. Dabei gelingt es ihm, durch die Einführung von realen Charakteren und deren Schicksalen seine Werke gegenwärtig zu machen. Doch durch Kunstgriffe der Erzählperspektive und des Stils hält er einen Abstand, der Beobachtung an Stelle von Erschütterung erlaubt.
Viele Betrachtungen und Abschweifungen, auch die (zu seiner Zeit unauffälligere) Fülle der Zitate von der Antike bis zum zeitgenössischen Volksmund erschweren heutzutage das Lesen von Raabes Werk. Es scheint auch bei flüchtiger Lektüre, als hätten seine Texte keinen Aufbau und als fehlten wichtige Zusammenhänge, doch gerade diese arbeitete er mit größter Sorgfalt und Feinheit heraus.
Die Wertungen von Raabes Dichtungen haben sich seit seinen Lebzeiten verschoben. Er selbst urteilte sehr hart über einige seiner frühen Werke, die er zum Teil als Jugendquark bezeichnete. Während früher die so genannte „Trilogie“ als Hauptwerk galt, wird heute anderen Erzählungen und Romanen den Vorzug gegeben (u. a. „Stopfkuchen“, „Horacker“, „Das Odfeld“, „Hastenbeck“, „Die Akten des Vogelsangs“).
[Bearbeiten] Wilhelm Raabes eigene kleine Biographieskizze
1906 schrieb Wilhelm Raabe eine kleine biographische Skizze, lehnte aber die Bitte nach einer Autobiografie ab:
Ich bin am 8. September 1831 zu Eschershausen im Herzogtum Braunschweig geboren worden. Mein Vater war der damalige „Aktuar“ am dortigen Amtsgericht, Gustav Karl Maximilian Raabe, und meine Mutter Auguste Johanne Frederike Jeep, die Tochter des weiland Stadtkämmerers Jeep zu Holzminden. Meine Mutter ist es gewesen, die mir das Lesen aus dem Robinson Crusoe unseres alten Landsmanns aus Deensen, Joachim Heinrich Campe beigebracht hat. Was ich nachher auf Volks- und Bürgerschulen, Gymnasien und auf der Universität an Wissenschafte zu erworben habe, heftet sich alles an den lieben feinen Finger, der mir ums Jahr 1836 herum den Punkt über dem i wies.
Im Jahr 1845 starb mein Vater als Justizamtmann zu Stadtoldendorf und zog seine Witwe mit ihren drei Kindern nach Wolfenbüttel, wo ich das Gymnasium bis 1849 besuchte. Wie mich danach unseres Herrgotts Kanzlei, die brave Stadt Magdeburg, davor bewahrte, ein mittelmäßiger Jurist, Schulmeister, Arzt oder gar Pastor zu werden, halte ich für eine Fügung, für welche ich nicht dankbar genug sein kann.
Ostern 1854 ging ich nach einem Jahr ernstlicher Vorbereitung nach Berlin, um mir auch „auf Universitäten“ noch etwas mehr Ordnung in der Welt Dinge und Angelegenheiten, soweit sie ein so junger Mensch übersehen kann, zu bringen. Im November desselben Jahres begann ich dort in der Spreegasse die „Chronik der Sperlingsgasse“ zu schreiben und vollendete sie im folgenden Frühling. Ende September 1856 erblickte das Buch durch den Druck das Tageslicht und hilft mir heute noch neben dem „Hungerpastor“ im Erdenhaushalt am meisten mit zum Leben. Denn für die Schriften meiner ersten Schaffensperiode, die bis zu letzterwähnten Buche reicht, habe ich ‚Leser’ gefunden, für den Rest nur ‚Liebhaber’, aber mit denen, wie ich meine, freilich das allervornehmste Publikum, was das deutsche Volk gegenwärtig aufzuweisen hat.
Am 24. Juli 1862 heiratete Wilhelm Raabe in Wolfenbüttel seine Frau Berta Emilie Wilhelmine Leiste.
[Bearbeiten] Auszeichnungen und Ehrungen
- 1886 Ehrengabe und später lebenslanger Ehrensold der Schillerstiftung
- 1899 Verdienstorden des Fürstentums von Bayern
- 1901 Verdienstorden der Fürstenhäuser von Baden, Braunschweig, Preußen, Sachsen-Weimar, Württemberg
- 1901 Ehrendoktor der Universitäten Göttingen und Tübingen
- 1901 Ehrenbürger der Stadt Braunschweig und der Stadt Eschershausen
- 1910 Ehrendoktor der Universität Berlin
- 1910 Ehrengrab auf dem Braunschweiger Hauptfriedhof
- 1931 Raabe-Denkmal und Wilhelm-Raabe-Schule in Eschershausen
- 1950 Wilhelm-Raabe-Warte bei Blankenburg
[Bearbeiten] Werke (in Auswahl)
- Die Chronik der Sperlingsgasse (Berlin-Roman), 1856
- Ein Frühling, 1857
- Die alte Universität, 1858
- Die Kinder von Finkenrode, 1859
- Die schwarze Galeere, Der heilige Born, Nach dem grossen Kriege, 1861
- Unseres Herrgotts Kanzlei, Verworrenes Leben, 1862
- Die Leute aus dem Walde, Holunderblüte, 1863
- Der Hungerpastor, Roman, 1864
- Drei Federn, 1865
- Die Gänse von Bützow, 1866
- Abu Telfan, 1867
- Der Regenbogen (7 Erzählungen), 1869
- Der Schüdderump, 1870 - von Raabe mit dem Hungerpastor und dem Abu Telfan als Trilogie beabsichtigt
- Der Dräumling. In: Deutsche Romanzeitung 1872; Berlin: Otto Janke 1872; Mit Dokumenten zur Schillerfeer 1859. Hg. v. Anneliese Klingenberg. Textrevision: Erika Weber. Berlin/DDR u. Weimar 1984.
- Deutscher Mondschein (4 Erzählungen), Christoph Pechlin, 1873
- Meister Autor, 1874
- Horacker, 1876
- Alte Nester, Wunnigel, 1879
- Deutscher Adel, 1880
- Das Horn von Wanza, 1881
- Fabian und Sebastian, 1882
- Prinzessin Fisch, 1883
- Villa Schönow, Pfisters Mühle, Zum wilden Mann, 1884
- Unruhige Gäste, 1885
- Im alten Eisen, 1887
- Das Odfeld, 1888 (hierin die berühmte Rabenschlacht)
- Der Lar, 1889
- Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte, 1891
- Gutmanns Reisen, 1892
- Kloster Lugau, 1894
- Die Akten des Vogelsangs, 1896
- Hastenbeck, 1899
- Altershausen, 1902 (1911 veröffentlicht)
[Bearbeiten] Literatur
- Giesbert Damaschke: Wilhelm Raabe. „Krähenfelder Geschichten“. Bern u.a.: Lang 1990. (= Narratio; 3) ISBN 3-261-04204-4
- Horst Denkler: Neues über Wilhelm Raabe. 10 Annäherungsversuche an einen verkannten Schriftsteller. Tübingen: Niemeyer 1988. (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; 46) ISBN 3-484-32046-X
- Horst Denkler: Wilhelm Raabe. Legende - Leben - Literatur. Tübingen: Niemeyer 1989. ISBN 3-484-10644-1
- Ulf Eisele: Der Dichter und sein Detektiv. Tübingen: Niemeyer 1979. ISBN 3-484-10328-0
- Werner Fuld: Wilhelm Raabe. Eine Biographie. München u.a.: Hanser 1993. ISBN 3-446-17313-7
- Wolfgang Giegerich: Der verlorene Sohn. Vom Ursprung des Dichtens Wilhelm Raabes. Essen: Verl. Die Blaue Eule 1987. (= Wilhelm-Raabe-Studien; 3) ISBN 3-89206-178-5
- Dirk Göttsche: Zeitreflexion und Zeitkritik im Werk Wilhelm Raabes. Würzburg: Königshausen u. Neumann 2000. ISBN 3-8260-1859-1
- Siegfried Hajek: Der Mensch und die Welt im Werk Wilhelm Raabes. Warendorf/Westf.: Schnell 1950.
- Ingeborg Hampl: „Grenzfälle“: Familien- und Sozialstrukturen im Erzählwerk Wilhelm Raabes. Passau: Wiss.-Verl. Rothe 1995. (= Passauer Schriften zu Sprache und Literatur; 8) ISBN 3-927575-47-X
- Friedhelm Henrich: Wilhelm Raabe und die deutsche Einheit. Die Tagebuchdokumente der Jahre 1860-1863. München: Fink 1998. ISBN 3-7705-3284-8
- Kurt Hoffmeister: Mit Dinte, Feder und Papier. Dichteralltag in Braunschweig. Wilhelm Raabes Zeit in Braunschweig 1870 bis 1910 nach Tagebuchaufzeichungen und Briefen. Wolfenbüttel: Heckner 1999. ISBN 3-449-00909-5
- Kurt Hoffmeister: Wilhelm Raabe - Schriftsteller in Wolfenbüttel. Braunschweig 2000. ISBN 3-449-91000-0
- Otto Huth: Raabe und Tieck. Essen: Verl. Die Blaue Eule 1985. (= Wilhelm Raabe-Studien; 1) ISBN 3-924368-30-9
- Nathali Jückstock-Kießling: Ich-Erzählen. Anmerkungen zu Wilhelm Raabes Realismus. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 2004. (= Palaestra; 318) ISBN 3-525-20592-9
- Arpad Klein: Versuch einer Interpretation von Wilhelm Raabes Werk. Braunschweig: Pp-Verl. 1983. (= Raabe-Forschungen; 3) ISBN 3-88712-014-0
- Hans Kolbe: Wilhelm Raabe. Vom Entwicklungs- zum Desillusionierungsroman. Berlin: Akademie-Verl. 1981.
- Ulrike Koller: Wilhelm Raabes Verlegerbeziehungen. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1994. ISBN 3-525-20570-8
- Leo A. Lensing u. Hans-Werner Peter (Hrsg.): Wilhelm Raabe. Studien zu seinem Leben und Werk. Aus Anlaß des 150. Geburtstages (1831-1981). Braunschweig: Pp-Verl. 1981.
- Rosemarie Schillemeit: Antikes im Werk Wilhelm Raabes und andere Beiträge zur Raabe-Philologie. Göttingen: Vandenhoeck u. Ruprecht 1997. ISBN 3-525-20776-X
- Sigrid Thielking (Hrsg.): Raabe-Rapporte. Literaturwissenschaftliche und literaturdidaktische Zugänge zum Werk Wilhelm Raabes. Wiesbaden: DUV 2002. ISBN 3-8244-4476-3
- Uwe Vormweg: Wilhelm Raabe. Die historischen Romane und Erzählungen. Paderborn: Igel-Verl. Wiss. 1993. (= Reihe Literatur- und Medienwissenschaft; 16) ISBN 3-927104-37-X
- Christoph Zeller: Allegorien des Erzählens. Wilhelm Raabes Jean-Paul-Lektüre. Stuttgart und Weimar: Metzler 1999. ISBN 3-476-45218-2
[Bearbeiten] Verwandte Themen
Wilhelm Raabe zu Ehren, der hier die letzten vierzig Jahre seines Lebens wohnte, stiftete die Stadt Braunschweig 2000 den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis als Nachfolger des bis 1990 vergebenen Wilhelm-Raabe-Preises.
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Wilhelm Raabe im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Texte von Wilhelm Raabe (Projekt Gutenberg-DE)
- Die Schwarze Galeere als kostenloses, vorgelesenes Hoerbuch von LibriVox
- ub.fu-berlin.de Linksammlung der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin
- Wilhelm Raabe Haus Braunschweig
- Wilhelm-Raabe.net – Angebot der Samtgemeinde Eschershausen zu den 175-Jahre-Feierlichkeiten
Commons: Wilhelm Raabe – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
Personendaten | |
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NAME | Raabe, Wilhelm |
ALTERNATIVNAMEN | Corvinus, Jakob |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Erzähler |
GEBURTSDATUM | 8. September 1831 |
GEBURTSORT | Eschershausen |
STERBEDATUM | 15. November 1910 |
STERBEORT | Braunschweig |