Pathologische Wissenschaft
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Unter pathologischer Wissenschaft versteht man nach dem Erfinder des Wortes Irving Langmuir die Forschung an nicht existierenden Phänomenen, bei denen die wissenschaftliche Selbstkontrolle eine Zeit lang versagt. Aufgrund von Wunschdenken wird ein behauptetes Phänomen so ernstgenommen, dass eine ansteigende Flut von Veröffentlichungen und Nachforschungen einsetzt, die dann aufgrund immer stärker werdender Zweifel schließlich zum Erliegen kommt. Der Unterschied zur Pseudowissenschaft besteht darin, dass das Phänomen nicht vorausgesetzt und als wissenschaftlich anerkannt dargestellt wird, sondern eine scheinbar echte, verblüffende Entdeckung darstellt. Der Unterschied zur Parawissenschaft besteht darin, dass die Entdeckung in einem bereits etablierten Bereich stattfindet und diskutiert wird, dass also die Entdecker nicht von vornherein um die Anerkennung Ihrer Arbeit kämpfen müssen.
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[Bearbeiten] Kriterien
Langmuir zählte in seinem Vortrag vor der Versammlung des Knolls Research Laboratory am 18. Dezember 1953 mehrere Kriterien auf:
- Der maximal beobachtbare Effekt wird durch eine Ursache von kaum beobachtbarer Intensität hervorgerufen; die Größe des Effektes ist im allgemeinen von der Größe der Ursache unabhängig.
- Der Effekt hat eine Größenordnung, die an der Grenze der Beobachtbarkeit liegt; es sind wegen der geringen statistischen Signifikanz der Resultate sehr viele Messungen notwendig.
- Es wird ein Anspruch auf sehr hohe experimentelle Genauigkeit erhoben.
- Phantastische Theorien, die oft der Erfahrung widersprechen, werden aufgestellt.
- Kritik wird mit ad-hoc Erklärungen erwidert.
- Das Verhältnis von Anhängern zu Kritikern steigt auf etwa 50 Prozent, um dann graduell wieder gegen null zu gehen.
[Bearbeiten] Gründe
Ein oft gemeinsamer Nenner sind emotionale Gründe, die zum Ernstnehmen eines Phänomens führen. Bei den N-Strahlen fühlten sich die Franzosen in der Zeit des Nationalismus durch die deutschen Erfolge brüskiert und eiferten um wissenschaftliche Neuentdeckungen. Es ist auch bezeichnend, dass die N-Strahlen hauptsächlich in Frankreich erforscht wurden. Beim Polywasser hatte es nach den Anfangserfolgen und der eigenen Selbstüberschätzung der russischen Wissenschaftler an der nötigen internen Kritik gefehlt; die vorhandenen Warnzeichen einiger Mitarbeiter wurden geflissentlich ignoriert. Es war für die sowjetischen Wissenschaftler wegen Ihres jahrelangen persönlichen Einsatzes dann sehr schwer, die These fallenzulassen.
Weiterhin begünstigen wissenschaftsinterne Mechanismen die Entstehung pathologischer Formen: Das bis heute übliche System der Qualitätseinstufung von Wissenschaftlern besteht darin, ob und wie häufig ein Wissenschaftler zitiert wird. Deshalb werden häufig überhastet Artikel mit entsprechend geringer experimenteller Qualität eingereicht, um auf ein derzeit modisches Thema aufzuspringen. Dies wiederum führt bei anderen Wissenschaftlern zu einer Selbstbestätigung, dass der Effekt vorhanden sein muss und damit zu einer selbstverstärkenden Nachfrage. Ein neuartiges Phänomen ist auch eine bekannte Gelegenheit, begehrte Forschungsgelder bewilligt zu bekommen. Unliebsame Forschungsergebnisse, die zum Einstellen der Forschungsgelder führen könnten, werden verharmlost oder oft nicht mal publiziert.
[Bearbeiten] Quelle
Langmuir, Irving: "Pathological science". General Electric Research and Development Center report 68-C-035 Verleger: R.N. Hall p.1-13
[Bearbeiten] Links
Langmuirs Orginalabschrift: [1]
[Bearbeiten] Beispiele
Oft genannte Beispiele für pathologische Wissenschaft sind:
- N-Strahlen
- elektrochemische Kalte Kernfusion
- Polywasser
- Marskanäle