Klerikalfaschismus
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Klerikalfaschismus bezeichnet die ideologische Nähe und praktische Zusammenarbeit von Christen bzw. Kirchen und Faschisten. Die Kritik bezog sich ursprünglich seit etwa 1930 besonders auf eine Annäherung kirchlicher Amtsträger („Klerus") und konservativ-christlicher Parteien an faschistische Parteien oder Regierungen in manchen Staaten Europas.
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[Bearbeiten] Als klerikalfaschistisch bezeichnete Regimes
- der Austrofaschismus unter Engelbert Dollfuß (1933 bis 1934) und Kurt Schuschnigg (1934 bis 1938) in Österreich
- der Franquismus unter Francisco Franco in Spanien (1939 bis 1975)
- der Estado Novo unter Antonio de Oliveira Salazar (1928 bis 1968) und Marcello Caetano (1968 bis 1974) in Portugal
- der Estado Novo unter Getúlio Dornelles Vargas in Brasilien (1930 bis 1945)
- die Ustaša-Regierung unter Ante Pavelic in Kroatien (1941 bis 1945)
- Ungarn unter Miklós Horthy (1920 bis 1944)
- Rumänien unter Ion Antonescu (1940 bis 1944)
- der Hlinka-Faschismus unter Jozef Tiso in der Slowakei (1938 bis 1945)
[Bearbeiten] Kirchengeschichte bis 1933
In der Weimarer Republik verwendete die KPD die Bezeichnung als polemischen Kampfbegriff konkret gegen die Zusammenarbeit der katholischen Zentrumspartei mit rechtsextremen Parteien. Auch in Österreich und einigen romanischen Ländern war der Begriff vor allem gegen katholische Allianzen mit aufstrebenden faschistischen Parteien gerichtet. Mit antisemitischer Propaganda versuchten diese Teile des Bürgertums, die bislang christlich-konservative Parteien wählten, für sich zu gewinnen.
Der christliche Antijudaismus war eine Wurzel des faschistischen Antisemitismus und wichtiges ideologisches Bindeglied zwischen Christentum und Faschismus vor 1933. Seine jahrhundertelange Tradierung durch kirchliche Lehre, Predigt und Volksfrömmigkeit war eine der wesentlichen Vorbedingungen für den Holocaust.
[Bearbeiten] Klerikalfaschismus während des Nationalsozialismus
Hauptartikel:Religion während des Nationalsozialismus
Nach der Machtergreifung versuchten die Faschisten Österreichs verstärkt, einer drohenden Besetzung durch die deutsche NSDAP-Regierung zuvorzukommen, indem sie auch Regierungsmethoden wie die autoritäre Staatsgliederung, Wirtschaftslenkung und Internierung von politischen Gegnern in Konzentrationslagern übernahmen.
Die Bewegung der Deutschen Christen richtete sich besonders im Bereich des Protestantismus gegen die herkömmlichen konfessionellen Strukturen, was nach Hitlers ersten Schritten zur Einbindung dann der Gleichschaltung der Kirchen Auftrieb gab. Sie strebte eine Synthese von Christentum (und damit konfessioneller Trennung) mit faschistischer, antisemitischer und rassistischer Ideologie an und eroberte seit Juni 1933 in Teilbereichen der Deutschen Evangelischen Kirche Kirchenleitungsämter. Den eigentlichen Klerikalfaschismus machen kritische Kirchenhistoriker aber in der fortgesetzten Bereitschaft hochrangiger lutherischer Kirchenführer wie Otto Dibelius, Hans Meiser und Theophil Wurm aus, mit dem NS-Regime zusammenzuarbeiten und sich mit den DC-Kirchenführern zu arrangieren. Aufgrund ihrer Bejahung der Judenpolitik des Staates widersprachen sie weder der schrittweisen systematischen Entrechtung und Enteignung des Judentums insgesamt noch der Ausgrenzung von Juden aus der Kirche.
Die Katholische Kirche verhielt sich gegenüber dem NS-System zunächst distanzierter als die evangelischen Kirchen. Doch dann schloss Papst Pius XII. mit dem NS-Regime am 20. Juli 1933 das Reichskonkordat ab und die katholische Kirche erhielt darin von Hitler weitreichende Zusagen, die bisherigen Privilegien nicht anzutasten. Hitler - von dem der Ausspruch stammt: Gläubige Soldaten sind die besten, die geben alles! - sicherte sich mit der Militärseelsorge wertvolle Unterstützung der Kirche für seine Kriegspläne. Nach Vertragsschluss riefen Hirtenbriefe regelmäßig zur Unterstützung Hitlers auf; öffentlicher Widerspruch wäre deshalb einem Widerstand gegen den Papst gleichgekommen. Dies hatte ambivalente Folgen: Ein massenhafter Widerspruch gegen die Verfolgung von Juden und Behinderten blieb unter den Katholiken ebenso aus wie unter den Protestanten. Nur einzelne Bischöfe wie Clemens August Graf von Galen nutzten ihre Machtposition, um - zeitweise erfolgreich - gegen Euthanasie zu protestieren. Dies blieb auch hier eine Ausnahmeerscheinung.
Klerikalfaschistische Tradition führte u.a. dazu, dass der Vatikan ehemaligen Nationalsozialisten nach 1945 zur Flucht vor Strafverfolgung ins Ausland verhalf (siehe z.B. Rattenlinie). In wieweit der Papst diese Praxis kannte und unterstützte, ist umstritten.
[Bearbeiten] Verwandte Begriffsverwendungen seit 1945
Manchmal wird eine Verwandtschaft christlicher Lehren und Organisationsformen mit dem Faschismus, etwa hinsichtlich des Führerprinzips im katholischen Cäsaropapismus oder autoritärer, sektenartiger Strukturen bei Gruppen des christlichen Fundamentalismus heute als christlicher Faschismus bezeichnet.
Die Theologin Dorothee Sölle verwendete den Begriff Christofaschismus auch für US-amerikanische Institute und Gruppen, die sich gegen die iberoamerikanische Befreiungstheologie wenden und ihre Anhänger gezielt ideologisch antikommunistisch und antiliberal indoktrinieren.
Nach dem Krieg wurde das Verhältnis von Kirchen und Faschismus neu bewertet. Karlheinz Deschner und andere kritische Forscher der Kirchengeschichte sprechen oft von Klerikalfaschismus, wo religiöse Intoleranz zu besonders augenfälligen Verbrechen gegen die Menschlichkeit führte, wie etwa in Zeiten der Inquisition und der Hexenverfolgungen im Mittelalter. [1]
Solche Hinweise auf die geistige Nähe und praktische Solidarität zwischen Christen und Faschisten kann eine konkrete Definition von Faschismus allerdings auch relativieren. Das gilt auch - ungeachtet äußerer Parallelen - für die ahistorische Übertragung des Begriffs auf islamistische Regimes wie den heutigen Iran, der sich als Theokratie versteht (Islamfaschismus).
[Bearbeiten] Fußnoten
- ↑ z.B. Karlheinz Deschner in Kriminalgeschichte des Christentums, Kirche und Faschismus, Mit Gott und dem Führer.
[Bearbeiten] Literatur
- Klaus-Jörg Siegfried: "Klerikalfaschismus". Sozialwissenschaftliche Studien (Herausgeber Peter Lang), Frankfurt am Main, November 1982, ISBN 3921121957
- Karlheinz Deschner: "Kirche und Faschismus"; Ullstein 1993; ISBN 3811834444
[Bearbeiten] Weblinks
- Arbeitskreis Christlicher Publizisten: Klerikalfaschismus heute
- Gedenkdienst Österreich: Austrofaschismus
- Humanist.de: Die christlichen Wurzeln des Nationalsozialismus
- Theologe.de: Die evangelische Kirche und der Holocaust