Hermann Broch
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Hermann Broch (* 1. November 1886 in Wien; † 30. Mai 1951 in New Haven (Connecticut)), war ein österreichischer Schriftsteller.
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[Bearbeiten] Leben und Werke
Nach dem Besuch einer Textilfachschule leitete er von 1909 bis 1927 die väterliche Textilfabrik in Teesdorf bei Wien. Er studierte von 1925 bis 1928 Mathematik, Philosophie und Psychologie an der Universität Wien und wurde danach freier Schriftsteller. Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich wurde er in Altaussee (Steiermark) verhaftet. Er emigrierte nach der Freilassung 1938 über England und Schottland in die USA.
Sein Schaffen ist durch die Einführung neuer Stilelemente (z.B. innerer Monolog) sowie durch die Reflexion wissenschaftlicher Erkenntnisse, Forschungen oder Träume in seinem Werk gekennzeichnet. Er befasste sich u.a. intensiv mit James Joyce, über den er den Essay James Joyce und die Gegenwart (1935) schrieb.
In der Romantrilogie Die Schlafwandler (1930/32) stellte er den Zerfall der Werte und der Persönlichkeit dar. Broch zeigt typische Reaktionen auf den Religions- und Sinnverlust der modernen Gesellschaft. Im ersten Teil der Trilogie (Pasenow oder die Romantik) wird die romantisch-nostalgische Sicht (bei Leugnung der faktischen Realität) gestaltet; im zweiten Teil (Esch oder die Anarchie) taumelt der Held orientierungslos von einem Wertsystem ins andere, ohne für seine religiösen Sehnsüchte einen Halt finden zu können; und der dritte Teil (Huguenau oder die Sachlichkeit) führt ein sachlich-zynisches Verhalten vor Augen: alle Wertsysteme werden der obersten Maxime des kommerziellen Gewinns untergeordnet. Das Buch gehört zu den wichtigsten Werken des europäischen modernen Romans und wird oft mit Joyce' Ulysses, Heinrich Manns Kaiserreich-Trilogie, Thomas Manns Zauberberg, Döblins Berlin Alexanderplatz, Musils Mann ohne Eigenschaften, Dos Passos Manhattan Transfer und Gides Les Faux-monnayeurs verglichen. Das Buch ist in seinem Anspielungsreichtum, seiner Vielschichtigkeit und dichterischen Symbolstärke immer wieder eine Herausforderung für die Interpreten. Galt der Roman, der Brochs erfolgreichstes und international verbreitetstes Werk ist, lange Zeit als typisches Buch der Klassischen Moderne, so betont die jüngere Forschung zunehmend auch die Anklänge an postmoderne Schreibweisen.
Diesem Erstlingswerk ließ Broch einen kleineren Roman mit dem Titel Die unbekannte Größe (1933) folgen. Dort werden Fragen der rationalen Lebensbewältigung in einer irrationalen Welt diskutiert, wobei die Umbrüche in der theoretischen Physik der 20er Jahre und neue Erkenntnisse in der Mathematik (mit beiden Wissenbereichen war Broch vertraut) eine große Rolle spielen. Zu den Arbeiten der frühen 30er Jahre gehören auch Brochs Dramen: die Tragödie Die Entsühnung (soziale Konflikte zur Zeit der Weimarer Republik) und die Komödie Aus der Luft gegriffen oder Die Geschäfte der Baron Laborde. In beiden werden die tragischen bzw. komischen Aspekte einer Gesellschaft geschildert, die unter die Dominanz ökonomischer Mächte geraten ist. Nicht zu unterschätzen ist auch Brochs lyrisches Werk aus den dreißiger Jahren, das bisher fast ganz unbeachtet geblieben ist, das im Kontext der Naturlyrik jener Jahre zu untersuchen aber interessante Ergebnisse zeitigen könnte. Im nie ganz abgeschlossenen sogenannten „Bergroman“ (Die Verzauberung) beschrieb Broch den Einbruch einer irrationalen Macht in ein alpines Bergdorf, der zu Ritualmord und Massenwahn führt. Das Buch, dessen erste Fassung Ende 1935 abgeschlossen wurde, ist ein Beispiel des symbolisch-parabelhaften antifaschistischen Romans der dreißiger Jahre. Das Buch enthält neben der politischen auch eine mythisch-religiöse Ebene. Mutter Gisson, die Gegenfigur zum diktatorischen Marius Ratti, trägt Demeterzüge.
Der Roman Die Verzauberung konnte gerettet werden, weil Heinrich Eduard Jacob (1889-1967) das Manuskript (Typoskript) auf seinem Weg in die Emigration im Juli 1939 in London von Stefan Zweig (1881-1942) übernommen hatte und mit nach New York nahm. Am 16. August 1939 händigte Jacob das Manuskript an Broch aus (Quelle: Briefe Brochs an Zweig vom 27. Juli und 18. August 1939 sowie an Wolfgang Sauerländer vom 28. Juli 1939). Bei diesem Manuskript handelte es sich um die erste, Ende 1935 fertiggestellte Fassung. Das Fragment der zweiten Fassung der Verzauberung, an der er mit Unterbrechungen von 1936 bis 1938 gearbeitet hatte, war Frank Thiess vor Brochs Flucht aus Österreich übergeben worden. Thiess schickte es noch im Sommer 1938 über die Schweiz an Broch, der damals zwei Monate lang bei seinen Übersetzern Edwin und Willa Muir in St. Andrews/Schottland lebte.
Die Arbeit an der Verzauberung hatte Broch 1936/37 unterbrochen, um seine Völkerbund-Resolution zu schreiben. Damit wollte er den Völkerbund aufrufen, sich für die Verteidigung der Menschenwürde und der Menschenrechte einzusetzen, um dem Totalitarismus von rechts und links Einhalt zu gebieten. Broch versuchte eine Reihe humanitärer Organisationen zur Unterstützung der Resolution zu gewinnen, doch gelang ihm das nicht. Er griff im amerikanischen Exil bei seinen Arbeiten zu den internationalen Menschenrechten auf diese Resolution, die er damals nicht veröffentlichte, zurück.
1937 entstand (als Rundfunksendung) die erste Novellen-Fassung des späteren Vergil-Romans mit dem Titel Die Heimkehr des Vergil. Als Broch im März 1938 verhaftet wurde, arbeitete er bereits an der dritten Fassung dieser Novelle, für die er den Titel Erzählung vom Tode vorgesehen hatte. Erst im amerikanischen Exil arbeitete er das Projekt zu einem umfangreichen Roman aus, dem er den Titel Der Tod des Vergil (1945) gab. Broch zieht eine Parallele zwischen der kulturellen Umbruchszeit des Augusteischen Zeitalters und seiner Gegenwart. Wie damals, meint Broch, geht eine alte Kultur zu Ende, und die Konturen einer neuen (mit einem wiederkehrenden religiösen Zentrum) deuten sich an. In den Monologen des sterbenden Vergil wird mit der Kultur der untergehenden Epoche abgerechnet und seine Traumvisionen durchschweben Bilder, die ihn in seiner Hoffnung auf den Beginn einer neuen Menschheitsepoche bestärken. Was den Stil des Buche betrifft, so wechseln Szenen von derber Realistik (Schilderung der Elendsgasse) mit politischen Diskussionen (Gespräch mit dem Kaiser Augustus) und hymnisch-lyrischen Passagen (Schicksals-Elegien und Traumsequenzen) ab.
Im amerikanischen Exil gehörten Thomas Mann und Albert Einstein zu seinen Freunden. Beide bestärkten Broch darin, eine Massenpsychologie (vergleiche seine „Massenwahntheorie“) zu schreiben. Während der Emigrationszeit setzte Broch sich auch intensiv mit Fragen der Demokratie, des Totalitarismus und der internationalen Menschenrechte auseinander, Themen zu denen er noch heute aktuelle Aufsätze schrieb. Zu seinen essayistischen Glanzleistungen gehört das Buch Hofmannsthal und seine Zeit, an dem er vor allem in den Jahren 1947 und 1948 schrieb. Darin analysiert er die Kultur des alten Österreichs im späten 19. Jahrhundert, die Zeit des Liberalismus und der Wiener Moderne, wobei er den Begriff der „fröhlichen Apokalypse“ prägte. Hofmannsthals Leben und Werk wird vor dem Hintergrund dieser untergehenden Kultur konturiert. Sein Werk wird auch mit dem von Karl Kraus verglichen, wobei deutlich wird, dass Brochs Sympathien der Absolut-Satire von Kraus gelten. Kurz vor seinem Tod erschien 1950 sein letzter Roman Die Schuldlosen. In diesem Roman in elf Erzählungen werden die Jahrzehnte zwischen 1913 und 1933 in Deutschland zeitkritisch gesichtet. Das Buch enthält auch die legendäre Geschichte der Magd Zerline, die - als Einakter aufgeführt - mit Jeanne Moreau in der Hauptrolle weltberühmt wurde, und die Hannah Arendt schon bei Erscheinen des Romans eine der schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur nannte. In seinem Todesjahr wurde Broch von einigen Freunden und literarischen Gesellschaften für den Nobelpreis vorgeschlagen. Zu den zahlreichen Intellektuellen, die Brochs Werk schätzten und über ihn geschrieben haben, zählen Maurice Blanchot, Erich von Kahler, Hannah Arendt, George Steiner, Willy Sörensen, Milan Kundera.
[Bearbeiten] Gesamtausgaben
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- Hermann Broch, Kommentierte Werkausgabe, hg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt: Suhrkamp, 1974-1981
- KW 1: Die Schlafwandler.Eine Romantrilogie;
- KW 2: Die unbekannte Grösse. Roman;
- KW 3: Die Verzauberung. Roman;
- KW 4: Der Tod des Vergil. Roman;
- KW 5: Die Schuldlosen. Roman in elf Erzählungen;
- KW 6: Novellen;
- KW 7: Dramen;
- KW 8: Gedichte;
- KW 9/ 1+2: Schriften zur Literatur;
- KW 10/ 1+2: Philosophische Schriften;
- KW 11: Politische Schriften;
- KW 12: Massenwahntheorie;
- KW 13/ 1+2+3: Briefe.
[Bearbeiten] Literatur
- Jeffrey B. Berlin: Der unveröffentlichte Briefwechsel zwischen Antoinette von Kahler und Hermann Broch unter Berücksichtigung einiger unveröffentlichter Briefe von Richard Beer-Hofmann, Albert Einstein und Thomas Mann; in: Modern Austrian Literature. Journal of the International Arthur Schnitzler Research Association, Vol. 27, No. 2, 1994. Riverside, CA (USA): University of California at Riverside, 1994, S. 39-76. ISSN 0026-7503.
- Budi Hardiman, Fransisco: Die Herrschaft der Gleichen. Masse und totalitäre Herrschaft. Eine kritische Überprüfung der Texte von Georg Simmel, Hermann Broch, Elias Canetti und Hannah Arendt. Frankfurt/M. u.a. (Peter Lang) 2001. ISBN 3631379293 (Diss.phil., München 2001)
- Stephen D. Dowden (Ed.): Hermann Broch. Literature, Philosophy, Politics. The Yale Broch Symposium 1986. Columbia, SC (USA): Camden House, Inc. 1988, ISBN 0-938100-50-5.
- Manfred Durzak: Hermann Broch. Realienbücher für Germanisten, Abt. Literaturgeschichte. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag, 1967.
- Thomas Eicher, Paul M. Lützeler, Hartmut Steinecke (Hgg): Hermann Broch. Politik, Menschenrechte - und Literatur ? Oberhausen (Rhld): Athena-Verlag, 2005, ISBN 3898962369
- Daniel Hoffmann: Broch, Hermann. In: Metzler Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur, hrsg. von Andreas B. Kilcher. Stuttgart: J.B. Metzler Verlag, 2000, S. 88-90. ISBN 3-476-01682-X.
- Michael Kessler unter Mitarbeit von Marianne Gruber, Barbara Mahlmann-Bauer, Christine Mondon und Friedrich Vollhardt: 'Hermann Broch. Neue Studien. Festschrift für Paul Michael Lützeler zum 60. Geburtstag'. Tübingen: Stauffenburg, 2003. ISBN 3-86057-161-3.
- Carsten Könneker: "Hermann Brochs Rezeption der modernen Physik. Quantenmechanik und 'Unbekannte Größe'"; in: Zeitschrift für deutsche Philologie, Sonderheft 1999, S. 205-239.
- Carsten Könneker: "Moderne Wissenschaft und moderne Dichtung. Hermann Brochs Beitrag zur Beilegung der 'Grundlagenkrise' der Mathematik"; in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Vol. 73, Nr. 2, 1999, S. 319-351.
- Michael Kessler & Paul Michael Lützeler (Hg.): Hermann Broch. Das dichterische Werk. Tübingen: Staufenberg Verlag, 1987, ISBN 3-923721-35-8.
- Paul Michael Lützeler. 'Hermann Broch - Ethik und Politik'. München: Winkler, 1972. ISBN 3-538-07806-8.
- Paul Michael Lützeler. Hermann Broch. Eine Biographie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1985, ISBN 3-518-03572-X.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): 'Hermann Broch - Briefe über Deutschland 1945-1949. Die Korrespondenz mit Volkmar von Zühlsdorff'. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 1986. ISBN 3-518-02587-2.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): Hermann Broch. Ein Lesebuch. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1987, ISBN 3-518-04427-3.
- Paul Michael Lützeler & Michael Kessler (Hg.): Brochs theoretisches Werk. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Verlag, 1988, ISBN 3-518-38590-9.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): 'Hermann Broch - Das Teesdorfer Tagebuch für Ea von Allesch'. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1995. ISBN 3-518-40674-4.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): Hannah Arendt - Hermann Broch. Briefwechsel 1946 bis 1951 Frankfurt: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 1996 ISBN 3-633-54113-6
- Paul Michael Lützeler: 'Die Entropie des Menschen. Studien zum Werk Hermann Brochs. Würzburg: Königshausen & Neumann, 2000. ISBN 3-8260-1896-6.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): 'Der Tod im Exil. Hermann Broch - Annemarie Meier-Graefe. Briefwechsel 1950-51'. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2001. ISBN 3-518-41218-3.
- Paul Michael Lützeler (Bearbeiter): Hermann Broch 1886-1951. Eine Chronik. Marbacher Magazin 94/2001. Marbach a.N.: Deutsche Schillergesellschaft, 2001, ISBN 3-933679-44-3.
- Paul Michael Lützeler, 'Kulturbruch und Glaubenskrise. Brochs 'Schlafwandler' und Grünewalds 'Isenheimer Altar. Tübingen: Francke, 2001. ISBN 3-7720-2529-3.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): 'Freundschaft im Exil: Thomas Mann und Hermann Broch'. Frankfurt a.M.: Klostermann, 2004) ISBN 3-465-03312-4.
- Paul Michael Lützeler (Hg.): 'Hermann Broch - Ruth Norden. Transatlantische Korrespondenz'. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2005. ISBN 3-518-41675-8.
- Heinz Politzer: Hermann Broch: Zur Feier meines Ablebens; in: Der Monat. Eine internationale Zeitschrift, 3. Jg., Heft 36, 1951 (Berlin-Dahlem), S. 630-632.
- Monika Ritzer: Hermann Broch und die Kulturkrise im frühen 20. Jahrhundert. Stuttgart: 1988.
- Egon Vietta: Hermann Broch. In memoriam; in: Der Monat. Eine internationale Zeitschrift, 3. Jg., Heft 36, 1951 (Berlin-Dahlem), S. 616-629.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Hermann Broch im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Kommentierte Linksammlung bei der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin
- Eintrag über Hermann Broch im Lexikon des Niederösterreichischen Landesmuseums (Für ausführlichere Informationen Registrierung notwendig)
Personendaten | |
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NAME | Broch, Hermann |
KURZBESCHREIBUNG | österreichischer Schriftsteller |
GEBURTSDATUM | 1. November 1886 |
GEBURTSORT | Wien |
STERBEDATUM | 30. Mai 1951 |
STERBEORT | New Haven (Connecticut) |