Hammerklavier
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Der Begriff Hammerklavier diente ursprünglich zur abgrenzenden Bezeichnung eines Tasteninstruments, bei dem die Saiten nicht wie etwa beim Cembalo durch Federkiele angerissen, sondern durch textilbespannte Holzhämmer angeschlagen wurden. Demnach ist auch das moderne Klavier bzw. der moderne Flügel ein Hammerklavier. In dem Maße, in dem um 1800 Kielinstrumente aus der Mode kamen und das Hammerklavier zum Standard-Tasteninstrument wurde, verkürzte sich sein Name auf das heute gebräuchliche „Klavier“, sodass der Begriff „Hammerklavier“ inzwischen nur noch für seine historisch frühen Bauformen verwendet wird.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Merkmale
Im Gegensatz zum modernen Klavier waren die Hämmer des Hammerklaviers nicht mit Filz, sondern mit Leder oder anderen Materialien überzogen und sein Rahmen war nicht aus Metall, sondern aus Holz gefertigt. Daher verfügt das Hammerklavier im Verhältnis zum modernen Klavier über eine geringerere Lautstärke. Grundsätzlich war aber bereits beim frühesten Hammerklavier – im Unterschied zum Cembalo – eine Differenzierung der Lautstärke durch den Anschlag gegeben.
Insgesamt unterscheidet sich der Klang des Hammerklaviers deutlich vom Klang moderner Klaviere. Er ist „trockener“ und in den verschiedenen Lagen deutlich unterschiedlich; während dieses von an den modernen Klavierklang gewöhnten Hörern zunächst als unausgeglichen empfunden werden kann, macht es doch den besonderen Reiz des Hammerklaviers aus.
Viele Hammerklaviere des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts verfügen über besondere Klangeffekte, die über Pedale oder Kniehebel eingeschaltet wurden, sogenannte „Veränderungen“, z. B.
- Moderator: ein zwischen Hämmer und Saiten schiebbarer Filzstreifen dämpft den Klang
- Fagottzug: ein zwischen Hämmer und Saiten schiebbarer Pergamentstreifen erzeugt eine schnarrende Klangfarbe
- Janitscharenzug: eine eingebaute Trommel mit Schellen erzeugt einen marschmusikartigen Schlagzeugeffekt, auch erzielt durch einen Balken, der auf die Basssaiten des Instruments schlägt
[Bearbeiten] Geschichte
Als Erfinder des Hammerklaviers gilt Bartolomeo Cristofori, der um 1711 erste Exemplare fertigte. Unabhängig davon erfanden auch der Franzose J. Marius (1716) und der Nordhausener Christoph Gottlieb Schröter (1717) ein Tasteninstrument, dessen Saiten nicht angezupft, sondern von Hämmern angeschlagen wurden. Für die Weiterentwicklung des Hammerklaviers war vor allem Gottfried Silbermann (1683–1753) bedeutend, der nicht nur einer der berühmtesten Orgelbauer seiner Zeit, sondern auch innovativ im Bau besaiteter Tasteninstrumente wie Cembalo, Clavichord und Hammerklavier war.
Häufig ist bei Klaviermusik des 18. Jahrhunderts offen gelassen, auf welchem Tasteninstrument sie auszuführen ist. Zum einen war es lange Zeit den Komponisten in der Regel nicht so wichtig, zum anderen standen gerade Cembalo und Hammerklavier lange Zeit in Konkurrenz, die es Verlegern und Komponisten geraten erscheinen ließ, auf eine genaue Festlegung zu verzichten, um keine Kunden zu verlieren. Ein Kuriosum ist diesbezüglich das Doppelkonzert für Cembalo, Hammerklavier und Orchester Es-dur (1788) von Carl Philipp Emanuel Bach, in dem der 74-jährige Bach die beiden Instrumente ausdrücklich aufeinander treffen lässt. Eine ausdrückliche Besetzungsangabe findet sich auch für Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 29 op. 106, die sogenannte „Hammerklavier-Sonate“.
Das veränderte Klangideal am Ende des 18. Jahrhunderts führte dann aber schnell zum Aussterben des Cembalos, während das Hammerklavier technisch immer weiter in Richtung des modernen Klaviers entwickelt wurde. Lediglich in England wurden Cembali noch bis Anfang des 19. Jahrhunderts gebaut, die als Besonderheit ein Pedal zur Registerschaltung und manchmal eines zur Betätigung eines Schwellers aufweisen, da man auf diesen späten Cembali (v. a. Jacob und Abraham Kirkman) analog zum Pianoforte auch unterschiedliche Lautstärken erzeugen wollte.
Anfang des 19. Jahrhunderts machte die Entwicklung des Hammerflügels große Fortschritte, insbesondere wurde der Tonumfang vergrößert, was die Belastung des nach wie vor aus Holz bestehenden Rahmens vergrößerte. Mit der Entwicklung von Flügeln mit einem metallenen Rahmen durch Érard ist das Ende des Hammerklaviers eingeläutet. Diese Klaviere, die sich sehr schnell durchsetzten, lassen sich bereits als frühe Entwicklungsstufen des modernen Klaviers verstehen.
[Bearbeiten] Gegenwart
In den letzten Jahrzehnten erfuhr das Hammerklavier eine Neuentdeckung im Rahmen der historischen Aufführungspraxis. Inzwischen gibt es von den Solowerken und Klavierkonzerten J. S. Bachs, C. P. E. Bachs, Mozarts und anderer Komponisten des Zeitalters Aufführungen und CD-Einspielungen mit Hammerklavieren, die die Wiederbelebung eines Klangbilds anstreben, wie es den jeweiligen Komponisten und ihrem zeitgenössischen Publikum vor Ohren stand.
[Bearbeiten] Bezeichnungen und Bauformen
Da durch die Klangerzeugung mithilfe von Hämmern eine Differenzierung von Lautstärken möglich wurde, benannte man Hammerklaviere auch nach dieser neuen Fähigkeit „Pian e Forte“ (= leise und laut) oder „Fortepiano“.
Durch die verschiedenen Anordnungsmöglichkeiten des Saitenbezugs ergaben sich verschiedene Bauformen mit zum Teil recht anschaulichen Namen:
- Tafelklavier, Square Piano
- Hammerflügel, Grand Piano
- Quer-Hammerflügel
- Pyramidenflügel
- Lyraflügel
- Giraffenklavier
- Schrankklavier
- Pianino, Piano droit
[Bearbeiten] Stangenklavier
Das Stangenklavier war eine besondere Bauform des Hammerklaviers. Im Gegensatz zum Hammerklavier sind seine Hammerköpfe wesentlich kleiner und weisen eine rundliche Form auf. Dadurch wird ein merklich härteres - aber leiseres - Klangbild erzeugt. Es konnte dem Siegeszug des Hammerklaviers jedoch nicht standhalten und verschwand Anfang des 18. Jahrhunderts wieder von der Bildfläche. An Werken für das Stangenklavier haben nur ein Zyklus von Vivaldi sowie 2 Sonaten von Boismortier einen erwähnenswerten Bekanntheitsgrad erlangt.
[Bearbeiten] Bekannte Erbauer von Hammerklavieren
[Bearbeiten] im 18. und 19. Jahrhundert
- Traugott Berndt, Breslau
- Jacob Bertsche, Wien
- Adam Beyer, London
- John Broadwood & Sons, London
- Joseph Brodmann, Wien
- Ignaz Bösendorfer, Wien
- Muzio Clementi & Co., London
- Jacobus Ball, London
- Bartolomeo Cristofori, Florenz
- Johann Christian Dietz
- Johann Christoph Jeckel, Worms
- Louis Dulcken, München
- Friedrich Ehrbar, Wien
- Sébastien Érard, Paris
- Christopher Ganer, London
- Conrad Graf, Wien
- Georg Hasska, Wien
- Matthäus Heilmann, Mainz
- Johann Sebastian Heubeck, Nürnberg
- Ferdinand Hofmann, Wien
- Johann Adolph Ibach, Beyenburg
- Johann Jakesch, Wien
- Caspar Katholnig, Wien
- Heinrich Kisting, Berlin
- Ignatz Kober, Wien
- Johann Jakob Könnicke, Wien
- Wenzel Ledezki, Wien
- Richard Lipp, Stuttgart
- Carl Mand, Koblenz
- Andreas Marschall, Kopenhagen
- Johann Müller, Berlin
- Muirwood & Co., Edinburgh
- Pleyel & Lyon, Paris
- Michael Rosenberger, Wien
- Johann Schantz, Wien
- Johann David Schiedmayer, Erlangen
- Wilhelm Constantin Schiffer, Köln
- Johann Christian Schleip, Berlin
- Christoph Friedrich Schmahl, Regensburg
- Späth & Schmahl, Regensburg
- Caspar Schmidt, Prag
- Michael und Johann Michael Schweighofer, Wien
- Benignus Seidner, Wien
- Martin Seuffert und Eduard Seuffert, Wien
- Gottfried Silbermann, Freiberg (Sachsen)
- Johann Andreas Stein, Augsburg
- Matthäus Andreas und Carl Stein, Wien
- Robert Stodart, London
- Theodor Stöcker, Berlin
- Nannette Streicher, Andreas Streicher und Johann Baptist Streicher, Wien
- Thomas Tomkison, London
- Anton Gabriel Walter, Wien
- Isaac Willis, London
[Bearbeiten] Hersteller von Hammerklavier-Kopien im 20./21. Jahrhundert
- Robert Brown, Oberndorf bei Salzburg
- Christoph Kern, Staufen im Breisgau
- Paul McNulty, Divisov, Tschechien
- Fa. Neupert, Bamberg
- Michael Walker, Altneudorf bei Heidelberg
[Bearbeiten] Bekannte Pianisten, die Hammerklaviere spielen
- Laura Alvini
- Paul Badura-Skoda
- Pieter-Jan Belder
- Malcolm Bilson
- Ronald Brautigam
- Wolfgang Brunner
- Patrick Cohen
- Jörg Ewald Dähler
- Jörg Demus
- Luc Devos
- Ursula Dütschler
- Christine Faron
- Riko Fukuda
- Christoph Hammer
- Harald Hoeren
- Stanley Hoogland
- Jos van Immerseel
- Rolf Junghanns †
- John Khouri
- Tobias Koch
- Yoshiko Kojima
- Paul Komen
- Nikolaus Lahusen †
- Trudelies Leonhardt
- Robert Levin
- Alexei Lubimov
- Zvi Meniker
- Fritz Neumeyer †
- Linda Nicholson
- Bart van Oort
- Ludger Rémy
- András Schiff
- Christine Schornsheim
- Andreas Staier
- Bradford Tracey †
- Minako Tsuruta
- Jan Vermeulen
- Temenuschka Vesselinova
- Gerrit Zitterbart
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Martha Novak Clinkscale: Makers of the Piano, 1700-1820. Oxford: Oxford Univ. Press, 1993.