Willy Liebel
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Willy Liebel (* 31. August 1897 in Nürnberg; † 20. April 1945 ebenda) war ein nationalsozialistischer deutscher Politiker und vom 16. März 1933 bis 20. April 1945 Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg.
Nach Lehrzeit in der väterlichen Druckerei nahm Liebel von 1914 bis 1918 als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Anschließend war er wieder im Familienbetrieb angestellt, den er 1926 übernahm.
Er war Mitglied der nationalistischen Verbände Reichsflagge und Tannenbergbund (Erich Ludendorff) und Gründer des nationalistischen Verbands Altreichsflagge. Am 5. November 1925 trat er in die NSDAP ein, am 27. März 1926 wieder aus, im Oktober 1928 wieder ein. Er war ab 1929 Stadtrat (Fraktion der NSDAP) in Nürnberg, ab 1930 Fraktionsführer der NSDAP im Stadtrat. Liebel war ebenfalls Mitglied der SA, zuletzt als Obergruppenführer.
Zwei Tage vor der Verhaftung des rechtmäßig gewählten Oberbürgermeisters Hermann Luppe am 18. März 1933 durch die bereits nationalsozialistisch geführte Polizei wurde Liebel vom NS-Staatskommissar des bayerischen Innenministeriums illegalerweise mit den Geschäften des ersten Bürgermeisters der Stadt Nürnberg betraut. Am 27. April 1933 wurde Liebel in der konstituierenden Sitzung des nun „gleichgeschalteten“, also NSDAP-beherrschten Stadtrats im Amt des Oberbürgermeisters bestätigt.
Von Albert Speer wurde er 1942 als Leiter ins Zentralamt des Rüstungsministeriums berufen. Das Amt des Oberbürgermeisters behielt er bei.
Liebel war Vorsitzender des Zweckverbandes Reichsparteitag, der die Organisation und Durchführung der von 1933 bis 1938 jährlich in Nürnberg stattfindenden gigantomanischen Aufmärsche der NSDAP übernahm.
Die Amtszeit Liebels war geprägt durch einen Gegensatz zu Julius Streicher, der als Gauleiter der NSDAP und Herausgeber des antisemitischen und pornographischen Hetzblatts Der Stürmer sowie aufgrund der besonderen Wertschätzung durch Adolf Hitler der de facto mächtigste Mann vor Ort war. Nach der Absetzung Streichers 1940 durch ein "Ehrengericht" anderer NSDAP-Gauleiter, an deren Zustandekommen neben Liebel auch der Nürnberger Polizeichef Benno Martin beteiligt war, wurde Karl Holz als Protegé Streichers zunächst Vizegauleiter, kurz vor Kriegsende Gauleiter der NSDAP und war damit auch der Nachfolger Streichers als örtlicher Gegenspieler Liebels. Während Streicher und Holz in rüder, offen aggressiver und brutaler Art regierten, war Liebel als jemand, der eher als Technokrat der Macht bezeichnet werden kann, in seinem Auftreten und in manchen Entscheidungen umgänglicher und konzilianter. So beließ er nach seiner (faktisch illegalen) Berufung zum Oberbürgermeister viele städtische Angestellte in ihren Positionen, die sich vor 1933 aktiv für die demokratische Republik eingesetzt hatten; damit unterscheidet sich Liebel von vielen anderen nationalsozialistischen Oberbürgermeistern. Auch aus diesem Grund war der Gegensatz Streicher und Holz einerseits, Liebel und Martin andererseits eine Konstante der Lokalpolititk während der gesamten zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur. Die Darstellung der Unterschiede des Führungsstils erlaubt keinen Rückschluss auf die jeweilige Verstrickung in die Verbrechen des Regimes. Was die praktische und tatsächliche Begehung dieser Verbrechen angeht, war Liebel aufgrund seiner Position weitaus mehr involviert als Streicher, der durch seine unaufhörliche Agitation einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, dass so viele Deutsche zur Begehung der Verbrechen bereit waren. Die Unterschiede beziehen sich also auf die Form, nicht auf den Inhalt der jeweils betriebenen, verbrecherischen Politik.
Am 27. November 1941 wurden 512 Nürnberger Juden über Zwischenstation in einem Barackenlager am Reichsparteitagsgelände nach Riga deportiert; von diesen 512 Menschen überlebten 16 die Deportation, 496 wurden ermordet (entspricht 97%).
Im März 1942 ging der zweite Zug mit Deportierten von Nürnberg ab, diesmal nach Izbica bei Lublin. Von den 426 Nürnberger Juden, die mit diesem Transport deportiert wurden, überlebte niemand.
Damit waren fast alle jüngeren und arbeitsfähigen Nürnberger Juden deportiert und zu 98,5% ermordet worden. Die meisten in Nürnberg verbliebenen Juden waren alte Männer und Frauen; unter den Männern überdurchschnittlich viele Teilnehmer des Ersten Weltkriegs, darunter viele Kriegsbeschädigte und Dekorierte. Sie wurden Ende August 1942 in drei Altersheimen zusammengefasst. Am 10. September 1942 wurden diese 533 alten Menschen in das zeitweise als Vorzeige-Konzentrationslager geführte KZ Theresienstadt in Nordböhmen deportiert. Diejenigen, die in Theresienstadt zunächst überlebten, wurden später ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Von diesen 533 Nürnberger Juden überlebten 27 die Deportation.
In Nürnberg verblieben nach diesen drei Massendeportationen nur noch wenige Juden. Die meisten von ihnen wurden im Herbst 1942 zwangsweise in die Nachbarstadt Fürth verbannt, damit Liebel nach Berlin melden konnte, dass Nürnberg „judenrein“ sei.
Die in Nürnberg nun noch verbliebenen etwa 40 Menschen, die nach den Nürnberger Gesetzen als Juden oder Halbjuden galten, lebten alle in sogenannten Mischehen, was vermutlich auch der Grund für deren Zurückstellung von den Deportationen war.
Ungewöhnlich im Vergleich mit anderen deutschen Städten ist, dass diese etwa 40 Menschen schlussendlich nicht doch noch deportiert worden sind. Der Grund dafür ist nicht bekannt. Möglicherweise hängt er mit Aktenverlusten der Gestapo durch Luftangriffe zusammen.
Von den 1631 aus Nürnberg deportierten Juden überlebten 72 (entspricht 4%).
Von den rund 200 Kindern unter den Deportierten überlebten zwei (entspricht 1%).
Liebels unmittelbare Beteiligung an der Deportation und Vernichtung der Nürnberger Juden ist nicht vollständig erforscht. In jedem Fall war er als Oberbürgermeister, gemeinsam mit dem Polizeichchef Benno Martin, maßgeblich an der Verwaltung und Organisation der Deportationen beteiligt.
In den letzten Kriegstagen kehrte er nach Nürnberg zurück. Im Palmenhofbunker, dem letzten von der lokalen NSDAP-Führung gehaltenen Standort am Polizeipräsidium, kam Liebel am 20. April 1945 durch Kopfschuss zu Tode.
Die Leiche wurde am 25. April 1945 entdeckt und provisorisch am ehemaligen Kirchhof der nahegelegenen Jakobskirche vergraben.
In der Lokalgeschichte Nürnbergs fällt die Bewertung Liebels im Vergleich zu den anderen prominenten Nationalsozialisten vor Ort, dem 1940 ins Abseits geratenen Julius Streicher und seinem Nachfolger Karl Holz, geringfügig weniger scharf verurteilend aus. So wurde nach der Einnahme der Stadt Nürnberg am 20. April 1945 gemutmaßt, Liebel sei von Karl Holz erschossen worden, weil er (Liebel) den Kampf gegen die anrückende 3. US-Infanterie-Division aufgeben und die Stadt übergeben wollte. Ob dies zutreffend ist, wird nicht mehr zu ermitteln sein, da es keine Überlebenden aus dem inneren Führungszirkel gab; gleichwohl vermittelt dieses Gerücht einen Einblick in die Sichtweise der Zeitgenossen. Diese Sichtweise der Zeitgenossen wird unter anderem durch folgendes Ereignis gestützt: Hitler gab am 19. März 1945 den sogenannten Nero-Befehl aus. Demnach waren bei Annäherung der Alliierten an eine Stadt alle Einrichtungen der Infrastruktur zu zerstören, so etwa Gaswerke, Wasserwerke, Kläranlagen, Kraftwerke, Brücken, Fernmeldeämter; es lag in Hitlers erklärter Absicht, einerseits den Alliierten den Nutzen einer eingenommenen Stadt zu verringern und so ihren Vorwärtsdrang zu stoppen, andererseits erklärte er, daß man auf die primitivsten Bedürfnisse des deutschen Volkes keine Rücksicht mehr zu nehmen hätte, da es gegen die stärkeren Ost-Völker versagt hätte und somit abzutreten hätte. Die lokale Auslösung dieses selbst für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft bemerkenswert radikalen und menschenverachtenden Befehls oblag dem Gauleiter Karl Holz. Holz gab am 16. April 1945, bei Annäherung der ersten amerikanischen Kampfeinheiten an Nürnberg, den Befehl, die Selbstzerstörung auszulösen. Hierzu sollte über den Reichssender Nürnberg das Kommando "Achtung! Achtung! Sonderkommando Z: Code 'Puma'!" gegeben werden. Im stillschweigenden oder einvernehmlichen Zusammenwirken zwischen Liebel und dem Sprecher des Senders wurde dieser Befehl, der weitere, vermutlich Tausende von Menschenleben gefordert hätte, nicht gesendet; zugleich wurde Holz unzutreffend berichtet, daß er gesendet worden sei. Liebel verfolgte damit in den letzten Tagen die Politik seines Vorgesetzten im Rüstungsministerium, Albert Speer, der ebenfalls den Nero-Befehl nachweislich hinterlief.
Die Verhinderung der Selbstzerstörung kann an der historischen Einordnung nichts grundsätzliches ändern, sie leistet jedoch für das Gesamtbild der Person Liebels einen Beitrag zur Vervollständigung. Ob Liebel durch Suizid, Tötung durch andere Bunkerinsassen oder durch Kampfhandlung starb, wurde historisch nicht zweifelsfrei ermittelt; die 1956 gerichtlich festgestellte Todesursache lautet auf Suizid.
Personendaten | |
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NAME | Liebel, Willy |
KURZBESCHREIBUNG | nationalsozialistischer deutscher Politiker und Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg. |
GEBURTSDATUM | 31. August 1897 |
GEBURTSORT | Nürnberg |
STERBEDATUM | 20. April 1945 |
STERBEORT | Nürnberg |