Reinliche Scheidung
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Als Reinliche Bescheidung wird die 1924 in Deutschland vollzogene organisatorische Trennung zwischen Fußball und anderen modernen Sportarten sowie den Turnern bezeichnet. Innerhalb des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen waren fortan keine Doppelmitgliedschaften mehr für Vereine in Sportfachverbänden wie dem Deutschen Fußballbund und der Deutschen Turnerschaft möglich. In der Folge kam es zur Spaltung zahlreicher Turnvereine in einerseits reine Turnvereine und andererseits in Sportvereine wie Fußballclubs.
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[Bearbeiten] Verhältnis Turnen und Fußball
Einer der frühen Streitpunkte zwischen Turnern und anderen Sportlern war die Frage des Wettkampfcharakters. 1891 hatte die Deutsche Turnerschaft das Turnen um Medaillen und Preise offen verurteilt. In der Folge kam es erst zu einer Ersetzung der Personenwettkämpfe durch Riegenwettkämpfe (Verein gegen Verein). Schließlich wurde auf den Turnfesten der Wettkampf komplett abgeschafft. Parallel dazu verdrängten sogenannte Frei- und Ordnungsübungen nach Adolf Spieß das Gerätturnen. Für Jugendliche wurde das Turnen unattraktiv und es erfolgte ein Zuwendung zum Sport nach englischen Vorbild. Insbesondere der Fußball wurde zur Konkurrenz. Dazu trug auch die Akzeptanz des Fußballs beim Militär bei, der 1905 in Deutschland Teil der Offiziersausbildung wurde. [1]
Während des Ersten Weltkriegs kam es zu einer Annäherung zwischen Turnern und Sportlern. In der wirtschaftlichen Not der unmittelbaren Nachkriegszeit kam es sogar zu Fusionen wie in Bielefeld zwischen dem 1. Bielefelder Fußballclub Arminia und der Turngemeinde von 1848 zur TG Arminia Bielefeld. 1920 erlaubte dann die Deutsche Turnerschaft den Fußballabteilungen ihrer Vereine die Teilnahme an der Deutschen Meisterschaft des DFB. Dies hatte weitere Fusionen zur Folge, die vielerorts zu „Turn- und Sportvereinen“ (TSV, TuS, Tuspo, TSG oder STG) führten.[2]
[Bearbeiten] Konflikt um das Fachverbandsystem
Der Konflikt zwischen Turnern und Sportlern brach bereits am 28. November 1920 wieder auf, als einige Sportverbände die Deutsche Turnerschaft aufforderten, einem Fachverbandssystem zuzustimmen. Dies hätte die Deutsche Turnerschaft zu einem reinen Fachverband reduziert. Daher lehnte diese das Anliegen ab. Im Februar 1921 kam es zum Kompromiss der Doppelmitgliedschaft: die Spielabteilungen von Turnvereinen konnten auch an den Meisterschaften der Sportverbände teilnehmen. Da die Turner jedoch seit 1918 ein Drittel ihrer Mitglieder verloren, wollte die Turnerschaft die Doppelmitgliedschaft bald wieder abschaffen. Bereits am 13. April 1922 löste sie einseitig die Vereinbarung wieder auf. Die Sportverbände reagierten darauf mit dem Ausschluss der Spielabteilungen von Turnvereinen aus ihren Wettbewerben. [2]
[Bearbeiten] Reinliche Scheidung
Nachdem die Sportverbände den Kompromiss der Gründung eines gemeinsamen Deutschen Bundes für Leibesübungen ablehnten, verkündete die Turnerschaft einseitig am 1. September 1923 die „reinliche Scheidung“ zwischen Turnen und Sport. Bis zum 1. November mussten sich die Spielabteilungen der Turner zwischen einer Mitgliedschaft entweder im Sportverband oder in der Turnerschaft entscheiden. Während daraufhin die Turnerschaft etwa 25.000 fußballspielende Mitglieder verlor, blieben die meisten Fußballabteilungen dem DFB verbunden.[2]
Die Folge war die meist 1924 vollzogene Trennung zahlreicher Vereine. Die Spielabteilungen wie Fußball, Handball oder Ähnliches trennten sich von den Turnern und machten sich selbständig.[3] So entstanden der FC Schalke 04, der sich vom TuS 1877 Schalke trennte[4] oder auch der FC St. Pauli, als sich die 1910 gegründete Fußballabteilung des Hamburg-St. Pauli TV 1862 eigenständig machte[5]. Dagegen trat beispielsweise der Eimsbütteler TV komplett aus der Turnerschaft aus.[3].
Teilweise kam es auch zu Doppelstrukturen. So gründeten ein Teil der Fußballer des Harburger TB 1865 den SV Harburg, der an den Wettbewerben der DFB-Fußballer teilnahm. Doch auch im Harburger TB 1865 gab es weiterhin eine Fußballabteilung.[3] Diese nahm wie die übrigen in der Deutschen Turnerschaft verbliebenen 676 Fußballabteilungen an der Fußballmeisterschaft der Turner teil.[2]
Fußballmeisterschaft der Deutschen Turnerschaft 1925: MTV Fürth 1926: MTV Fürth 1927: TV 1861 Forst 1928: Harburger TB 1865 1929: TV 1846 Mannheim 1930: Kruppsche TG Essen
[Bearbeiten] Ende der Trennung
Ab 1931 spielte die Deutsche Turnerschaft keine eigene Meisterschaft mehr aus. Unter der Regierung der NSDAP gehörte 1933 auch die Gleichschaltung der Turn- und Sportbewegung zum politischen Programm. Während zunächst die Arbeitersportbewegung mit der kommunistischen Kampfgemeinschaft Rote Sporteinheit und dem sozialdemokratischen Arbeiter-Turn-und-Sportbund zerschlagen wurde und danach die konfessionellen Verbände Deutsche Jugendkraft und Eichenkreuz aufgelöst wurden, erfolgte schließlich zum 10. Mai die Auflösung des Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen und die Unterordnung der einzelnen Fachverbände unter den Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten.[6] Ab diesem Moment nahmen die Fußballabteilungen der Turnvereine wie alle anderen Fußballvereine an einer einheitlichen deutschen Meisterschaft teil. Einige in Folge der reinlichen Scheidung verselbständigte Fußballabteilungen von Turnvereinen kehrten zu ihren Muttervereinen zurück, wie z.B. der SV Harburg zum Harburger TB 1865.[7]
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Hardy Grüne: Turnen, Fußball, Vaterland, in: ders.: 100 Jahre Deutsche Meisterschaft. Die Geschichte des Fußballs in Deutschland, Göttingen: Verlag Die Werkstatt. ISBN 3-89533-410-3, S. 78-86.
- ↑ a b c d Hardy Grüne: „Reinliche Scheidung“, Inflation und Fußballboom, in: ders.: 100 Jahre Deutsche Meisterschaft. Die Geschichte des Fußballs in Deutschland, Göttingen: Verlag Die Werkstatt. ISBN 3-89533-410-3, S. 122-128.
- ↑ a b c Bernd Jankowski/Harold Pistorius/Jens R. Prüß: Fußball im Norden. 100 Jahre Norddeutscher Fußball-Verband. Geschichte - Chronik - Namen - Daten - Fakten - Zahlen. Kassel: AGON Sportverlag. 2005, S. 44ff. ISBN 3-89784-270-X
- ↑ FC Schalke 04 in: Hardy Grüne (2001): Vereinslexikon. Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs. Band 7. Kassel: AGON Sportverlag, S. 401. ISBN 3-89784-147-9
- ↑ FC St. Pauli in: Hardy Grüne (2001): Vereinslexikon. Enzyklopädie des deutschen Ligafußballs. Band 7. Kassel: AGON Sportverlag, S. 431. ISBN 3-89784-147-9
- ↑ Hardy Grüne: Die Umgestaltung des deutschen Sports, in: ders.: 100 Jahre Deutsche Meisterschaft. Die Geschichte des Fußballs in Deutschland, Göttingen: Verlag Die Werkstatt. ISBN 3-89533-410-3, S. 190-198.
- ↑ Hardy Grüne: Harburger TB. Willkommen im Zirkus Jahnhöhe, in: ders.: Legendäre Fußballvereine. Norddeutschland zwischen TSV Achim, Hamburger SV und TuS Zeven, Kassel: Agon Sportverlag, 2004. S. 126-128. ISBN: 3-89784-223-8