Zwölftonmusik
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Zwölftonmusik im engeren Sinne wird eine Musik genannt, wenn sie auf Grundlage einer Zwölftontechnik bzw. einer "Zwölftonreihe" komponiert wurde. Im weiteren Sinne versteht man unter Zwölftonmusik Musik, in der auf mehr oder minder engem Raum alle zwölf Töne vorkommen. Diese weiter gefasste Art von zwölftöniger Musik gibt es auch in tonaler Musik etwa seit dem 16. Jahrhundert. Zwölftonmusik im engeren Sinne ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Hier nimmt sie die Stelle der Tonalität als musikalisches Ordnungsprinzip ein. Zwölftontechnik ist eine Methode der bewussten kompositorischen Anwendung von allen zwölf Tönen des gleichstufig temperierten Tonsystems, in der Regel unter dem Anspruch der tendenziellen Gleichberechtigung aller Töne (Atonalität). Da diese bewusste Anwendung ebenso wie das Hörerlebnis sehr unterschiedlich sein kann, kann von einer Zwölftontechnik als solche keine Rede sein, vielmehr gibt es eine große Vielfalt an Techniken. Zwölftonmusik ist damit kein Musikstil (wie z.B. der Impressionismus) oder eine Musikrichtung, sondern sie bezeichnet eine dem Musikstück zu Grunde liegende Denkweise oder Kompositionsmethode.
Zwölftonmusik und Zwölftontechnik sind allgemeine, stilübergreifende Begriffe. Hingegen wird mit dem Begriff Dodekaphonie (griech. dodeka = 12, phone = Stimme), den René Leibowitz eingeführt hat, üblicherweise die Technik der von Arnold Schönberg entwickelten „Komposition mit 12 Tönen“ bezeichnet.
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[Bearbeiten] Entstehung
Um 1920 wurden in Wien zwei unterschiedliche Zwölftontechniken entwickelt. Die zeitlich frühere war jene Josef Matthias Hauers ab 1919. Musikgeschichtlich viel einfluss- und folgenreicher war aber die durch Arnold Schönberg ab ca. 1921 begründete „Methode mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen“. Heute ist mit den Begriffen Zwölftonmusik/-technik oder Dodekaphonie überwiegend die auf Schönberg zurückgehende Richtung gemeint. Ab etwa 1930 wurde eine dritte Wiener Zwölftonschule vom ehemaligen Schönberg-Schüler Othmar Steinbauer entwickelt. Steinbauer ging von Hauers Zwölftonharmonik und Klangreihenbildung aus und entwickelte eine um logische Klangfortschreitung bemühte zwölftönige Musik, die Klangreihenmusik, sowie deren satztechnische Grundlage, die Klangreihenlehre, eine zwölftönige Satzlehre. Es wäre noch eine weitere zwölftönige Kompositionsweise, nämlich jene des Wiener Komponisten Fritz Heinrich Klein (1892-1977) zu nennen, die im Gegensatz zu den drei oben genannten nicht Schule gemacht hat. Klein war Assistent von Alban Berg und erstellte etwa den Klavierauszug zu dessen Oper "Wozzeck". Er komponierte 1920 ein zwölftöniges Klavierwerk mit dem Titel "Die Maschine". Klein war außerdem der "Entdecker" der ersten Allintervallreihe, die auch in Bergs "Lyrischen Suite" verwendet wird.
Als wichtig für Entwicklung und v.a. theoretische Untermauerung der Zwölftontechnik ist an dieser Stelle sicher auch der deutsche Sozialphilosoph Theodor W. Adorno (1903-1969) zu nennen, der die Zwölftontechnik als die progressive Antwort auf die in seinen Augen reaktionär gewordene Tonalität interpretierte und auch selbst Stücke, die auf der Zwölftontechnik basieren, komponierte. Allerdings war sein Umgang mit den Zwölferreihen nie so strikt wie etwa bei Schönberg, sondern er verteidigte, auch theoretisch, eine gewisse künstlerische Freiheit, die er von einem zu orthodoxen Umgang mit der Zwölftontechnik in Gefahr geraten sah. So erweiterte er z.B. für die Vertonung des Trakl-Gedichts "Entlang" (op. 5, Nr. 4) die Tonreihe auf 98 Töne.[1] Adorno beeinflusste auch Thomas Manns Werk Doktor Faustus, in welchem dieser seine Protagonisten musiktheoretische Reflexionen über die Zwölftonmusik bzw. -technik anstellen lässt.[2]
[Bearbeiten] Zwölftonmusik nach Josef Matthias Hauer
Hauers Zwölftontechnik als solche, wenn es sie überhaupt gibt, kann nicht ohne Weiteres beschrieben werden, denn innerhalb seines zwölftönigen Schaffens (vgl. seine Biographie) können unterschiedliche Phasen und Kompositionstechniken beschrieben werden.
Hauer entwickelte 1919, ausgehend von seiner "Klangfarbentheorie", die Forderung nach einer Klangfarben-Totalität innerhalb einer atonalen Melodie, deren "Gesetz" darin besteht, "dass innerhalb einer gewissen Tonreihe sich kein Ton wiederholen und keiner ausgelassen werden darf" (Vom Wesen des Musikalischen, 1920 - Dies ist zugleich die früheste Beschreibung einer Zwölftonreihe). Sein "Nomos" op.19 (1919) gilt als erste Zwölftonkomposition überhaupt. Hauer entwickelte im Jahr 1921 die 44 Tropen, ein Ordnungssystem im Zwölftonraum, mit deren Hilfe das Überschauen und bewusste Anwenden der Eigenschaften (z.B. Symmetrien) aller möglichen Zwölftonreihen (12! = 479.001.600) möglich ist. 1926 erfolgte die Entwicklung des zwölftönigen Kontinuums, einer aus der Zwölftonreihe heraus gebildeten Akkordfolge, die weiterhin als Grundlage einer Komposition verwendet wird. Seine Kompositionen zwischen 1919 und 1940 basieren weitestgehend auf Varianten einer Bausteintechnik, auf Tropentechnik oder auf der Kontinuum-Technik. Nach 1940 schreibt Hauer, aufbauend auf seinen philosophischen Überlegungen, nur noch sogenannte "Zwölftonspiele".
Die Unterschiede zwischen Hauers Zwölftontechnik und Schönbergs "Komposition mit 12 Tönen" sind gravierend. Hauers Denken ist zunehmend geprägt von Philosophie und Weltanschauung, von der Vergeistigung von Musik, von der Abkehr von jedem individuellen künstlerischen Ausdruck, aber auch von Melodie und Harmonik, was seine Musik auch heute noch zu einer äußerst klangschönen Alternative macht, worin auch ein Grund für das zunehmende Interesse an seinen Kompositionen gesehen werden kann.
[Bearbeiten] Zwölftontechnik nach Arnold Schönberg
Bestimmendes Element der "Komposition mit 12 Tönen" bei Arnold Schönberg sind Sequenzen, in denen alle 12 Halbtöne einer Oktave nur einmal vorkommen (Zwölftonreihen). Die Töne der Oktave werden dabei im Gegensatz zur traditionellen tonalen Musik als völlig gleichberechtigt angesehen, die Fasslichkeit von Dissonanzen, wird als gleichwertig mit der Fasslichkeit von Konsonanzen angesehen ("Emanzipation der Dissonanz"). De facto aber werden in der Dodekaphonie Konsonanzen konsequent vermieden, teilweise sogar verboten. Die Zwölftonreihe, ihr Krebs, ihre Umkehrung und ihre Krebsumkehrung sowie alle 12 Transpositionen dieser vier Formen bilden die melodische, aber auch die harmonische Materialgrundlage für eine Zwölftonkomposition.
Nach der "Auflösung" der Tonalität zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah man, da die Tonalität als Formprinzip in der Musik als überwunden und veraltet betrachtet wurde, in der Zwölftontechnik ein grundlegend neues Prinzip musikalischer Formgebung und eine logische, evolutionäre Weiterführung der Musikgeschichte.
Ab 1950 begannen Komponisten über Zwölftonreihen neben der Tonhöhe weitere Parameter (Tondauer, Tonstärke, Klangfarbe) der Töne festzulegen. Man spricht bei dieser Weiterentwicklung von Serieller Musik.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Schönberg und die Zwölftonmusik
- Zur Entwicklungsgeschichte der Zwölftonmusik
- Institut für Klangreihenmusik, mit Hörbeispielen
[Bearbeiten] Literatur
- Herbert Eimert: Lehrbuch der Zwölftontechnik. Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 1952
- Nikolaus Fheodoroff: Josef Matthias Hauer. Schriften. Manifeste. Dokumente. Edition Österreichische Musikzeit, Wien 2003
- Eberhard Freitag: Schönberg. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1973
- Josef Matthias Hauer: Vom Wesen des Musikalischen. Leipzig/Wien: Waldheim-Eberle 1920
- Helmut Neumann (Hrsg.): Die Klangreihen-Kompositionslehre nach Othmar Steinbauer. 2 Bände, Peter Lang, Frankfurt/Wien 2001
- Arnold Schönberg: Harmonielehre. 3. Auflage, Wien: Universal Edition 1922
- Arnold Schönberg: Stil und Gedanke. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch, 1992
- Arnold Schönberg: Vorschule des Kontrapunkts. Universal Edition, 1977
- Anton von Webern: Der Weg zur Neuen Musik. Wien: Universal Edition 1960
- Johann Sengstschmid: Zwischen Trope und Zwölftonspiel. Regensburg: Gustav Bosse 1980
- Josef Rufer: Die Komposition mit zwölf Tönen. Bärenreiter 1966
[Bearbeiten] Vorkommen/Werke
Die Zwölftontechnik fand mitunter in der Filmmusik bei Komponisten wie Jerry Goldsmith oder Leonard Rosenman Verwendung.
Ein markantes Beispiel hierfür ist die Musik zu dem Film PLANET OF THE APES, Jerry Goldsmith, 1968. Eine pulsierend symphonische, atonale Musik, bei der Goldsmith im Übrigen die Möglichkeiten eines konventionellen Orchesters verblüffend ausschöpft, um eine breite Wirkungspalette zu erreichen.