Vomit Visions
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Vomit Visions waren eine Punkband aus Hessen. Sie waren die erste Band, die eine Platte auf dem Label Rock-O-Rama-Records veröffentlichte.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Mitglieder
- Eric Hysteric (Erich Knodt) Gitarren,
- Hans Wurst (Volker Hanreich) Bass
- Rola Rock (Roland ?) († 1989) Gesang
- Dieter Krist (David Jones) Schlagzeug, Gitarre (2. Single)
Gastmusiker
- Leigh Kendall [[1]] Gitarre & Gesang (1. Single)
- Gilles Punkette Gitarre (2. Single)
[Bearbeiten] Geschichte
Bereits 1973 machten Erich Knodt und Dieter Krist, die sich bei einem Konzert von Tina York (!) kennengelernt hatten, mit einem 2-Spur-Tonbandgerät experimentielle Musikaufnahmen. Dabei wurden Coverversionen, zum Beispiel von „Yellow Submarine“ (The Beatles) und „Neanderthal Man“ (Hotlegs), im Lo-Fi-Sound produziert.
1977 erfasste die Punkwelle auch die tiefste hessische Provinz und aus Knodt wurde die Kunstfigur Eric Hysteric. Nachdem Hysteric vom Bass an die mit diversen Fuzzboxen und anderen Effektgeräten ausgestattete E-Gitarre gewechselt war, entwickelte er seinen unverwechselbaren Sound und schrieb die ersten eigenen Songs. Ein Ergebnis war im März 1979 die Kompilation „Would You Believe“ mit 23 Solo-Aufnahmen.
Damals war Krist Herausgeber diverser Fanzines (darunter "Help", "We Vibrate", "Same Old Song" und "Ultra Hard Core Punk Rock Sounds"), die bei Konzerten sowie in Frankfurt am Main in der Karl-Marx-Buchhandlung (Besitzer: Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer) und im Grammy-Schallplattenladen (Stiftstraße) verkauft wurden.
1978 arbeiteten Hysteric und Krist als Roadies für XTC_(Band) und verkauften Schallplatten auf dem Frankfurter Flohmarkt, wo sie Kontakte zur lokalen Punkszene (rund zehn Kettenpunks) knüpften. Die Vinyl-Junkies lernten nicht nur Herbert Egoldt vom Rock-O-Rama-Versand kennen, sondern auch Volker Hanreich aus Gießen, der im November 1978 bei Krist auftauchte, um eine seltene Platte von Lene Lovich zu erstehen.
Als Veteran der Studentenbewegung war Hanreich eigentlich viel zu alt für Punk, aber er verfügte über ein enzyklopädisches Wissen (über damals wie heute unbekannte US-Bands), beste Beziehungen zu Greg Shaw [2] (Who Put The Bomp [3], Bomp Records [4]) und Jello Biafra (Dead Kennedys, Alternative Tentacles [5]) sowie über einen Missionseifer („Wenn Punk eine Revolution war, dann ist New Wave die Gegenrevolution.“), der ihn - als Hans Wurst - zum idealen Schreiber für die diversen Fanzine-Projekte von Krist machte.
Ein Studienfreund von Hanreich war Rola Rock. Obwohl der Fan von Iggy Pop den "New Musical Express" abonniert hatte und als „Trendie“ regelmäßig den neuesten Moden folgte, lief er noch immer mit langen Haaren herum. Dies änderte sich erst, als Rock und Hanreich 1977 in einer Kneipe in Frankfurt Joe Strummer traffen. Der Diplomatensohn und Ex-Hippie, der selber gerade erst vom Pub-[6] zum Punkrock [7] gewechselt war, beschimpfte Rola, weil dieser es wagte, mit langen Haaren zum Konzert von The Clash zu gehen. Am nächsten Tag waren die Haare ab.
Unter dem Namen S.C.U.M. [8] fanden Anfang 1979 zwei oder drei chaotische Proben statt, dann hatte Eric Hysteric genug. Er emigrierte nach London, wo er die australischen Punk-Pioniere Last Words [[9]] kennenlernte, die gerade bei Rough Trade unterschrieben hatten.
Ohne Gitarristen beschränkten sich Krist, Rock und Wurst auf theoretische Erörterungen und die Produktion von Fanzines. Dies änderte sich am 20. Juni 1979. Anlass war ein Konzert von Teenage Jesus & The Jerks in Nijmwegen (Holland), das nach acht Minuten abgebrochen wurde, als Lydia Lunch Krist, der aus nächster Nähe Fotos für sein Fanzine knipste, ein (leeres) Bierglas ans Kinn knallte. Beeindruckt von der konsequenten Performance beschlossen die drei, als Vomit Visons Platten zu machen. Pläne, ein eigenes Label zu gründen, wurden zurück gestellt, weil es der Band wesentlich cooler erschien, einen Außenstehenden zahlen zu lassen. Einziger Kandidat war Herbert Egoldt, der Schallplattenversandhändler aus Köln. Hanreich überredete Egoldt dazu, ein Label zu gründen und als erste Single auf Rock-O-Rama Records etwas von den Vomit Visions zu veröffentlichen.
Ende 1979 flogen Eric Hysteric und Leigh Kendall (Bassist der Last Words) zu einer Plattenproduktion ein. Am 27. und 28. Dezember wurde im Keller von Krist vier Songs (live - die jeweils erste komplette Version war das Master) mit einer 2-Spur-Revox aufgenommen – ohne Overdubs oder sonstige technische Spielereien. Ein Auftritt am 29. Dezember beim Geräusche-für-die-80er-Festival in Hamburg platzte, weil sich Hanreich eine Rippe brach, als im Gedränge vor dem Eingang der Markthalle ein Geländer umknickte und einige Dutzend Zuschauer auf ein angrenzendes Dach stürzten.
Als schwierig erwiesen sich die Vertragsverhandlungen mit Herbert Egoldt. Weil Krist darauf bestand, einen Lizenzvertrag (bei dem alle Rechte an den Aufnahmen bei der Band blieben) abzuschließen, erschien die „Punks Are The Old Farts Of Today“ EP erst im April 1980. Obwohl es keinen Verlagsvertrag gab, wies das Schallplattenetikett den Musikverlag House Of Sound als Inhaber der Rechte an den Kompositionen aus. Um seine Rechte zu sichern, trat Hysteric, der im wesentlichen für die Musik verantwortlich war (je einen Text hatten Gilles Punkette, Hysteric, Krist und Wurst beigesteuert) zuerst der britischen Performing Rights Society und später der GEMA bei.
Während Alfred Hilsberg die Musik als peinlich „konventionellen Punk“ (Rock Session 4) bewertete, bewiesen internationale Experten mehr Sachverstand. So war in Ausgabe 3 von Kill Your Pet Puppy [[10]], dem zweiten Fanzine von Tony D., der 1976 bis 1979 Ripped & Torn [[11]] herausgegeben hatte, zu lesen: „Far out man, makes Crass seem like a bunch of choirboys.“ In Los Angeles war Slash [12], das Hausblatt der dortigen Szene, begeistert: „Great title, great name, great sound: they grate on the nerves. I love it. (...) It sure emptied my tummie quick.“
Wichtig waren auch die Texte. Bevor Hilsberg und die anderen Diskurs-Strategen von Sounds und SPEX die deutsche Variante der Indie-Ideologie überhaupt formuliert hatten, waren die Vomit Visions schon viel weiter. Realistischerweise betrachteten Hysteric & Co. die unabhängigen Labels als Teil der Kulturindustrie. Außerdem wurden die konformistischen Punkfans kritisiert, die beim Kauf überteuerter „limited editions“ und anderer Gimmicks genauso fremdbestimmt agierten wie die Konsumenten der Massenmedien. Die von Theodor W. Adorno analysierte sadomasochistische Anpassung der Subjekte an das kulturindustriell Vorgegebene brachten die Vomit Visions auf den Punk(t): „You made me passiv. Now entertain me!“
Im Mai 1981 gingen die Vomit Visions – ohne vorher zu Proben – in das Studio 61 (acht Spuren) von Tom Dokupil (The Wirtschaftswunder) in Diez. Sie nahmen vier Songs auf, von denen drei auf der zweiten Single veröffentlicht wurden. Musikalisch war die von Hans Wurst als Volker H. („Geza X [13] move over.“) produzierte Platte eine perfekte Kopie des in Hollywood [14] bzw. Huntington Beach [15] entwickelten Ultra Hardcore Punks. Sogar Diedrich Diederichsen war beeindruckt: "Sehr guter Punk von den Vomit Visions aus Deutschland: ultraschnell, ultrahart, absolute Müll-Musik, wovon es heute wirklich zu wenig gibt." (Sounds 1/1982)
Die Single erschien mit (mindestens) drei Covern. Die erste Version zierte ein Bild der Krautrock-Legende Birth Control. Dann gab es unter dem Titel "Shove It Up Your Ass“ einige Hundert Exemplare mit einem (von Rola Rock und Hans Wurst ausgesuchten) extrem geschmacklosen Pornobild. Auf dem dritten Cover war ein (bis heute ansonsten unveröffentliches) Foto der Sex Pistols zu sehen. Offiziell war diese „Vielfalt“ ein Kommentar zu den damals gerade in Mode kommenden musikindustriellen Marketingpraktiken. Tatsächlich war die Band so zerstritten, dass selbst bei Nebensächlichkeiten keine Einigung mehr zu Stande kam.
Das endgültige Aus für die Vomit Visions brachte die Entscheidung von Hysteric und Krist, den nach Meinung von Rock und Wurst „zu kommerziellen“ Song „I Hate The World“ zu veröffentlichten. Unter dem ironischen Motto „Sell Out“ waren auf dem Cover der Single Jello Biafra (wegen der Synergieeffekte mit einem Exemplar von „Same Old Song“ in der Hand) und Hans Wurst zu sehen.
Bekannter und einflussreicher als in Deutschland waren und sind die Vomit Visions in den USA. Tesco Vee [16] brachte ein ausführliches Interview mit der Band in seinem Fanzine „Touch And Go“ (No.19). Die Dead Kennedys spielten mit ihrem Song "Religious Vomit" (auf der „In God We Trust Inc.“ EP) in Titel und Sound auf die deutsche Punkband an. Darauf wies Patrick Orth, 1981 Kid-Punk (KFC-Männlein) und Herausgeber des Fanzines "Primitiefes Leben", später Geschäftsführer von JKP und V2 Records Deutschland, als Erster hin.
Besonders begeistert war Henry Rollins. In seinem Tour-Tagebuch "Get In The Van. On The Road With Black Flag" hielt er eine Begegnung fest: "2/17/83 Klon, Germany, 10:30 AM. About to leave for tonight’s show in Osnabruk. Yesterday was a trip. I met Volker and Eric Hysteric of Vomit Visions, one of my all time favorite german bands. They were real cool. They gave me the Vomit Visions singles I did not have."
Radio-DJ Rodney Bingenheimer [17], der legendäre "Mayor of the Sunset Strip" [18], hatte das Cover der "Punks Are The Old Farts Of Today" EP noch Ende der 1980er Jahre im Studio von KROQ [19] hängen. Ende der 1990er Jahre erhöhte die Wiederveröffentlichung von zwei Songs im Rahmen der „Killed By Death“-Bootlegs den Kultfaktor der Vomit Visions.
[Bearbeiten] Diskographie
Singles
- Punks Are The Old Farts Of Today EP (Punks Are The Old Farts Of Today – Entertain Me / Limited Brain – Fantasy World) [Rock-O-Rama Records] 0801 (3/80)
- Too Late – Nasty Stains / Someone VV Records 0208 (Birth Control Cover) (8/81)
- Shove It Up Your Ass! (Too Late – Bliss / Someone) VV Records 0208 (Porno Cover) (10/81)
- Too Late – Nasty Stains / Someone Wasted Vinyl Waste 3 (Sex Pistols Cover) (10/81)
- I Hate The World / Life (Eric Hysteric) Wasted Vinyl Waste 45 (6/82)
Kompilations:
- I Wanna Be Your Dog (S.C.U.M. Demo) (Bored Of Directors Compilation) Empty Records MT 011 (1986)
- Punks Are The Old Farts Of Today (Killed By Death 14) (1998)
- Someone (Killed By Death 14) (1998)