Theoretische Biologie
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Die Theoretische Biologie ist eine methodische Ergänzung der klassischerweise vor allem auf experimentellem Wege nach Erkenntnis strebenden Biologie. In der Theoretischen Biologie werden formale Modelle und Theorien abgeleitet um die organisatorische Dynamik lebender Systeme zu beschreiben. Die Theoretische Biologie stellt heute damit keine isoliert zu verstehende Disziplin dar, sondern trägt mit ihren Methoden und Ergebnissen zur Fortentwicklung fast aller Teilgebiete der Biologie bei.
Die Theoretische Biologie nimmt damit im Bereich der Biowissenschaften eine Rolle ein, die derjenigen der theoretischen Physik im Bereich der Physik entspricht oder zu entsprechen sucht. Ihre Ergebnisse bringen nicht nur ein tieferes Verständnis singulärer Phänomene, sondern auch neue Ansatzpunkte für die Suche nach Antworten auf grundlegende Fragen der Biologie.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Bereiche
Weite Teilgebiete der Theoretischen Biologie bedienen sich mathematischer Methoden zur Modellierung biologischer Zusammenhänge. Eine gewisse Verwandtschaft besteht in Teilen der Theoretischen Biologie mit Themengebieten der theoretischen Informatik, Bioinformatik und praktischen Informatik. Daneben existiert ein philosophisch geprägter Teilbereich der Theoretischen Biologie.
Unter den vornehmlich mathematisch geprägten Bereichen der Theoretischen Biologie befinden sich unter anderem:
[Bearbeiten] Theoretische Ökologie
Hier wird unter anderem versucht, Aussagen über die Bevölkerungsdynamik von Populationen zu machen. Bei der mathematischen Modellierung von Räuber-Beute-Modellen kommen verschiedene Formen von Differentialgleichungen (z.B. die Lotka-Volterra-Gleichungen) und Differenzengleichungen zur Verwendung. Eine Schwierigkeit besteht in der Tatsache, dass viele biologische Zusammenhänge in natürlicher Weise auf schwer behandelbare nichtlineare Gleichungen führen. Ein stärker anwendungsbezogener Unterbereich der theoretischen Ökologie macht sich die Möglichkeiten expliziter Computersimulation zunutze und geht von einfachen multiagentbasierten Simulationen bis zur computergestützten Darstellung ganzer Ökosysteme.
[Bearbeiten] Theoretische Neurobiologie
Gearbeitet wird, wie auch in der experimentellen Neurobiologie, auf verschiedenen Integrationsebenen. Die Aufgaben der theoretischen Neurobiologie erstrecken sich damit beispielsweise von der Modellierung eines oder einiger weniger Ionenkanäle bis hin zur Analyse und Simulation großer neuronaler Verbände. Ein Beispiel ist die Modellierung von bestimmten Hirnfunktionen, zum Beispiel die Generierung des Tag-Nacht-Zyklus (Circadiane Rhythmik). Es bestehen teils enge Verbindungen zur Neuroinformatik.
[Bearbeiten] Weitere mathematisch orientierte Felder der Theoretischen Biologie
- Theoretische Entwicklungsbiologie
- Theoretische Immunologie
- Evolutionäre Spieltheorie
- Artificial life
[Bearbeiten] Philosophisch geprägte Felder der Theoretischen Biologie
Zu den Hauptvertretern der philosophisch geprägten Theoretischen Biologie gehören Humberto Maturana und Francisco Varela.
[Bearbeiten] Entwicklung
In jüngerer Zeit ist die Entwicklung der im anglo-amerikanischen Kulturraum seit längerem stark expandierenden Theoretischen Biologie auch in Deutschland im Aufstieg begriffen. Davon zeugt die Einrichtung mehrerer Lehrstühle für Theoretische Biologie; es kann eine Diversifikation der Forschungsthemen beobachtet werden. Ein Zentrum der Theoretischen Biologie in Deutschland befindet sich in an der Humboldt-Universität zu Berlin.
[Bearbeiten] Fachjournale
[Bearbeiten] Forschungseinrichtungen
- Institut für theoretische Biologie
- Theoretische Biologie an der Uni-Bonn
- Zentrum für mathematische Biologie an der Uni-Oxford
[Bearbeiten] Fachgesellschaften
- American Mathematical Society
- British Society of Developmental Biology
- European Mathematical Society
- ESMTB: European Society for Mathematical and Theoretical Biology
- The International Biometric Society
- International Society for Ecological Modelling
- The Israeli Society for Theoretical and Mathematical Biology
- London Mathematical Society
- Société Francophone de Biologie Théorique
- Society for Industrial and Applied Mathematics
- Society for Mathematical Biology
[Bearbeiten] Literatur
- Bonner, J. T. 1988. The Evolution of Complexity by Means of Natural Selection. Princeton: Princeton University Press.
- Hertel, H. 1963. Structure, Form, Movement. New York: Reinhold Publishing Corp.
- Mangel, M. 1990. Special Issue, Classics of Theoretical Biology (part 1). Bull. Math. Biol. 52(1/2): 1-318.
- Prusinkiewicz, P. & Lindenmeyer, A. 1990. The Algorithmic Beauty of Plants. Berlin: Springer-Verlag.
- Thompson, D.W. 1942. On Growth and Form. 2nd ed. Cambridge: Cambridge University Press: 2. vols.
- Vogel, S. 1988. Life's Devices: The Physical World of Animals and Plants. Princeton: Princeton University Press.
- Signs of Life: How Complexity Pervades Biology, mit Ricard V. Sole, Basic Books, 2001, ISBN 0465019277
- How the Leopard Changed its Spots: The Evolution of Complexity, Scribner, 1994, ISBN 0025447106
(deutsch: Der Leopard, der seine Flecken verliert, Piper, München 1997, ISBN 3492038735) - Form and Transformation: Generative and Relational Principles in Biology, Cambridge Univ Press, 1996.
- Mechanical Engineering of the Cytoskeleton in Developmental Biology (International Review of Cytology), mit Kwang W. Jeon und Richard J. Gordon, Academic Press, London 1994, ISBN 0123645530
- Theoretical Biology: Epigenetic and Evolutionary Order for Complex Systems mit Peter Saunders, Edinburgh University Press, 1989, ISBN 0852246005
- Lotka, A. J. (1925): Elements of Physical Biology. Williams and Wilkins, Baltimore. ISBN 0486603466
- Lotka, A. J.: Analytical Theory of Biological Populations (The Plenum Series on Demographic Methods and Population Analysis). New York: Springer US (Plenum Press), 1998. ISBN 0306459272