Räuber-Beute-Beziehung
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Räuber-Beute-Beziehungen sind ein Teilaspekt der Nahrungsnetze und Nahrungsketten in der Ökologie. Gelegentlich wird in diesem Zusammenhang auch der Begriff Episitismus (von griech. episitismos = Beschaffung von Nahrung) im Sinne von Räuberertum verwendet.
Je mehr Beutetiere vorhanden sind, desto mehr Räuber finden Nahrung. Die Population der Räuber nimmt verschoben zur Population der Beutetiere zu. Durch die Vernichtung der Beutetiere sinkt auf Grund der fehlenden Nahrung die Anzahl der Räuber. Zwischen Räuber und Beutetier entwickelt sich ein biologisches Gleichgewicht, das die Populationsdichten der betreffenden Arten in Grenzen hält. Zudem wird das Verhalten von Räuber und Beute immer stärker auf einander abgestimmt im Sinne einer Koevolution. Zahlreiche Faktoren beeinflussen also die Struktur dieser Räuber-Beute-Beziehungen, beispielsweise: Nahrungsangebot, Klima (Dichte unabhängig), Raumkonkurrenz, Krankheitserreger, Stress, andere Räuber, Parasiten (dichteabhängig) - siehe auch Populationsdynamik.
Alle Ökofaktoren, die für ein Individuum von Bedeutung sind, wirken sich auch auf eine Population als Ganzes aus. Je dichter die Population einer Beute ist, desto leichter fällt es ihren Fressfeinden, Nahrung zu erwerben, desto stärker wird deren Population wachsen. Je dichter die Population des Fressfeinds aber wird, desto weniger Beute steht dem Einzeltier zur Verfügung, desto geringer wird die Population des Fressfeinds wachsen, desto rascher wird sich die Beutepopulation wieder erholen.
Mit dem Ziel allgemeine dynamische Eigenschaften von Räuber-Beute-Beziehungen darzustellen und zu untersuchen wurden in der theoretischen Biologie verschiedene mathematische Modelle erstellt. Einige quantitative Aspekte der Räuber-Beute-Beziehung haben 1925 und 1926 der österreichische Mathematiker Alfred James Lotka und der italienische Mathematiker und Physiker Vito Volterra in Gesetzmäßigkeiten (bekannt als Volterra-Regeln) gefasst. Sie haben damit erstmals Aspekte der Populationsentwicklung unter interspezifischer Konkurrenz quantitativ formuliert (Gleichungen siehe Spezialartikel):
- Erste Volterra-Regel (periodische Schwankung der Populationen): Die Individuenzahlen von Beute und Fressfeind schwanken bei ansonsten konstanten Bedingungen periodisch und gegeneinander zeitlich verschoben.
- Zweite Volterra-Regel (Konstanz der Mittelwerte): Die durchschnittliche Größe einer Population ist konstant; die Dichte jeder Population schwankt um einen Mittelwert.
- Dritte Volterra-Regel (schnelleres Wachstum der Beutepopulation): Wird eine Räuber-Beute-Beziehung zeitlich begrenzt gestört, so erholt sich die Beutepopulation schneller als die Räuberpopulation.
Diese Regeln sind streng allerdings nur dann anwendbar, wenn eine Beziehung nur zwischen zwei Arten besteht. Sie können allerdings auch bei komplexeren Nahrungsbeziehungen (mehrere Beutearten, mehrere Räuber, die in Nahrungskonkurrenz bezüglich der Beutearten stehen) zur groben Abschätzung verwendet werden.
Insbesondere die dritte Volterra-Regel kann zur Abschätzung von Schädlingsbefall und Folgen einer Schädlingsbekämpfung in landwirtschaftlichen Monokulturen angewendet werden. So führten wenig artspezifische Insektizide häufig nach Beendigung des Spritzens zu einer Verschlimmerung des Schädlingsbefalls. Ursache war, dass neben den Pflanzenschädlingen vor allem auch Tiere geschädigt wurden, die von den Pflanzenschädlingen lebten. Wenn nun die Insektizidgabe beendet wurde, so konnten sich die Schädlinge mangels Feinden erheblich schneller vermehren. So führte die Schädlingsbekämpfung letztlich zu noch größeren Ernteeinbußen.
Eine sehr gute Computersimulation, welche die Räuber-Beute-Beziehung anschaulich macht, ist die Simulation Wator von Alexander K. Dewdney und David Wiseman.
Untersuchungen,die der US-amerikanische Zoologe und Ökologe Paul Errington für die Räuber-Beute-Beziehung zwischen Bisamratten und Minks durchgeführt hat, zeigen allerdings, dass die Thesen von Volterra und Lotka sehr simplifizieren. Der Mink ist zwar der wichtigste Räuber der Bisamratte; die Populationsdynamik der Bisamratte ist jedoch ein dichteabhängiges Phänomen. Allein der Territorialinstinkt der Bisamratte bestimmt, wie viele Individuen in einem Lebensraum ausreichend Nahrung und genügend Raum zur Anlage von Bauen finden. Der Mink erbeutet nicht die ausgewachsenen Tiere, die sich ein Territorium erobert haben, deren Baue günstig gelegen sind und in deren Nähe ausreichend Nahrung zu finden sind. Statt dessen fällt ihm der Ausschuss der Population zum Opfer: Tiere, die erkrankt sind oder klimatischen Extremsituationen weniger gut gewachsen sind; Individuen, die kein Territorium besetzen, weil sie als Jungtiere aus dem Lebensraum ihrer Eltern vertrieben werden oder als männliche Bisamratten, die in unbekannte Gebiete abwandern um dort neue Territorien für die Fortpflanzungsperiode im Sommer zu suchen.