Pantomime
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Pantomime (griechisch: pantomímos, „alles nachahmend“) bezeichnet eine Form der darstellenden Kunst, deren Darsteller in den meisten Fällen ohne gesprochenes Wort auskommen und Szenen, Örtlichkeiten und Charaktere hauptsächlich durch Gestik und Mimik verständlich machen. Masken oder Schminkmasken können dabei Verwendung finden.
Als Gegenbewegung zum Ursprung der Pantomime aus Tanz und Zirkusartistik, den man noch im Stummfilm erkennt, hat sich eine karge, aufs Wesentliche beschränkte „autonome“ Pantomime als moderne Kunstform entwickelt. Gelegentlich wird diese Pantomime dennoch mit anderen Theaterformen verbunden, zum Beispiel beim Schwarzen Theater, seltener auch im Schwarzlichttheater. Ebenso kann die Darbietung eines Clowns pantomimische Elemente enthalten.
Die Äußerungen von Menschen, die sich z. B. nicht in einer fremden Sprache ausdrücken können, werden ebenfalls oft als „pantomimisch“ bezeichnet, sollen aber hier wegen des Umgangs mit der Kunstform Pantomime keinen Eingang finden.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Ursprünge
Der römische Pantomimus war eine Art virtuoser Solotanz. Er war weit verbreitet, bis das Christentum alle Formen öffentlicher Aufführungen verbot. Eine Kontinuität des römischen Mimus über das Mittelalter hinweg wird manchmal behauptet, lässt sich aber nicht belegen. Allerdings wurde seit der Neuzeit immer wieder versucht, verschiedenste Theaterformen durch Berufung auf die Antike zu rechtfertigen.
Mit der Commedia dell’arte, dem italienischen Stegreiftheater der Renaissance, entstand seit dem 16. Jahrhundert eine neuzeitliche Form der Pantomime, die sich über den Umweg der europäischen Metropole Paris auf der ganzen Welt verbreitete. Ihre Helden waren unter anderen die Figuren des Pagliaccio oder Pedrolino (wird zu Pierrot) oder des Arlecchino (wird zu Harlekin).
Mit dem Begriff der Pantomime verbunden ist die Vorstellung einer allgemeinen Verständlichkeit über Sprachgrenzen und Standesgrenzen hinweg. In diesem Sinne hatten auch die englischen Wanderschauspieler, die Kontinentaleuropa seit etwa 1600 bereisten, ohne die Sprachen in den von ihnen besuchten Ländern zu beherrschen, Anteil an ihrer Entwicklung. Sie nahmen Einflüsse der Commedia dell'Arte auf.
[Bearbeiten] 18. Jahrhundert
Als populäres Gegenstück zum höfischen Ballett wurde im 18. Jahrhundert eine getanzte Form der Commedia dell'arte üblich, die man Pantomime nannte. Überall in Europa gab es Tanzkompanien, die diese sehr musikbetonten Stücke, oft mit vielen Kostümwechseln und Verwandlungen auf der Bühne, präsentierten.
Auf den Pariser Jahrmärkten Saint-Germain und Saint-Laurent war die Pantomime deshalb so häufig, weil die offiziellen Pariser Theater aus Angst vor der wirtschaftlichen Konkurrenz dieser modischen Spielstätten zeitweise ein Textverbot für sie durchsetzen konnten.
In der Ästhetik des 18. Jahrhunderts, in einer gehobeneren gesellschaftlichen Sphäre, hatte die Pantomime eine andere Funktion. Sie sollte nach dem Tod des tanzenden Königs Louis XIV 1715 die zunehmende Loslösung von den französischen Hofsitten rechtfertigen, die Tanz und Theater instrumentalisierten. Die Befreiung von den regulären Schritten des Gesellschaftstanzes, vom einengenden Korsett des Operngesangs, von den Posen und Deklamationsregeln der tragischen Schauspieler, all das wurde mit Vorliebe Pantomime genannt, die als Vision grenzenloser Freiheit, Wahrheit und Natürlichkeit erschien und sich zudem noch auf die Antike abstützen ließ. Von Jean-Baptiste Dubos (Réflexions critiques sur la poésie et la peinture, 1719) über Denis Diderot (De la poésie dramatique, 1758) bis Johann Georg Sulzer (Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 1771) gibt es zahlreiche Äußerungen in diese Richtung.
Johann Jacob Engel fasste in seinen Ideen zu einer Mimik (1786) manche Tendenzen des Jahrhunderts zusammen. Eine Leitidee war der Glaube daran, dass die wortlosen Künste Gestik und Mimik im Unterschied zur wortreichen und manipulierenden Rhetorik das „Innere der Seele“ unverstellt spiegeln. Dann wären Gestik und Mimik nach damaliger Vorstellung nicht Kunst, sondern Natur. Sie wären nicht machbar, sondern würden unwillkürlich aus dem Innern des begnadeten Künstlers hervorbrechen. − Diese theoretische Diskussion lässt sich nicht von ihrem gesellschaftlichen und politischen Umfeld trennen. Die Pantomime der Jahrmärkte war gerade deshalb in Mode, weil sie „aus der Gosse“ kam und ursprünglich gering geschätzt wurde, so wie es bis heute bei vielen Tänzen oder Musikstilen der Fall ist.
In England hingegen war die Glorious Revolution 1688 schon geschehen und die populäre Theaterkunst deshalb weiter fortgeschritten als auf dem Kontinent vor der französischen Revolution 1789. Der Tanzmeister John Weaver rechtfertigte tänzerische Innovationen mit seinem Traktat History of the Mimes and Pantomimes (1728), das große Ausstrahlung hatte. Der französische Tänzer und Choreograf Jean Georges Noverre stützte sich bei seinen Reformen des Hoftanzes unter anderem auf Weaver. Er löste durch „natürlichere“ Bewegungen den Bühnentanz vom Gesellschaftstanz und schuf das Handlungsballett (ballet en action). Aber auch er orientierte sich wohl nicht an der Theorie seiner Zeit, sondern an den populären Pantomimen der Jahrmärkte oder den gastierenden englischen Schauspielern wie David Garrick.
[Bearbeiten] 19. Jahrhundert
Die populäre Pantomime war noch im 19. Jahrhundert ein Gegenstück zum höfischen Ballett und wurde in Theatern aufgeführt, denen keine Ballette gestattet waren, wie dem Theater in der Leopoldstadt Wien (siehe Der siegende Amor, 1814). Von dieser Ballett-Pantomime stammt die englische Pantomime her, die eng mit dem Zirkus verwandt war (siehe Pferdetheater) und in Joseph Grimaldi (dem Erfinder des Clowns) einen berühmten Interpreten hatte. An Weihnachten wird die englische Pantomime noch heute aufgeführt. In den Music Halls seit 1850 erfuhr sie jene kommerzielle Perfektionierung, die man noch in Stummfilmkomödien bewundern kann. Lebende Bilder, die sich aus dem Posieren für Gemälde und Fotos entwickelten, wurden mitunter auch Pantomimen genannt.
Das Aufstreben der Pantomime nach der französischen Revolution hat vor allem mit der strengen Theaterzensur zu tun, die Aufführungen ohne Text, also ohne die Gefahr politischer Äußerungen, stark begünstigte. Der Begriff Pantomime wird auch deshalb mit einer subtilen Gesellschaftskritik in Verbindung gebracht.
Jean-Gaspard Deburau gilt als Erfinder der modernen, feinen und poetischen Pariser Pantomime, die sich bis heute erhalten hat. Er schuf die Figur des poetischen, melancholischen Pierrot. Deburau wurde im Film Kinder des Olymp (1945) in der Darstellung von Jean-Louis Barrault ein Denkmal gesetzt.
[Bearbeiten] 20. Jahrhundert
Artisten-Karrieren wie die von Carl Godlewski zeigen, dass auch nach 1900 die Grenzen zwischen Pantomime, Zirkusakrobatik und Tanz fließend waren, selbst auf höchstem Niveau. Dies erschien manchen Künstlern jedoch unbefriedigend. Étienne Decroux (auch er gehörte zu den Darstellern in Kinder des Olymp) erklärte den vom Tänzerischen und Artistischen weitgehend gereinigten „mime pur“ zur Grundform der Pantomime und gründete in den 1930er-Jahren die erste Pantomimenschule in Paris. Zu seinen Schülern gehörten Jean-Louis Barrault, der die Pantomime ins Schauspiel integrierte, und Marcel Marceau, der sie zu einer Soloauftrittskultur perfektionierte.
Decroux' Auffassungen deckten sich mit den Bestrebungen mancher Theaterreformer nach dem Ersten Weltkrieg wie z. B. Max Reinhardt, Bertolt Brecht und Meyerhold, die auch das Schauspiel auf einen klaren körperlichen Ausdruck reduzierten, der nicht naturalistisch, sondern stilisiert sein sollte.
Samy Molcho verband die Pantomime wiederum mit den Ausdrucksmitteln des Balletts und Dimitri mit denen des Clowns. Gerade letztere Verbindung erlebte durch die Fools-, Clowns- und Narren-Bewegung der späten 1970er- und beginnenden 1980er-Jahre einen neuen Aufschwung. Die Gruppe Mummenschanz brachte ihre Variante einer Pantomime mit Ganzkörpermasken in den 1970er-Jahren erfolgreich auf die Broadway-Bühne.
Die École Internationale de Théâtre von Jacques Lecoq in Paris und die Scuola Teatro Dimitri im schweizerischen Verscio sind professionelle Ausbildungsstätten für Pantomime im weiteren Sinne.
Trotz der Bemühungen um eine „reine“ Pantomime ist der Begriff noch heute sehr weit reichend, und der Übergang zu Tanztheater oder Performance ist fließend. Auch im Straßentheater, in Diskotheken oder im Bereich Jugendkultur gibt es vielfältige Darbietungen, die mehr oder weniger „pantomimisch“ sind, so z. B. den Breakdance.
Gegen Ende dieses und zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist allerdings auch der Trend zu beobachten, dass die mehr oder weniger „klassische“ Pantomime immer mehr in der Publikumsgunst verliert. Schaffen es berühmte noch praktizierende Künstler wie Marceau zwar noch riesige Säle zu füllen, so finden die vielen zeitgenössischen Pantomimen (siehe unten) immer weniger Auftrittsmöglichkeiten. Es scheint, als ob die (meist) „stille Kunst“ („L’Art du silence“, Marceau) zu still für diese meist laute Zeit ist und keine Aufmerksamkeit mehr findet.
[Bearbeiten] Technik
Ausgangspunkt jeder pantomimischen Aktion ist die Stellung „Neutral“, die je nach „Schule“ variiert wird: leicht angewinkelte Füße, die hüftbreit voneinander entfernt stehen, die Wirbelsäule bis zum Kopf völlig gerade, Arme und Schultern hängen locker und (ganz wichtig!) die Zunge klebt nicht oben am Gaumen, sondern hängt ebenso locker in der Mitte der Mundhöhle (Hamblin, siehe Literatur). Decroux nannte diese Stellung „Eiffelturm“, weil sie eine physiognomische Ähnlichkeit mit diesem hat. Bei der Positur „Baum“ als Ausgangspunkt berühren sich jedoch die Fersen leicht, bei der „japanischen“ Positur sind die Knie leicht durchgedrückt, sodass sie genau über den Füßen stehen, das Becken nach vorne geschoben und die Handflächen geöffnet nach vorne. Aus einer dieser Stellungen ergibt sich ein Anlass, ein so genannter „Toc“, der einen pantomimischen „Satz“ in die Wege leitet, der wie ein sprachlicher funktioniert, also einen Anfang hat, einen Inhalt und ein Ende inklusive Satzzeichen (Soubeyran, siehe Literatur). Davon ausgehend wird jede Gestik auf das Minimum an Bewegung reduziert und jeder mimische Ausdruck auf das Einfachste, um sie dadurch „klarer“ zu machen.
Dies verlangt vom Pantomimen bzw. der Pantomimin einen hohen körperlichen Trainingsaufwand. Es werden sehr viele gymnastische und so genannte „Separationsübungen“ angewandt, um wirklich jeden einzelnen Körperteil (fast könnte man sagen: jeden Muskel) unabhängig voneinander und auch gegeneinander bewegen zu können. Erst die Perfektion hierin macht Pantomime zur Kunst und unterscheidet sie von Laien-Darbietungen. So wird z. B. nie eine Hand zum Ohr geführt, um zu zeigen, dass etwas gehört wird, sondern der Kopf waagerecht (wie auf einer Schiene) langsam in die Richtung des (vermeintlichen) Geräusches geschoben, ohne die Schultern dabei zu bewegen und „mitzuziehen“ oder den Gesichtsausdruck anzuspannen. Das von Laien gerne gebrachte „Abtasten von Wänden“ ist daher nicht wie bei diesen ein „Patschen in die Luft“, sondern durch Muskel- und Sehnenan- und -entspannung der Finger und Hände ein fast „wirkliches“ Abtasten von Wänden, bei dem man die Wand geradezu zu sehen glaubt!
[Bearbeiten] Weitere berühmte Pantomimen
- Arkadij Rajkin (auch Schauspieler, Satiriker, Kommödiant und Regisseur)
- Clement de Wroblewsky („Clown Clemil“)
- Henriette Hendel-Schütz (auch Schauspielerin)
- Henryk Tomaszewski (auch Tänzer, Schauspieler und Regisseur)
- Jean Soubeyran (auch Schauspieler, Regisseur und Choreograf)
- Kurt Eisenblätter
- Ladislav Fialka (auch Schauspieler)
- Milan Sládek (auch Regisseur)
- Oleg Popow (auch Clown)
- Pan Tau (gespielt vom Schauspieler Otto Šimánek)
- René Quellet
- Samy Molcho
- Walter Samuel Bartussek
- Wolfram Mehring (auch Schauspieler und Regisseur)
[Bearbeiten] Weitere zeitgenössische Pantomimen
- Carlos Martínez
- Damir Dantes
- Ingrid Irrlicht
- Irshad Panjatan
- JOMI
- Mehmet Fistik
- Pablo Zibes
- Stanisław Brzozowski
- Werner Müller (auch Clown und Regisseur)
[Bearbeiten] Literatur
- R. J. Broadbent: A History of Pantomime, IndyPublish 2005, ISBN 1414249233
- Stephanie Schroedter: Tanz – Pantomime – Tanzpantomime, Wechselwirkungen und Abgrenzungen der Künste im Spiegel der Tanzästhetik, in: Meyerbeers Bühne im Gefüge der Künste, herausgegeben von Sibylle Dahms u. a. (S. 66–81), München: Ricordi 2002, ISBN 393178813X
- Marcel Marceau, Herbert Ihering: Die Weltkunst der Pantomime [1956], München: dtv 1989, ISBN 3423618701
- Jean Soubeyran: Die wortlose Sprache (die Neuauflage zusätzlich: Lehrbuch der Pantomime), Velber bei Hannover: Friedrich 1963, und Zürich/Schwäbisch Hall: Orell Füssli Verlag 1984, ISBN 3280015499
- Kay Hamblin: Pantomime, Soyen: Ahorn Verlag 1973, ISBN 3884030051
Wiktionary: Pantomime – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme und Übersetzungen |
(mit einem kleinen Fehler: „Pantomime“ ist nicht auch die weibliche Form eines Pantomimen; diese ist: „Pantomimin“!)
[Bearbeiten] Siehe auch
- Mime corporel dramatique
- Mimiker
- Kabuki
- Peking-Oper
- Scharade (obwohl Pantomime, wie hier erläutert, damit nichts zu tun hat!)
- Zwischenspiel