Ne bis in idem
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Ne bis in idem (lateinisch für: [Man soll] nicht zweimal für dieselbe Sache [vor Gericht gestellt werden].) ist ein juristischer Grundsatz nach Gratianus und bedeutet, dass ein Täter nicht zweimal wegen derselben prozessualen Tat vor Gericht gestellt werden darf. Dieser Grundsatz ist für jeden fairen Strafprozess maßgeblich und findet sich in unterschiedlichen Gestaltungen in allen modernen (Straf-)Rechtsordnungen wieder. Das Verbot der Doppelbestrafung stellt für den Einzelnen ein subjektiv-öffentliches Recht dar. Die Terminologie ist nicht immer einheitlich, überwiegend wird vom ne bis in idem als Grundrecht oder jedenfalls grundrechtsgleiches Recht gesprochen. Wegen der Bedeutung für das rechtsstaatliche Strafverfahren ist auch der Begriff des Justiz- oder Prozessgrundrechts gebräuchlich.
Der Grundsatz der Rechtskräftigkeit ist dabei aber regional abhängig: So ist es bspw. in Deutschland dem Staatsanwalt gestattet, in Straffällen bei "zu geringem" Strafmaß oder vermeintlichem Fehlurteil Rechtsmittel einzulegen. Daher kann derselbe Angeklagte durchaus mehrmals für die gleiche Tat vor Gericht stehen (wenngleich innerhalb desselben Verfahrens in lediglich unterschiedlichen Instanzen). Die Vereinigten Staaten stellen hier ein Gegenbeispiel dar. Wenn in einem Strafprozess der Angeklagte durch die Jury für nicht schuldig befunden wird oder aber sich die Jury nicht einigen kann, ist der Prozess vorüber und eine Berufung oder Revision durch den Staatsanwalt im Allgemeinen nicht mehr möglich. Allerdings handelt es sich auch nach deutscher Ausgestaltung insoweit nicht um einen Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot, als dieses erst ab dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Verurteilung bzw. des rechtskräftigen Freispruchs eingreift.
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[Bearbeiten] Regelungen in Deutschland
Eine prozessuale Tat wird also durch ein rechtskräftiges Urteil grundsätzlich endgültig rechtlich bewertet, der rechtliche Vorwurf (konkreter Verstoß gegen die Rechtsordnung in Form einer bestimmten Strafrechtsnorm) an den Täter ist für weitere Prozesse nicht mehr verwertbar, es liegt insofern ein Strafklageverbrauch vor.
So kann ein Täter, der rechtskräftig wegen eines Totschlags verurteilt wurde, nicht nach Abschluss des Verfahrens noch einmal wegen Mordes an derselben Person angeklagt werden, wenn die Mordmerkmale später erst festgestellt wurden.
Ausnahmen von diesem in Art. 103 III GG geschützten Grundsatz sind nur in äußerst eng begrenzten Fällen möglich, nämlich wenn ein Verfahren wiederaufgenommen wird. Dafür sieht die StPO – erst recht zum Nachteil des Angeklagten (nur hier kommt ein Verstoß gegen den ne-bis-in-idem-Grundsatz in Betracht) – sehr enge Voraussetzungen vor. Eine weitere Ausnahme sind Truppendienstgerichte.
Das Nichtvorliegen eines Strafklageverbrauchs im Sinne von Art. 103 III GG (ne bis in idem) ist wesentliche Verfahrensvoraussetzung.
Zu unterscheiden ist zwischen:
- unbeschränktem Strafklageverbrauch zum Beispiel durch
- Sachurteil über die gleiche prozessuale Tat,
- Prozessurteil über dieselbe prozessuale Tat (§ 260 III StPO), falls darin von einem unbehebbaren Verfahrenshindernis ausgegangen wird.
Nicht zu einem Strafklageverbrauch führen in der Regel ausländische Urteile, es sei denn, es bestehen internationale Abkommen der beteiligten Länder hierüber. Hier ist insbesondere das sogenannte Schengener Abkommen zu nennen, wo die meisten europäischen Länder sich zu einer Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts verpflichtet haben.
- beschränktem Strafklageverbrauch zum Beispiel bei
- Einstellung nach § 153a I Nr. 5 StPO mit Auflagenerfüllung.
- erfolgloser Klageerzwingung,
- Ablehnungsbeschluss bzgl. Verfahrenseröffnung; § 211 StPO,
- Erlassablehnung eines Strafbefehls durch den Richter; § 408 II StPO,
- Absehen von Verfolgung;
- Einstellung nach § 153 II StPO.
[Bearbeiten] Regelungen im europäischen Strafrecht
Innerhalb des europäischen Strafrechts ist der Grundsatz des ne bis in idem in verschiedenen zwischenstaatlichen Übereinkommen normiert. Die wichtigste Regelung findet sich mittlerweile in Artikel 54 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ).
Ebenso findet sich der Grundsatz in Art. 4 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK und in Art. 50 der Europäischen Grundrechtecharta, die in den Vertrag für eine Europäische Verfassung übernommen wurde (dort Art. II-110 EV). Die Ratifizierung des Vertrages ist aber nach dem Scheitern der Volksabstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich zunächst gestoppt worden; bis auf weiteres findet die Grundrechtecharta somit nur als zusätzliche Rechtserkenntnisquelle Berücksichtigung. Darüber hinaus ist der ne bis in idem-Grundsatz in ständiger Rechtsprechung des EuGH auch als allgemeiner ungeschriebener Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt.
[Bearbeiten] Regelungen im US-Strafrecht
Im US-Strafrecht kann kein Mensch, der von einer Jury von 12 Geschworenen freigesprochen worden ist, für ein und die selbe Tat erneut angeklagt werden. Die Staatsanwaltschaft hat bei einem Freispruch keine Revisionsmöglichkeiten, selbst wenn der Freigesprochene die Tat danach offen zugibt. Hat ein rechtskräftig Verurteilter eine Strafe verbüßt, darf ihm ebenfalls nicht wieder der Prozess für ein und die selbe Straftat gemacht werden.
[Bearbeiten] Literatur
- Fliedner, Die verfassungsrechtlichen Grenzen mehrfacher staatlicher Bestrafungen aufgrund desselben Verhaltens – Ein Beitrag zur Auslegung des Art. 103 Abs. 3 GG, in: AöR 99 (1974), 242 ff.
- Liebau, "Ne bis in idem" in Europa, zugleich ein Beitrag zum Kartellsanktionenrecht in der EU und zur Anrechnung drittstattlicher Kartellsanktionen, 2005, ISBN 372554980X
- Mansdörfer, Das Prinzip des ne bis in idem im europäischen Strafrecht, 2004.
- Specht, Die zwischenstaatliche Geltung des Grundsatzes ne bis in idem - Zugleich ein Beitrag zur Auslegung des Art. 103 Abs. 3 Grundgesetz, 1999.
- Hält „doppelt bestraft“ wirklich besser? - Der ne bis in idem-Grundsatz im Europäischen Netzwerk der Kartellbehörden - Soltész, Ulrich/ Marquier, Julia, EuZW 2006, 102 - 107.
[Bearbeiten] Weblinks
- BVerfGE 21, 378 – Zum Verhältnis von Disziplinarstrafen zu Kriminalstrafen
- EuGH 09.03.2006 - C 436/04 - van Esbroeck - Art. 54 SDÜ; Staatenübergreifendes Verbot der Doppelbestrafung wegen "derselben Tat"
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