Milchsäuregärung
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Bei der Milchsäuregärung wird Glucose über Brenztraubensäure (Pyruvat) in Milchsäure (Lactat) umgewandelt. Diesen Stoffwechselweg beschreiten bestimmte Bakterien (z.B.:Milchsäurebakterien), bestimmte Pilze und menschliche Muskelzellen unter anoxischen Bedingungen.
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[Bearbeiten] Milchsäuregärung bei menschlichen Muskelzellen
Bei anstrengender körperlicher Arbeit, wenn die Sauerstoffversorgung des Muskels nicht mehr mit dem erhöhten Bedarf Schritt halten kann, stellen sich die Zellen von aerober Zellatmung auf anaerobe Gärung um. Lactat sammelt sich im Muskel an. Muskelerschöpfung und Muskelkater ergeben sich in der Folge. Diese individuelle anaerobe Schwelle kann durch einen Lactattest überprüft werden, der Auskunft über die Belastbarkeit gibt. Vor allem in Ruhephasen wird dann das Lactat durch das Blut abtransportiert und in der Leber zu Pyruvat umgewandelt.
[Bearbeiten] Milchsäuregärung bei Milchsäurebakterien
Die Milchsäuregärung dient den Bakterien als Energiequelle. Die bei der Gärung frei werdende Energie wird zunächst in chemische Energie in Form von Adenosintriphosphat (ATP) umgewandelt, das als kurzfristiger Energiespeicher und als Energieüberträger fungiert. Je nach Stamm der Milchsäurebakterien unterliegen auch andere Zucker als Glucose diesem Abbauweg.
Man unterscheidet:
- Homofermentative Stämme von Milchsäurebakterien. Sie verfügen über alle notwendigen Glykolyse-Enzyme einschließlich Aldolase. Das Endprodukt [D(-)-, L(+)- oder DL-Milchsäure] hängt von der Stereospezifität der Lactatdehydrogenase (LDH) und der Existenz einer Racemase ab; zur Herstellung von Joghurt werden L(+)-Milchsäure-Produzenten bevorzugt. Bei diesem Abbauweg („homofermentative Milchsäuregärung“) werden zwei Moleküle Adenosintriphosphat je Molekül Glucose gewonnen. Nur unter aeroben Bedingungen wird ein kleiner Teil des Pyruvats decarboxyliert und zu Acetat, Ethanol oder Acetoin umgesetzt.
- Heterofermentative Stämme von Milchsäurebakterien. Diesen mangelt es an Aldolase und Triosephosphat-Isomerase, so dass Glucose über den Phosphogluconatweg (Pentosephosphatweg) abgebaut wird. Die entstehende Pentose, Ribulose-5-phosphat, wird epimerisiert und dann durch eine Phosphoketolase in Glycerinaldehydphosphat und Acetylphosphat gespalten. Letzteres kann über Acetyl-CoA und Acetaldehyd zu Ethanol reduziert werden oder direkt zu Acetat umgesetzt werden. Bei diesem Abbauweg („heterofermentative Milchsäuregärung“) wird ein Molekül ATP je Molekül Glucose gewonnen. Bei Vergärung von Pentosen werden zwei Moleküle ATP je Molekül Pentose gewonnen.
- Bifidobacterium-Gärung. Das Milchsäurebakterium Bifidobacterium bifidum umgeht den Aldolase-Schritt auf andere Weise als die heterofermentativen Milchsäurebakterien: Fructose-6-phosphat wird phosphorolytisch zu Erythrose-4-phosphat und Acetylphosphat gespalten. Erythrose-4-phosphat wird mit einem weiteren Fructose-6-phosphat in Transaldolase- und Transketolase-Reaktionen zu zwei Molekülen Xylulose-5-phosphat umgesetzt, die beide phosphorolytisch durch eine Phosphoketolase zu Glycerinaldehyd-3-phosphat und Acetylphosphat gespalten werden. Mit den drei Molekülen Acetylphosphat wird ADP zu ATP phosphoryliert, wodurch Energie in Form von drei Molekülen ATP konserviert und Essigsäure als eins der beiden Endprodukte gebildet wird. Die beiden Moleküle Glycerinaldehyd-3-phosphat werden wie bei anderen Milchsäurebakterien zu Milchsäure, dem zweiten Endprodukt der Gärung, umgesetzt, wobei vier Moleküle ADP zu ATP phosphoryliert werden. Je Molekül Glucose werden 2,5 Moleküle ATP gewonnen.
[Bearbeiten] Milchsäuregärung zur Herstellung von Lebensmitteln
Zur Konservierung von Lebensmitteln wird die Milchsäuregärung mindestens seit der Jungsteinzeit eingesetzt. Durch die Milchsäurebildung wird das Lebensmittel gesäuert und Verderbniserreger fast vollständig in ihrer Aktivität gehemmt oder sogar abgetötet. Beispiele sind Sauermilchprodukte wie Joghurt, Quark und Buttermilch, Brottrunk, Sauerkraut, Saure Bohnen, das koreanische Gimchi und andere Sauergemüse.
Weiterhin wird die Milchsäuregärung zum Brotbacken mit Sauerteig und zur Reifung von Rohwürsten wie Salami und anderen Rohwürsten angewendet.
[Bearbeiten] Milchsäuregärung zur Konservierung von Futtermitteln in der Landwirtschaft
[Bearbeiten] Prinzip
Die Milchsäuregärung wird zur Konservierung von Pflanzenmaterial als Futtermittel in der Landwirtschaft eingesetzt. Man bezeichnet das in der Regel in Silos durchgeführte Verfahren als Silierung und das Produkt als Silage. Bei der Silage-Bereitung wird das Pflanzenmaterial mit einem Trockenmassegehalt von 25 % - 50 % (optimal: etwa 34 %) meist gehäckselt oder kurzgeschnitten eingelagert (in Fahrsilos, Hochsilos oder in Folie eingewickelte Großballen). Durch sofortigen Luftabschluss nach Beendung der Befüllung kommt es zu einem Verbrauch des Restsauerstoffs durch aerobe Bakterien und Pilze. Im Anschluss setzt die anaerobe Gärung durch Milchsäurebildner (MSB; meist Milchsäurebakterien, aber auch andere) ein. Hierbei wird der Restzucker der Pflanzen in Milchsäure umgesetzt und dadurch das Material gesäuert, der pH-Wert auf etwa 4,0 - 4,5 abgesenkt. Bei diesem Wert werden die MSB selbst gehemmt, die bakteriellen Gärschädlinge werden bereits über einem pH-Wert von 4,5 gehemmt. Damit kommt die Gärung zum Stillstand und die Silage ist stabil.
[Bearbeiten] Probleme bei der Silierung
Falls das Siliergut zu nass eingelagert wird, besteht die Gefahr, dass die Silage nicht stabil wird. Das zusätzliche Wasser in der Silage wirkt puffernd, so dass zur Absenkung des pH-Werts auf 4,0 - 4,5 deutlich mehr Milchsäure notwendig ist. Da Milchsäure aus dem Restzucker entsteht, ist unter Umständen zu wenig davon als Substrat für die MSB vorhanden. Auch werden Gärschädlinge (Clostridien, Hefen und coliforme Bakterien) durch die langsamere Säuerung nicht schnell genug inaktiviert. Da diese Gärschädlinge ihrerseits Zucker als Substrat verwenden und als Produkte schwächere Säuren (u. a. Essigsäure, Buttersäure) ausscheiden, wird der vorhandene Zucker nicht so effektiv für die Säuerung, die Absenkung des pH-Werts verwendet − und im Falle von Buttersäure daneben auch ein sehr unangenehmer Geruch der Silage erzeugt. Daneben können einige Gärschädlinge auch Milchsäure in Buttersäure überführen, was ebenfalls ungünstig für die pH-Absenkung ist. Folge eines zu hohen pH-Werts ist, dass die Silagequalität sich durch die Stoffwechselaktivität schädlicher Organismen verschlechtert: Der Energiegehalt sinkt, außerdem wird aus Proteinen Nicht-Protein-Stickstoff (NPN), hier v. a. Ammoniak abgespalten.
Bei einem Wassergehalt von >70 % kommt es daneben zum Austritt von Sickersaft, der sehr nährstoffreich ist und damit die Qualität der Silage ebenfalls vermindert.
Zu trocken eingelagertes Siliergut führt zu einer nicht ausreichenden Verdichtung des Pflanzenmaterials des sogenannten Silostocks. In der Folge ist dadurch mehr Restsauerstoff in dem Stock vorhanden. Vor allem aerobe Hefen nutzen unter diesen Bedingungen Zucker zum Wachstum, was allerdings zunächst wenig Einfluss auf den pH-Wert hat, es sei denn, es ist zu wenig Zucker für die Milchsäuregärung vorhanden. Das Problem zu trocken eingelagerten Siliergutes ist vor allem bei Maissilagen oder Getreide-Ganzpflanzensilagen (GPS) zu erwarten, die ohnehin ausreichend Zucker haben. Sobald der Sauerstoff verbraucht ist, kommt das Wachstum der Hefen zum Stillstand. Der später durch die Milchsäuregärung verursachte niedrige pH-Wert tötet die Hefen nicht, sondern inaktiviert sie nur. Daher ist beim Öffnen des Silostockes mit weiterem Wachstum der Hefen zu rechnen. Wegen des hohen Hefe-Gehalts aufgrund des vorherigen ausgiebigen Wachstums vermehren sich die Hefen jetzt explosionsartig, da sie sich exponentiell vermehren, was zu einer Erwärmung der Silage führt (Nacherwärmung der Silage; geringe aerobe Stabilität). In warmem Siliergut sind gute Lebensbedingungen für coliforme Bakterien erreicht, die ihrerseits die Milchsäure in Buttersäure umwandeln, so den pH-Wert der Silage anheben und schließlich zum Verderb dieser führen.
Neben der Verschlechterung der Qualität der Silage durch Energieverluste und Proteinabbau ist fast immer damit zu rechnen, dass die Ausscheidungsprodukte der Gärschädlinge, insbesondere der Hefen und Pilze, toxisch sind. Diese führen zu einer Leistungsdepression bei den Tieren, an die diese Silage, soweit nicht ausreichend verschnitten, verfüttert wird.