Mandat (Völkerrecht)
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Der Begriff Mandat (von lateinisch ex manu datum „aus der Hand gegeben“) bezeichnet im Völkerrecht im weiteren Sinn den einem Staat oder Staatenbund erteilten Auftrag, die staats- und völkerrechtlichen Interessen eines bestimmten fremden Gebiets zu vertreten. Im engeren Sinn bezeichnet der Begriff die Verantwortung für die Verwaltung bestimmter früherer Teile des Osmanischen Reichs sowie der früheren deutschen Kolonien, die nach Ende des Ersten Weltkriegs an den Völkerbund übertragen wurde und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs teilweise an die Vereinten Nationen überging.
[Bearbeiten] Mandatsverwaltung des Völkerbunds
Als eine der Folgen seiner Niederlage im Ersten Weltkriegs musste das Deutsche Reich im Friedensvertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 nicht nur bestimmte Teile seines festlandseuropäischen Staatsgebiets, sondern auch seinen gesamten Kolonialbesitz abtreten. Das erst 1911 im Rahmen des so genannte Marokko-Kongo-Vertrags von Frankreich an Deutschland abgetrenene Neukamerun ging wieder in französischen Besitz über, die restlichen Kolonien wurden dem Völkerbund unterstellt. Der Völkerbund übte seine Hoheitsgewalt nach Artikel 2 seiner Satzung nicht direkt aus, sondern trug lediglich theoretische Letztverantwortung; die praktische Ordnungs- und Verwaltungsarbeit lag in den Händen verschiedener Siegerstaaten, der so genannten „Mandatsmächte“. Neben den ehemaligen deutschen Kolonien ebenfalls dem Völkerbund unterstellt wurde der ehemals deutsche Großraum Danzig sowie die ehemals cisleithanische Stadt Rijeka und ihr Umland.
Auch ein Großteil des Osmanischen Reichs, das mit Deutschland und Österreich-Ungarn verbündet gewesen war und somit ebenfalls auf der Seite der Verlierer stand, wurde unter Aufsicht des Völkerbunds beziehungsweise unter Schutzherrschaft bestimmter Siegerstaaten gestellt. Die Partitionierung des Vielvölkerstaats, die bereits am 16. Mai 1916 im Sykes-Picot-Abkommen skizziert worden war, wurde am 10. August 1920 im Vertrag von Sèvres formalisiert und am 24. Juli 1923 im Vertrag von Lausanne endgültig festgeschrieben.
Der Völkerbund sah es als seine Aufgabe an, seine so genannten „Mandatsgebiete“ oder kurz „Mandate“ auf die Unabhängigkeit vorzubereiten. Der Großraum Danzig und der Raum Rijeka wurden noch 1920 zu unabhängigen Staaten erklärt. Danzig wurde dabei allerdings weiterhin vom Völkerbund beaufsichtigt; die außenpolitischen Interessen der Metropole und ihres Umlands sollten von Polen vertreten, ihre Verteidigung sollte von Polen und Großbritannien sichergestellt werden. Ein vergleichbarer völkerrechtlicher Sonderstatus war für keines der anderen Mandatsgebiete vorgesehen. Die über 1920 hinaus verbleidenden Mandate wurden anhand ihrer jeweiligen geographischen Lage sowie aus der Überlegung heraus, dass sich nicht alle dieser Territorien gleich schnell zu lebensfähigen selbständigen Staaten aufbauen lassen würden, in drei Klassen eingeteilt:
- Die Klasse der so genannten „A-Mandate“ umfasste die nichttürkischen Teile des zerschlagenen Osmanischen Reichs. Der Irak und das damalige Palästina wurden britischer Verwaltung unterstellt, wobei der Irak 1932, das 1922 von Palästina abgetrennte Transjordanien 1946 in die Unabhängigkeit entlassen wurden. Syrien und der Libanon wurden französischer Verwaltung unterstellt und erhielten ihre jeweilige Unabhängigkeit 1946 beziehungsweise 1943. Mit Ausnahme des heutigen Israel und der heutigen Palästinensischen Autonomiegebiete wurden damit 1946, dem Jahr der offiziellen Auslösung des Völkerbunds und dem damit einher gehenden Ende seines Mandatssystems, tatsächlich alle A-Mandate in souveräne Staaten transformiert.
- Die Klasse der so genannten „B-Mandate“ bestand aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika mit Ausnahme des ehemaligen Deutsch-Südwestafrika. Die Verantwortung für Kamerun und Togo wurde zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt, wobei die westlichen vier Fünftel beziehungsweise zwei Drittel unter britische, das östliche Fünftel beziehungsweise Drittel unter französische Verwaltung gelangten. Tanganjika wurde vollständig britischer, Ruanda-Urundi hingegen belgischer Verwaltung unterstellt. Keines dieser Gebiete wurde bis 1946 in die Unabhängigkeit entlassen.
- Die Klasse der so genannten „C-Mandate“ schließlich umfasste Deutsch-Südwestafrika und die ehemaligen deutschen Kolonien im Pazifikraum. Deutsch-Südwestafrika wurde der Südafrikanischen Union überantwortet, die Verwaltung von Westsamoa an Neuseeland und die von Nauru an Neuseeland, Großbritannien und Australien übertragen. Die restlichen ehemaligen deutschen Besitzungen südlich des Äquators – im Wesentlichen die Insel Papua-Neuguinea – wurden von Australien, die restlichen ehemaligen deutschen Besitzungen nördlich des Äquators – die Karolinen, die Marshallinseln, die Nördlichen Marianen und Palau – von Japan verwaltet. Auch diese Gebiete blieben über das Ende des Mandatssystems hinaus im faktischen Besitz ihrer jeweiligen Mandatsmächte.
[Bearbeiten] Treuhandsystem der Vereinten Nationen
Mit dem Tag der Auflösung des Völkerbunds am 18. April 1946 ging die formale Oberhoheit über seine verbliebenen Mandatsgebiete auf die Vereinten Nationen über. Laut Artikel 75 bis 91 der am 24. Oktober 1945 in Kraft getretenen Satzung der Vereinten Nationen lag wie schon bisher nur die Letztverantwortung beim Staatenbund, praktisch wurde die Regierungsgewalt nach wie vor von spezifischen Einzelstaaten ausgeübt. Zur symbolischen Bekräftigung des Ziels, sie zu unabhängigen Staaten aufzubauen, wurden die Mandate nun als Treuhandgebiete bezeichnet. Darüber hinaus wurde die Einteilung in B- und C-Gebiete aufgegeben, an ihre Stelle trat nun die Unterscheidung zwischen so genannten „allgemeinen Treuhandgebieten“ und „strategischen Gebieten“. Während allgemeine Treuhandgebiete unmittelbar dem eigens für diese Aufgabe geschaffenen Treuhandrat, mittelbar der Generalversammlung unterstellt waren, wurde die Oberaufsicht über strategische Gebiete vom Sicherheitsrat geführt. Proponent dieser Einteilung waren die Vereinigten Staaten, die Wert darauf legten, die ihnen überantworteten pazifischen Inselgruppen durch ein Gremium kontrollieren zu lassen, in dem sie über ein Vetorecht verfügen. Die Treuhandgebiete und ihre Entwicklung im Einzelnen:
- Die ehemaligen B-Mandate Kamerun und Togo blieben auf Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Frankreich entließ die von ihm verwalteten Teile Kameruns und Togos 1961 in die Unabhängigkeit, wodurch das heutige souveräne Togo und das heutige souveräne Kamerun entstanden. Großbritannien hatte den von ihm verwalteten Teil Togos bereits 1957 in die Unabhängigkeit entlassen, indem es ihm ermöglichte, sich mit der Goldküste zum souveränen Ghana zu vereinigen. 1961 gab Großbritannien auch den von ihm verwalteten Teil Kameruns auf; sein Süden schloß sich dem mittlerweile selbständigen Teil Kameruns, sein Norden dem seit dem Jahr zuvor souveränen Nigeria an. Ebenfalls 1961 entließ Großbritannien Tanganjika. Im Jahr darauf entließ Belgien Ruanda-Urundi, aus dem damit die heutigen Staaten Ruanda und Burundi hervorgingen.
- Das ehemalige B-Mandat Deutsch-Südwestafrika verblieb unter der Verwaltung der Südafrikanischen Union. Die rigoros betriebene Vorhaben der Union beziehungsweise der 1962 aus ihr hervorgegangenen Republik Südafrika, das Land zu „südafrikanisieren“ und insbesondere die Apartheidspolitik auf das Treuhandgebiet auszudehnen, veranlassten die Vereinten Nationen dazu, der Republik 1966 die Treuhandschaft zu entziehen. Die Republik, die das Gebiet allerdings inzwischen als integralen Teil ihres Staatsgebiets betrachtete, ignorierte diesen Beschluss jedoch erfolgreich und lange Zeit auch ungestraft. Erst nach einer Verurteilung durch den Internationalen Gerichtshof 1971 war Südafrika bereit, ernsthaft auf die Unabhängigkeit des heutigen Namibia hinzuarbeiten, die dieses trotzdem erst 1990 tatsächlich erhielt.
- Das ehemalige C-Mandat Westsamoa verblieb unter der Aufsicht Neuseelands, von dem es 1962 in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Nauru und Papua-Neuguinea blieben australischer Verwaltung unterstellt und erhielten ihre Souveränität 1968 beziehungsweise 1975. Die restlichen ehemaligen C-Mandate, die ursprünglich Japanischer Administration unterstanden hatten, wurden den Vereinigten Staaten anvertraut: die Karolinen und Marshallinseln wurden 1990 unabhängig, wodurch das heutige Mikronesien entstand, Palau 1994. Die Nördlichen Marianen entschieden sich für den dauerhaften Anschluss an ihre Schutzmacht.
Seit der Entlassung Palaus am 1. Oktober 1994 steht kein Gebiet mehr unter treuhändischer Verwaltung.
[Bearbeiten] Literatur
- Wolfgang Schneider: Das Völkerrechtliche Mandat in historisch-dogmatischer Darstellung, 103 S., Stuttgart 1926 (=Schriften des Deutschen Auslands-Instituts Stuttgart, Rechts- und staatswissenschaftliche Reihe/Band 2)
- Manka Spiegel: Das völkerrechtliche Mandat und seine Anwendung auf Palästina, 182 S., Graz/Wien/Leipzig 1828
- Ernst Marcus: Palästina - ein werdender Staat. Völker- und staatsrechtliche Untersuchung über die rechtliche Gestaltung des Mandatslandes Palästina unter besonderer Berücksichtigung des Rechtes der nationalen Heimstätte für das jüdische Volk, 328 S., 2 Karten, Leipzig 1929 (=Frankfurter Abhandlungen zum modernen Völkerrecht, Heft 16)
- Wolfgang Abendroth: Die völkerrechtliche Stellung der B- und C-Mandate, 360 S., Breslau 1936 (wiederveröffentlicht in: Abendroth, Wolfgang: Gesammelte Schriften 01. 1926 - 1948, Hannover 2006 ISBN 3-93034-549-8)