Kommunikationswissenschaft
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Kommunikationswissenschaft, oftmals auch Publizistik genannt, ist ein Zweig der Sozialwissenschaft, der sich vorwiegend mit sozialen Phänomenen öffentlicher, bzw. Massenkommunikation, aber auch Individualkommunikation befasst. Im Gegensatz dazu ist die Medienwissenschaft im Bereich der Geisteswissenschaften angesiedelt, wenngleich es zwischen den beiden Disziplinen viele inhaltliche Überschneidungen gibt und die Abgrenzung deshalb oft sehr schwer fällt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Gegenstände und Einteilung
Die einzelnen Forschungsgebiete der Kommunikationswissenschaft lassen sich am einfachsten mit Hilfe der Lasswell-Formel verdeutlichen und in der Frage zusammenfassen: (1) Wer (2) sagt was (3) auf welchem Weg (4) zu wem (5) mit welchem Effekt? Diese Trennung kann jedoch etwa mit Verweis auf die Theorie sozialer Systeme angefochten werden. Auch VertreterInnen der Cultural Studies kritisieren dieses Modell.
Die Erforschung der Effekte der Massenkommunikation (Medienwirkungsforschung) bezieht sich dabei einerseits auf das Individuum, die Psyche mit Kognitionen und Emotionen. Andererseits werden auch Wirkungen auf die Gesellschaft oder Teile der Gesellschaft untersucht. Hier ist v.a. der Begriff der öffentlichen Meinung relevant.
[Bearbeiten] Grundbegriffe
- Kommunikation ganz allgemein ist die Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen. (Gerhard Maletzke, Kommunikationswissenschaft im Überblick, S.37) -> Soziale Kommunikationsprozesse (im Gegensatz zu technischen) bilden also den Mittelpunkt des Interesses.
Genauer: symbolisch vermittelte Interaktion (Burkart, Roland, Kommunikationswissenschaft, S.20 ff.)
- Massenkommunikation: jener Prozess, bei dem Aussagen öffentlich durch technische Verbreitungsmittel indirekt und einseitig an ein disperses Publikum vermittelt werden. (Definition von Gerhard Maletzke in: Psychologie der Massenkommunikation, S.32).
- Interaktion: soziales Handeln (=intentionales Verhalten). Da Kommunikation nichts anderes ist als soziales Handeln mit Hilfe von Symbolen, setzt C. F. Graumann die Begriffe "Kommunikation" und "Interaktion" gleich.
- Sprache: Verständigung mit Hilfe von Symbolen.
- Kommunikator: der Journalist, Moderator oder Kommentator, der etwas aussagt. Da in der Praxis meist mehrere Personen an der Verbreitung von Aussagen beteiligt sind, spricht man heute oft besser von der "Kommunikatorseite".
- Aussage: präziser wäre "das Ausgesagte". "Das Ausgesagte" umfasst sowohl den Inhalt als auch die Form von Botschaften.
- Medium:(lat. Mittel) ein umstrittener Begriff, allgemein Verbreitungtechniken- oder Mittel. Medien erster Ordnung: technische Einrichtungen (Druckmaschinen, Video-Schnittsysteme, Bildschirme etc.) - also bloße Kommunikationskanäle oder Infrastruktur. Medien zweiter Ordnung: Formen der Arbeitsorganisationen (Redaktionen, Nachrichtenagenturen o.ä.)? Informations-Verarbeitungsmuster? Die Kommunikationswissenschaft hat sich hier noch nicht geeinigt.
Die etwas holprige Definition von U. Saxer: "...komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen." (Saxer, Grenzen der Publizistikwissenschaft)
- Rezipient: Eine Person, die eine Aussage empfängt und "entschlüsselt". Wenden sich mehrere Rezipienten derselben Aussage zu, spricht man von Publikum. Recht einheitlich verwendeter Begriff.
[Bearbeiten] Kleine Theoriegeschichte der Wirkungsforschung
Der Beginn der Wirkungsforschung liegt u.a. in der Untersuchung von Beeinflussung durch Propaganda, bedeutend insbesondere die Forschung in den USA im Umfeld der Zweiten Weltkrieges. Im Fach wird diskutiert, ob in diesen Frühzeiten Reiz-Reaktions-Modelle der Kommunikation überwogen. Ferner stellt die Zeitungswissenschaft einen Ausgangspunkt für die Entwicklung des Faches im deutschsprachigen Raum dar.
Bereits frühe Forschungen haben gezeigt, dass einfache Reiz-Reaktions-Modelle - im Englischen nennt man sie "hypodermic needle model" (den MediennutzerInnen wird die Medienbotschaft eingeimpft) - nicht immer greifen (vgl. "The People's Choice", Lazarsfeld et al. (1948)). Deshalb wurden im Laufe der Zeit einfache durch komplexere Modelle und Theorien ersetzt. So entwickelte sich die Theoriegeschichte weg von Vorstellungen, wonach Informationen und Meinungen durch Kommunikation übertragen werden hin zu Modellen, wie Rezipienten mit Medieninhalten interagieren, sich aus ihnen Weltbilder konstruieren und mittels verschiedener Wege daraus Einstellungen und Entscheidungen ableiten. Endgültig ausgetragen ist der Streit darüber, inwieweit Medieninhalte und Weltbilder der Rezipienten Realitätsbeschreibung sein können, jedoch nicht. Gemeinhin wird der Gegensatz mit dem Begriffspaar "Realismus" und "Konstruktivismus" ausgedrückt.
Zeitweise spitzt sich die Abkehr von starken, auf Einstellungen bezogenen Wirkungen zur These zu, Medien könnten wenn überhaupt nur bestimmen, welche Themen die Rezipienten als relevant wahrnehmen, nicht aber, welche Haltung sie dazu einnehmen. Hierfür wird das Bild der "Agenda" verwendet, also die Liste dessen, was gerade als wichtig behandelt wird. Entsprechend heißt das Konzept zu dieser Forschungstradition "agenda setting".
"Durch die Hintertüre" schleichen sich jedoch Meinungen wieder ein, indem man zur Einsicht gelangt, dass ein Thema keine allzu harte Einheit darstellt, sondern verschiedene Aspekte hat. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass die menschliche Informationsverarbeitung nicht unbedingt unabhängig davon funktioniert, in welcher Reihenfolge und mit welcher Betonung Aspekte dargebracht werden, sondern vielmehr die Verfügbarkeit von Informationen die Schlussfolgerungen mehr oder weniger mitbestimmt. Somit wird den Medien wieder die Fähigkeit zugeschrieben, durch Betonen, Herunterspielen, Weglassen (sei es absichtsvoll oder nicht) Urteile mitzubestimmen.
In dieser Auseinandersetzung gewinnen in letzter Zeit auch die (British) Cultural Studies an Bedeutung (vgl. Hepp 1999), obgleich sich die Kommunikationswissenschaft heute als empirisch arbeitende "neutrale" Sozialwissenschaft versteht. Sie gehen davon aus, dass Medienbotschaften auf verschiedene Art und Weise gelesen werden können: Die meisten RezipientInnen bevorzugen die dominante Lesart (reproduzieren die im Text enthaltenen Wertungen und damit gesellschaftliche Machtverhältnisse), manche tendieren zur ausgehandelten Lesart (die Medienbotschaft wird mit den Alltagserfahrungen abgeglichen), andere lesen die Botschaft widerständig. (Vgl. "Encoding/Decoding", Hall 1973). Aus diesem Grund liegt der Fokus dieser Ansätze auf der Rezeptionsforschung, wofür sie auch schon kritisiert wurden (vgl. Dorer 2002).
Die neuere Forschung hält eine Vielzahl von Theorieangeboten und Gegenständen bereit, von der Untersuchung des augenblickhaften Unterhaltungserlebens bis hin zur langfristigen Kultivation von Ängsten und Misstrauen durch tausendfache Rezeption von Angeboten, in denen Gefahr und Gewalt dargestellt werden, von der Untersuchung politischer Meinungsbildung über den Einfluss von PR auf Berichterstattung bis zur Rezeption von Fußballspielen, von Verweisen auf die Kritische Theorie bis zu systemtheoretischen Ansätzen. Seit den 1990ern finden sich auch zunehmend Arbeiten, die sich mit der Bedeutung von Geschlecht in Kommunikationsprozessen auseinandersetzen (vgl. Klaus 2005). Darin wird der Frage nachgegangen, welche Bedeutung Medien für die Herstellung geschlechtsspezifischer Identitäten einnehmen und mit welchen geschlechterhierarchischen Konstruktionen dieser Prozess verbunden ist. Außerdem muss sich die Kommunikationswissenschaft mit der Tatsache auseinandersetzen, dass teilweise Massen- und Individualkommunikation schwerer zu trennen sind, etwa in den verschiedenen Anwendungen des Internet.
[Bearbeiten] Zur Inhalts-, Kommunikator- und Publikumsforschung sowie weiteren Gebieten
Die Inhaltsforschung befasst sich mit den Inhalten, d.h. Aussagen und Darstellungsweisen dessen, was die Medien übermitteln. Sie differenziert sich einerseits anhand der Kontroverse darüber, was objektiv feststellbarer Inhalt ist, andererseits nach dem Erkenntnisinteresse, etwa der Einschätzung journalistischer Qualität, dem Abgleich von Realität und Berichterstattung (wenn man einen solchen Vergleich für möglich hält), Existenz und Eigenschaften einer eigenen "Medienrealität" sowie der Frage, was warum berichtet wird und warum anderes nicht, den Inszenierungsstrategien von Medienschaffenden und in den Medien präsenten Akteuren, der Ausdifferenzierung von Genres usw.
Die Kommunikatorforschung befasst sich mit Medienschaffenden und ihrer Einbindung in bestimmte Organisationen: Welche Einstellungen, Motivation, Interessen, Ausbildung usw. haben Journalisten, PR-Fachleute usw. Welchen Zwängen unterliegen sie, worin sind sie frei, wie arbeiten sie, wie entscheiden sie sich für Themen und Darstellungsweisen.
Die Publikumsforschung beschreibt schließlich die Zusammensetzung der Rezipientenschaft sowie die Motive, das Ausmaß, die Eigenschaften und Muster der Mediennutzung: Welche soziodemografischen und psychigrafischen Beschreibungen lassen sich von Lesern, Zuschauern und Zuhörern anfertigen? Welches Zeitbudget und welche Aufmerksamkeit widmen sie der Mediennutzung?
Neben diesen Gebieten befasst sich die Kommunikationswissenschaft mehr oder weniger intensiv mit Fragen des Mediensystems (Ökonomisierung, Konzentration, Medienwirtschaft, Medienrecht, Medienpolitik), der Medienethik etc.
[Bearbeiten] Methoden
Lange Zeit war die Kommunikationswissenschaft durch empirische Methoden (standardisierte Befragung, Beobachtung und Inhaltsanalyse) geprägt, die der Logik des kritischen Rationalismus (vgl. Wiener Kreis, Karl Popper, Positivismusstreit) folgten. Bis heute bilden empirische Forschungsmethoden das Rückgrat der Kommunikationswissenschaft. Insbesondere der quantitativen Inhaltsanalyse kommt große Bedeutung zu. Bei dieser Vorgehensweise wird eine größere Zahl von Medieninhalten (Zeitungsartikel, Fernsehbeiträge etc.) nach einem vorher festgelegten Raster (Kategoriensystem) untersucht, wobei festgehalten wird, ob im Raster beschriebene Aussagen (Beschreibung von bestimmten Handlungen, Erwähnung bestimmter Themen und Personen, bestimmte wertende Aussagen) in den Texten (im weiteren Sinne, also auch in Bildform) getroffen werden. Die so gewonnen Daten werden dann einer statistischen Analyse zugeführt, so dass am Ende Feststellungen stehen wie "Medium X trifft mehr positive Aussagen über die Person A als Medium Y" oder "über das Thema X wird häufiger unter dem Aspekt A berichtet als unter dem Aspekt B, dies steht im Zusammenhang mit der Erwähnung von C..." usw.
Diese quantisierende, erklärende, variablenorientierte, deduktive Herangehensweise wird jedoch (viele Beobachter meinen: in zunehmendem Maße, hin zu einer Gleichbehandlung) von qualitativen, verstehenden, induktiven, hermeneutischen Ansätzen ergänzt oder ersetzt. Dies drückt sich in Methoden wie offenen Interviews und qualitativen Inhaltsanalysen aus. Auch verschiedenste Ansätze der Diskursanalyse gewinnen heute an Bedeutung.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Kommunikation und Information
- Kommunikationsmanagement
- Informationsmanagement
- Kommunikationsmodell
- Proxemik
[Bearbeiten] Literatur
- Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikationsforschung. Herausgegeben von Christina Holtz-Bacha, Arnulf Kutsch, Wolfgang R. Langenbucher, Klaus Schönbach. Westdeutscher Verlag, Opladen 1955 ff. (Inhaltsverzeichnis)
- Roland Burkart: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder. Umrisse einer interdisziplinären Sozialwissenschaft. Stuttgart: UTB, 2002.
- Johanna Dorer, Brigitte Geiger (Hrsg.): Feministische Kommunikations- und Medienwissenschaft. Ansätze, Befunde und Perspektiven der aktuellen Entwicklung. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2002
- Stuart Hall: Encoding and Decoding in the Television Discourse. Birmingham 1973
- Andreas Hepp: Cultural Studies und Medienanalyse. Eine Einführung. 2. Auflage. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 1999
- Elisabeth Klaus: Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Wien 2005 (2. Auflage).
- Paul F. Lazarsfeld, Bernard Berelson, Hazel Gaudet: The People's Choice. How the Voter Makes Up His Mind in a Presidential Campaign. 2. Auflage. New York 1948
- Margreth Lünenborg: Öffentlichkeit und Geschlecht. Freie Universität, Berlin 2005 Volltext
- Klaus Merten, Siegfried J. Schmidt, S. Weischenberg (Hrsg.): Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, ISBN 3531123270
- Michael Meyen, Maria Löblich: Klassiker der Kommunikationswissenschaft. Fach- und Theoriegeschichte in Deutschland. UVK, Konstanz 2006, ISBN 3-89669-456-1 (Rezension)
- Heinz Pürer: Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Ein Handbuch. UVK, Konstanz 2003
- Siegfried J. Schmidt, Guido Zurstiege: Orientierung Kommunikationswissenschaft. Was sie kann, was sie will. Rowohlt, Reinbek 2000, ISBN 3-499-55618-9
- Stefan Weber (Hrsg.): Theorien der Medien. Von der Kulturkritik bis zum Konstruktivismus. UVK, Konstanz 2003, ISBN 3-8252-2424-4 (bietet einen guten Überblick über den derzeitigen Stand der Theorieentwicklung)
[Bearbeiten] Weblinks
- Deutsche Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft (DGPuK)
- Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg
- Prof. Gernot Wersig über das Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der FU-Berlin
- International Communication Association (ICA)
- European Communication Research and Education Association (ECREA)