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Jean Guitton

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Jean Guitton (* 18. August 1901 in Saint-Étienne; † 21. März 1999 in Paris) war ein französischer Philosoph und Schriftsteller.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Curriculum vitae

Jean Marie Pierre Guitton wurde am 18. August 1901 in St. Etienne geboren. Als Sohn einer Unternehmerfamilie wuchs er zusammen mit seinem Bruder Henri auf, der ein bekannter Ökonom wurde. Die Eltern, Auguste Guitton und Gabrielle geb. Bertrand, werden in seinen autobiographischen Schriften mit großem Respekt vorgestellt, insbesondere seine Mutter rühmt Guitton. Selbst sehr spät verheiratet, blieb das Ehepaar Marie-Louise (geb. Bonnet) und Jean Guitton kinderlos.

Jean Guitton besuchte das Lycée de St. Etienne, dann das Lycée Louis le Grand in Paris. Er studierte von 1920 bis 1923 an der École normale supérieure (de la rue d'Ulm), wandte sich der Philosophie zu und promovierte 1933 mit einer Arbeit über Plotin und Augustinus. Als Lehrer an verschiedenen Lycée tätig (Troyes, Moulins, Lyon), wurde Guitton 1937 zum Philosophieprofessor in Montpellier berufen. Als sehr konservativ profiliert, geriet Guitton 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft (bis 1945). Zunächst am Lycee von Avignon, lehrte er, politisch belastet durch sein Journal de captivité, in der Nachkriegszeit seit 1948 in Dijon und erst seit 1955 (bis 1968) Philosophiegeschichte an der Sorbonne. Bis kurz vor seinem Ableben 1999 in Paris blieb der Schriftsteller literarisch sehr produktiv.

Einem breiteren Publikum wurde Guitton durch sein "Portrait de M. Pouget" bekannt, in dem er 1941 einen tragisch erblindeten, aber geistlich besonders weitsichtigen Lazaristenpriester vorstellte. Das einzige fiktionale Werk ist "Césarine ou le soupcon" von 1947. Im übrigen trat Guitton mit zahlreichen Schriften zur Philosophie und Theologie hervor. Dies brachte ihm den Ruf ein, zu den bedeutenden katholischen Denkern des 20. Jh. zu gehören und überdies der erste anerkannte "Laientheologe" gewesen zu sein. Im Jahr 1961 zum Mitglied der Académie française berufen (Nachfolge Léon Bérard), seit 1987 überdies Mitglied der Academie des sciences morales et politiques, blieb Guitton ein beachteter frz. Intellektueller bürgerlich-religiösen Profils.

[Bearbeiten] Guitton und das Papsttum

Nachdem Guitton bereits 1937 einmal von Kardinalstaatssekretär Pacelli zusammentraf (der ihn 1958 als Papst Pius XII. abermals empfing), um dort für den Bibelwissenschaftler Marie-Joseph Lagrange und insbesondere dessen Forschungen zu Moses einzutreten, freundete er sich in der Nachkriegszeit mit dem in Paris tätigen Nuntius Angelo Roncalli an. Diesem war das Buch von Guitton über den frz. Kardinal Saliège positiv aufgefallen. Saliège hatte sich im Widerstand gegen Hitler für die Juden eingesetzt und dachte ökumenisch offen. Als einer der ersten formulierte Saliège, dass die bisherige "action catholique" keine gesellschaftliche Gruppe sein dürfe, sondern sich (als Bewegung der Präsenz des Evangeliums) in der ganzen Breite der Gesellschaft artikulieren solle. Im Jahr 1949 veröffentlichte Guitton ein Werk über "La Vierge Marie", in dem er die katholische Marienverehrung im heutigen Zeithorizont plausibel dargestellt hat. Ein Mitarbeiter des Hl. Offizium, der spätere Kardinal Pietro Parente, hegte den Verdacht, diese "théologie laïque" gebe die kath. Lehre verkürzt wieder. Roncalli empfahl Guitton also, mit dem Substituten im Staatssekretariat, G.B. Montini, in Kontakt zu treten. Am 8. September 1950 begründete das erste Gespräch der beiden eine lebenslange, freundschaftliche Beziehung.

Diese erwies sich darin, dass Guitton im Jahr 1967 ein Portrait Montinis, seit 1963 Papst Paul VI., veröffentlichen durfte. Erstmals in der Geschichte des Papsttums wurden gleichsam private Gedanken eines regierenden Papstes veröffentlicht. Später erschienen ähnliche private Bücher anderer Päpste (Johannes Paul II.: im Gespräch mit André Frossard, schließlich Erinnerungsbände; Joseph Ratzinger im Dialog mit Peter Seewald). Im Juni 1988 unternahm Guitton einen dramatischen, aber erfolglosen Versuch, im Auftrag des Papstes die von Rom nicht erlaubten Bischofsweihen des Msgr. Lefebvre zu verhindern. Mit Lefebvre persönlich bekannt, vermochte Guitton aber nicht, den Rebellen von der katholischen Authentizität des Zweiten Vatikanischen Konzils zu überzeugen.

Jean Guitton wurde bereits von Roncalli, dem Konzilspapst Johannes XXIII., als Laienbeobachter zum Konzil eingeladen. Im Auftrag von Papst Paul VI. sprach er am 3. Dezember 1963 zu den Konzilsvätern über die Ökumene, die Guitton von Jugend auf ein Anliegen war. Seinen "Petit Catéchisme" für Kinder schrieb Guitton 1976 auf Bitten des Papstes, das Portrait über Lagrange 1992 auf Wunsch des Nachfolgers.

[Bearbeiten] Katholizismus und modernes Denken

Guitton, der mit großer Intensität die Beziehungen zwischen dem katholischen Dogma und dem heutigen Geisteshorizont bearbeitet hat, war damit der erste Laie, der jemals auf einem Konzil das Wort ergriffen hat. Diese besondere Ehre wurde sogar von Charles de Gaulle gewürdigt, mit dem Guitton, trotz politischer Gegensätze in der Zeit vor 1945, in gegenseitigem Respekt zusammentraf (wie später auch mit François Mitterrand). Den Lebensweg Guittons zeichnen weitere bemerkenswerte Begegnungen aus. Als Schüler von Henri Bergson traf Guitton auch mit dessen Widerpart am Collège de France zusammen, nämlich Alfred Loisy, dem Hauptvertreter des schon früh gescheiterten Modernismus, welcher die Spannung zwischen Glaube und Wissen einseitig zugunsten des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes aufzulösen unternahm. Bergson hingegen, jüdischer Herkunft, näherte sich aus wissenschaftlicher Redlichkeit heraus immer mehr der Überzeugung an, dass es zwei Quellen der Religion und der Moral geben müsse, eine anthropologisch fassbare Quelle im religiösen Verhalten der Menschen, aber eben auch die andere, das Mysterium. Dessen jedweder Gnosis unbegreifliches Vollbild erblickte Bergson in Jesus Christus, und zwar so, wie ihn die Evangelien schildern.

Die philosophischen Schriften von Jean Guitton widmen sich daher stets der Frage nach dem Verhältnis von Zeit und Ewigkeit, der Geschichte, ihrer Entwicklung und ihrer Bestimmung. Guitton knüpft damit außer an Bergson auch an John Henry Newman und Jacques Maritain an. Mit dem Werk "L'Église et l'Évangile" antwortete Guitton 1959 auf Alfred Loisy. Guitton hat aus philosophischer Sicht, angeregt durch Lagrange, auch die Bibelkritik und ihr Verhältnis zum kath. Dogma aufgegriffen. In Deutschland blieb das literarische Schaffen des Denkers bislang weithin unerforscht.

In seinem "Testament philosophique" von 1997 (dt.: "Mein Jüngstes Gericht", 2001) fasst Guitton seinen Weg narrativ zusammen: In einem fiktiven, apologetischen Gespräch mit Blaise Pascal erläutert er, dass es unausweichlich sei, das Absolute absolut zu setzen. Gott persönlich anzubeten sei demgegenüber der zweite Schritt. Es gebe nur die Wahl zwischen Theismus (Gottesglaube) und Pantheismus (Glaube an ein immanentes Absolutum). Die Gründe für das Christentum nennt Guitton in einem weiteren fiktiven Gespräch mit Bergson. Es stütze sich auf die historische Wahrscheinlichkeit, dass die Evangelien ein wahrhaftiges, historisches Geschehen berichten, die Auferstehung Jesu, sowie die Authentizität der apostolischen Zeugen. Ein drittes Gespräch, fiktiv mit Papst Paul VI. geführt, lässt Guitton für den Katholizismus argumentieren, dass dieser die einzige Religion sei, die Gehorsam fordere, in dem Sinne, dass dieser zugleich die Freiheit erschließe. Er habe eine Synthese aus Aristoteles, Augustinus und Bergson versucht, fasst Guitton zusammen.

In seinem 1991 in Frankreich erschienen und besonders viel gelesenen Buch über Dieu et la science. Vers le métaréalisme kommt Guitton zu dem neothomistischen Schluss:

"Ich fordere den Leser also auf, über die drei Merkmale nachzudenken, die diesen [metarealistischen] Rahmen zu definieren scheinen:

  • Geist und Materie bilden ein und dieselbe Realität
  • der Schöpfer dieses Universums aus Materie und Geist ist transzendent
  • die Realität "an sich" dieses Universums ist nicht erkennbar

Ist unser Vorgehen legitim? Jedenfalls findet es ein verwirrendes Echo in der Philosophie eines Denkers, der im tiefen Mittelalter die Eingebung dessen hatte, was den Metarealismus ankündigte, Thomas von Aquin. Als Metaphysiker, Logiker und Theologe zugleich hat er sich vorgenommen, den christlichen Glauben mit der rationalen Philosophie von Aristoteles zu versöhnen."

(Cf. Jean Guitton, Gott und die Wissenschaft, S. 161 f.)

Guitton hält auch in seinen letzten Veröffentlichungen daran fest, dass eine Renaissance christlicher Philosophie möglich und im III. Jahrtausend sogar wahrscheinlich ist. Daher nannte er sich selbstbewusst "ein Fossil der Zukunft".

[Bearbeiten] Werke (Auswahl)

  • Le temps et l'eternité chez Plotin et Saint Augustin, 1933*
  • La philosophie de Leibniz, 1933
  • Le cantique des cantiques, 1934
  • Actualité de Saint Augustin, 1935
  • La pensée moderne et le catholicisme (7 Bde. 1934-1950)
  • Le livre des vocations, 1935
  • Portrait d'une mère, 1935
  • Portrait de M. Pouget, 1941* (2: 1959, Tb. 1985; dt. Synthese des Christlichen, 1959)
  • Justification du temps, 1941 (2: 1993)
  • Journal de captivité, 1943*
  • Pages pour les jeunes, 1945
  • Conseils à deux enfants, 1946
  • Le problème de Jésus, 1946*
  • Nouvel art de penser, 1946*
  • La philosophie de Newman, 1946
  • Césarine, 1947
  • Difficulté de croire, 1948
  • Essai sur l'amour humain, 1948* (dt. Vom Wesen der Liebe zwischen Mann und Frau, 1960)
  • L'existence temporelle, 1949* (2: 1989)
  • La vierge Marie, 1949* (2: 1954) (dt. Die Jungfrau Maria, 1954)
  • Le travail intellectuel, 1951* (2: 1985)
  • Pascal et Leibniz, 1951
  • Dialogues avec M. Pouget, 1954* (2: 1999)
  • Jésus, 1956 (2: 1970, Tb. 1999; dt. 1961)
  • Invitation à la pensée et à la vie, 1956*
  • Apprende à vivre et à penser, 1957
  • Le Cardinal Saliège, 1957*
  • L'Église et l'Évangile, 1959*
  • La vocation de Bergson, 1960*
  • Platon, 1960*
  • Une mère dans sa vallée, 1961* (2: 1978)
  • Une femme dans la maison, 1961
  • Problème et mystère de Jeanne d'Arc, 1961*
  • Le clair et l'obscur,
  • Leon Berard, 1962*
  • Dialogue avec les précurseurs, 1962*
  • Génie de Pascal, 1962
  • Regard sur le concile, 1962*
  • Images de la Vierge, 1963
  • L'Église et les laics, 1963* (dt. Mitbürgen der Wahrheit, 1964)
  • Vers l'unité dans l'amour, 1963*
  • Le Christ écartelé, 1963* (2: 1981. Crise dans l'église; dt. Der geteilte Christus, 1965)
  • Ratisbonne, 1964*
  • Siloe, heures de méditation en terre sainte, 1965*
  • Livre d'heures, 1966*
  • Dialogues avec Paul VI, 1967* (dt. Dialog mit Paul VI, 1967)
  • La pensee et la guerre, 1969*
  • La dernière heure, 1969*
  • Histoire et destinée, 1970
  • Critique religieuse, 1970
  • L'amour divin, 1971*
  • Le catholicisme, 1972*
  • Rue du bac ou la superstition depassée, 1973
  • Ècrire comme on se souvient, 1974*
  • Paul VI et l'année sainte, 1974
  • Prières pour l'année sainte, 1974
  • Journal de ma vie, 1976
  • Nouvel eloge de la philosophie, 1977*
  • Philosophie de la resurrection, 1977*
  • L'évangile dans ma vie, 1977 (2: 1990; dt. Zwischen den Zeilen des Evangeliums, 1979)
  • Mon petit Catechisme. Dialogue avec un enfant, 1978 (2: 1992)
  • Paul VI secret, 1980
  • Le temps de une vie, 1980
  • Jugements, 1981
  • Pages brulées, 1984
  • L'absurde et le mystère, 1984
  • Portrait de Marthe Robin, 1985
  • Silence sur l'essentiel, 1986
  • Le Nouveau Testament: une nouvelle lecture, 1987
  • Un siècle, une vie, 1988*
  • Portraits et circonstances, 1989
  • Dieu et la science, 1991 (dt. Gott und die Wissenschaft, 1993)
  • L'impur, 1991
  • Portrait du Père Lagrange, 1992
  • Les pouvoirs mystérieux de la foi, 1993
  • Lettres ouvertes, 1993
  • Celui qui croyait au ciel et celui qui ne croyait pas, 1994
  • Le genie de Thérèse de Lisieux, 1995 (Vorausgabe: 1962)
  • A la recherche de Dieu, 1996
  • Chaque jour que Dieu fait, 1996
  • Le siècle qui s'annonce, 1996
  • Mon testament philosophique, 1997 (dt. Mein jüngstes Gericht, 2001)
  • Le Livre de la sagesse et des vertus retrouvees, 1998
  • Ultima verba, 1998

Oeuvres complètes (1978):

  • Bd 1: Portraits
  • Bd 2: Critique religieuse
  • Bd 3: Sagesse
  • Bd 4: Philosophie
  • Bd 5: Journal de ma vie
  • Bd 6: Oecuménisme

Die oben mit * bezeichneten Werke sind in den Oeuvres complètes enthalten; vgl.: http://bohort.free.fr/oeuvre.html

[Bearbeiten] Quellen

  • Jean Guitton, Un siècle - une vie, Paris 1988;
  • Ders., Le siecle qui s'annonce, Paris 1997
  • Ders., Mon testament philosophique, Paris 1997;
  • Ders., Ultima verba, Paris 1998;
  • Ders., Dialogues avec Paul VI, Paris 1967.

[Bearbeiten] Weblinks

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