Harold Bloom
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Harold Bloom (*11. Juli 1930 in New York City) ist ein amerikanischer Literaturwissenschaftler und -kritiker. Er ist vor allem für seine Ablehnung marxistischer, feministischer und postkolonialer Literaturtheorie bekannt und erlangte im Laufe der in den 1980er Jahren ausgetragenen Kanon-Debatten internationale Berühmtheit.
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[Bearbeiten] Leben
Er wurde als Sohn Jiddisch sprechender orthodoxer Juden geboren, die aus Russland in die USA ausgewandert waren. Seine Eltern lernten laut New York Times nie, Englisch zu lesen. Bloom studierte zunächst an der Cornell Universität, dann an der Yale Universität, an der er seit 1955 auch lehrt. Seit 1988 hat er zudem eine Professur an der NYU inne, zwischenzeitlich zudem eine Professur an der Harvard Universität. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne, von denen einer schwerbehindert ist. Bloom hält sich über sein Privatleben bedeckt, doch es wird vermutet, dass die immens hohe Anzahl seiner Publikationen auch dem chronischen Geldmangel geschuldet ist, den die hohen Pflegekosten für seinen Sohn verursachen. So firmiert Bloom seit 1984 als Herausgeber literaturwissenschaftlicher Anthologien des Verlags "Chelsea House" und hat in dieser Funktion mehr als 400 Einleitungen zum Werk der jeweils besprochenen Autoren verfasst.
Zu Beginn seiner Karriere wandte er sich gegen den an den amerikanischen Universitäten vorherrschenden literaturwissenschaftlichen Ansatz, den New Criticism. Insbesondere verteidigte er die Schriftsteller der englischen Romantik wie Wordsworth und Coleridge gegen die seit T. S. Eliot verbreitete Geringschätzung ihrer Werke. In den 1970er Jahren liebäugelte er kurzzeitig mit dem Dekonstruktivismus, der zu dieser Zeit insbesondere an der Yale Universität zum beherrschenden Diskurs wurde, verwarf ihn aber später. Dem in den 1980er Jahren erstarkenden New Historicism konnte er von Beginn an nichts abgewinnen.
In seinem Band "The Anxiety of Influence" (dt. "Einflussangst") entwickelte er die These, dass ein Schriftsteller in seinem Streben nach Originalität stetig versucht, sich von seinen Vorbildern und Einflüssen zu lösen. Bloom verglich diese paradoxe Situation mit dem Ödipuskomplex der Psychoanalyse: der Dichter versucht, seinen "geistigen Vater" zu töten. Die Qualität bzw. Originalität eines Gedichts lässt sich nach Bloom an der Zahl der Gedichte messen, die es "auszuschließen" vermag.
Ebenfalls in den 1970er Jahren wandte sich Bloom dem Gnostizismus, insbesondere der Kabbala, zu und versuchte, sie der Literaturwissenschaft dienstbar zu machen.
Seither ist in seinen Schriften ein idealistisch-religiöser Ton bestimmend. Gute Literatur setzt sich in Blooms Augen mit den Grundfragen der menschlichen Existenz auseinander und offenbart das Streben nach Perfektion und Unsterblichkeit.
Mit dieser Auffassung geriet Bloom in Konflikt mit neueren Strömungen, als die Lehrpläne amerikanischer Schulen und Universitäten seit den 1970er Jahren vielerorts umgestellt wurden und zunehmend die Literatur, die von Frauen, Schwarzen, Einwanderern oder Autoren der "Dritten Welt" verfasst wurde, zuungunsten der Werke "toter weißer europäischer Männer" (dwems) bevorzugt wurde. Bloom sah in dieser Entwicklung eine unerhörte Politisierung des Literaturbetriebs und stemmt sich seither in zahlreichen Büchern, Vorträgen und Interviews gegen den angeblichen Niedergang der westlichen Kultur.
Blooms Selbstverständnis als Gralshüter der westlichen Kultur hat ihm wider seine Absicht die Bewunderung konservativer Kreise eingebracht, in jüngster Zeit aber auch viel Kritik und Spott. 2000 eskalierte ein Disput mit dem marxistischen Literaturprofessor Terry Eagleton, der Bloom des pathetischen Moralisierens zieh.
[Bearbeiten] Blooms Kanon
Harold Bloom vertritt die Auffassung, dass ein jedes literarische Werk sich "der alten und unerbittlichen dreifachen Frage des Wettkämpfers" stellen müsse, mit den möglichen Antworten "besser als, schlechter als, ebenso gut wie", und den aktuellen Stand dieses Wettstreits tut er regelmäßig in Büchern und Interviews kund.
1975 benannte er Robert Penn Warren, James Merrill, John Ashbery und Elizabeth Bishop als die bedeutendsten lebenden amerikanischen Dichter, und fügte dieser Liste später noch A. R. Ammons und Henri Cole hinzu.
In einem Interview der späten 1980er sagte er, Samuel Beckett sei "wahrscheinlich der bedeutendste lebende Schriftsteller der westlichen Welt". In der Einführung zum Band "Modern Critical Interpretations: Thomas Pynchon" (1987) legte er seinen Kanon "The American Sublime" vor, der die seiner Ansicht nach wichtigsten Errungenschaften der amerikanischen Kultur des 20. Jahrhunderts enthält. Es sind dies:
- Der Roman "Miss Lonelyhearts" von Nathanael West (dt."Schreiben Sie, Miss Lonelyhearts")
- William Faulkners Roman "As I Lay Dying" (dt. "Als ich im Sterben lag")
- "fast alles" aus dem Werk des Dichters Hart Crane
- die Gedichtsammlung "Auroras of Autumn" von Wallace Stevens
- die Episode "Byron the Bulb" ("Byron die Glühbirne") aus Thomas Pynchons Roman "Gravity's Rainbow" (dt. "Die Enden der Parabel")
- das Ende des Marx-Brothers-Films "Duck Soup"
- Bud Powells Einspielung seiner Komposition "Un Poco loco"
- "I Remember You" und "Parker's Mood" von Charlie Parker
Im Herbst 2003 verkündete er in der Los Angeles Times, es gäbe "vier amerikanische Schriftsteller, die noch am Werk sind und die unsere Anerkennung verdienen", nämlich Philip Roth, Thomas Pynchon, Don DeLillo und Cormac McCarthy.
Als die bedeutendsten britischen Autoren der Gegenwart identifizierte er den Dichter Geoffrey Hill sowie die Romanschriftstellerin Iris Murdoch.
In seinem umstrittenen Buch "The Western Canon" findet sich eine umfassende Aufzählung der Werke, die seiner Ansicht nach das Rückgrat der westlichen Kultur ausmachen. Sie findet sich hier.
[Bearbeiten] Literatur
[Bearbeiten] Bücher von Harold Bloom
- Shelley's Mythmaking. New Haven: Yale University Press, 1959.
- The Visionary Company: A Reading of English Romantic Poetry. Garden City, N.Y.: Doubleday, 1961. Rev. and enlarged ed. Ithaca: Cornell University Press, 1971.
- Blake's Apocalypse: A Study in Poetic Argument. Anchor Books: New York: Doubleday and Co., 1963.
- Yeats. New York: Oxford University Press, 1970.
- The Ringers in the Tower: Studies in Romantic Tradition. Chicago: University of Chicago Press, 1971.
- Poetry and Repression: Revisionism from Blake to Stevens. New Haven: Yale University Press, 1976.
- Figures of Capable Imagination. New York: Seabury Press, 1976.
- Wallace Stevens: The Poems of our Climate. Ithaca, N.Y.: Cornell University Press, 1977.
- Deconstruction and Criticism. New York: Seabury Press, 1980.
- The Flight to Lucifer: Gnostic Fantasy. New York: Vintage Books, 1980.
- The Breaking of the Vessels. Chicago: University of Chicago Press, 1982.
- The Book of J translated from the Hebrew by David Rosenberg; interpreted by Harold Bloom. New York : Chelsea House Publishers, 1988.
- Ruin the Sacred Truths: Poetry and Belief from the Bible to the Present. Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1989.
- The American Religion: The Emergence of the Post-Christian Nation; Touchstone Books; ISBN 0671867377 (1992; August 1993)
- The Anxiety of Influence: A Theory of Poetry. New York: Oxford University Press, 1973; 2d ed., 1997.
- A Map of Misreading. New York: Oxford University Press, 1975.
- Kabbalah and Criticism. New York : Seabury Press, 1975.
- Agon: Towards a Theory of Revisionism. New York : Oxford University Press, 1982.
- The Western Canon: The Books and School of the Ages. New York: Harcourt Brace, 1994.
- Omens of Millennium: The Gnosis of Angels, Dreams, and Resurrection. New York: Riverhead Books, 1996.
- William Shakespeare: The Invention of the Human. New York: 1999.
- Stories and Poems for Extremely Intelligent Children of All Ages. New York: 2001.
- How to Read and Why. New York: 2001.
- Genius: A Mosaic of One Hundred Exemplary Creative Minds. New York: 2003.
- Hamlet: Poem Unlimited. New York: 2003.
- The Best Poems of the English Language: From Chaucer Through Frost. New York: 2004.
- Where Shall Wisdom Be Found? New York: 2004.
[Bearbeiten] deutsche Ausgaben
- Die Heiligen Wahrheiten stürzen. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1991. ISBN 3518580868
- Einflußangst. Stroemfeld: Frankfurt am Main und Basel 1995. ISBN 3861091046
- Eine Topographie des Fehllesens. Suhrkamp: Frankfurt am Main 1997. ISBN 3518120115
- Die Kunst der Lektüre. Warum und wie wir lesen sollten. Bertelsmann: München 2000. ISBN 3570003345
- Shakespeare. Die Erfindung des Menschlichen. Berlin Verlag 2000. ISBN 3827003253
- Kabbala, Poesie und Kritik. Stroemfeld: Frankfurt am Main und Basel 2002. ISBN 3861091178
[Bearbeiten] Bücher über Harold Bloom
- Allen, Graham: Harold Bloom: Poetics of Conflict. Harvester Wheatsheaf : New York 1994.
- De Bolla, Peter: Harold Bloom. Toward Historical Rhetorics., Routledge: New York 1988.
- Fite, David: Harold Bloom.The Rhetoric of Romantic Vision. University of Massachusetts Press: Amherst 1985.
- Saurberg, Lars Ole: Versions of the Past--Visions of the Future. The Canonical in the Criticism of T. S. Eliot, F. R. Leavis, Northrop Frye, and Harold Bloom. St. Martin's Press: New York 1997.
[Bearbeiten] Weblinks
- Literatur von und über Harold Bloom im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Harold Bloom schimpft...
- und schimpft.
- Terry Eagleton schimpft Harold Bloom
Personendaten | |
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NAME | Bloom, Harold |
KURZBESCHREIBUNG | US-amerikanischer Literaturwissenschaftler und -kritiker |
GEBURTSDATUM | 11. Juli 1930 |
GEBURTSORT | New York City |