Gruppendenken
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Gruppendenken bezeichnet einen Denkvorgang, bei dem eine Gruppe von Personen schlechte oder realitätsferne Entscheidungen trifft, weil jede Person ihre eigene Meinung an die vermutete Gruppenmeinung anpasst. Daraus können Situationen entstehen, bei der die Gruppe Handlungen oder Kompromissen zustimmt, die jedes einzelne Gruppenmitglied unter normalen Umständen ablehnen würde.
Es gibt den Vorschlag, für „Gruppendenken“ im Deutschen die Übersetzung des englischen groupthink = „Gruppendenk“ zu benutzen. Der Begriff wurde im Englischen in gewollter Ähnlichkeit zu George Orwells Wortneuschöpfungen wie beispielsweise Doppeldenk und Quaksprech der Sprache Neusprech in seinem Roman 1984) 1972 von dem Psychologen Irving Janis geprägt. Nach Janis ist „Gruppendenk“ ein „Denkmodus, den Personen verwenden, wenn das Streben nach Einmütigkeit in einer kohäsiven Gruppe derart dominant wird, dass es dahin tendiert, die realistische Abschätzung von Handlungsalternativen außer Kraft zu setzen“ (Übersetzung von [1]).
Gruppendenken tritt gehäuft in Komitees oder großen Organisationen in Erscheinung. Es wird als einflussreicher Faktor beim Vietnamkrieg, bei der Schweinebucht-Invasion, dem Challenger-Unglück und dem Columbia-Unglück, der Korruption im Enronkonzern sowie 2003 bei der Entscheidung des amerikanischen Kongresses zum Irakkrieg angesehen.
Wichtige Faktoren für Situationen, in denen Gruppendenken wahrscheinlich wird, können sein:
- Die Gruppe muss eine hohe Gruppenkohäsion aufweisen im Sinne von Naheverhältnis und Ähnlichkeit.
- Es müssen weiterhin strukturelle Mängel im Aufbau bestehen, wie zum Beispiel fehlende Objektivität seitens der Führungskraft oder mangelhafte Normen.
- Auf die Gruppe muss zusätzlich eine bedrohliche Situation einwirken, die das Stressempfinden auslöst. Dies kann zum Beispiel durch äußeren Druck (drohende Verluste) oder internem Stress, wie etwa einem mangelnden Selbstwert bzw. wahrgenommene Problemlösekompetenz, gegeben sein.
Symptome von Gruppendenken sind beispielsweise:
- die Betrachtung von wenigen Alternativen
- die Nichtbeachtung der Meinung von Experten oder Außenstehender
- eine sehr wählerische Informationsbeschaffung
- die Illusion von Unverwundbarkeit
- ein starker Glaube an eine gruppeneigene Moral
- Beschönigung schlechter Entscheidungen
- Druck, sich der Gruppe anzupassen, Zurückhalten von Kritik
- Druck, die Gruppe vor negativen Ansichten zu schützen, oder was dafür gehalten wird
- Informationen über die Gruppe und den Informationsfluß nach 'draußen' zu kontrollieren
- innerer und äußerer Druck zur Entscheidungsfindung
- einzelne Gruppenmitglieder bestätigen sich gegenseitig ihre Theorien
In seiner extremen Ausprägung ist Gruppendenken das Unterwerfen des Einzelnen unter das Denken einer Gruppe, zu der die Einzelperson gehört oder gehören will: z.B. einer Religionsgemeinschaft oder Partei. In dieser Form steht Gruppendenken im Gegensatz zum kritischen Denken, das von Immanuel Kant wie folgt definiert wurde: "Wage es, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen".
Die Gefahr des Gruppendenkens besteht in seiner möglichen Starrheit und Irrationalität. Wenn die Gruppe über keinen Mechanismus zur Anpassung der gemeinsamen Denkvorstellungen verfügt, dann werden diese zum Dogma, das dennoch hohe Anziehungskraft entfalten kann und die Orientierung am wirklichkeitsfernen Dogma kann im ungünstigsten Fall bis zum Untergang der Gruppe führen.
In gemäßigter Form ist das Denken aller Menschen durch Gruppendenken beeinflusst: Wir alle orientieren uns ein Stück weit an den Ideen und Wertvorstellungen der Familie, des Freundeskreis, des Vereins, der Firma - bis hin zu Kirche, Partei und Staat. Gleichzeitig sind wir ein Stück weit an der Bildung des Gruppendenks beteiligt.
Ohne Gruppe ist auch das kritische Denken nicht möglich: Da niemand über den "Stein der Weisen" verfügt, ist der Weg zur Vermeidung von möglichen Fehlern im Denken der Gebrauch des eigenen Verstandes im kritischen Dialog mit anderen Mitgliedern der Gruppe, letztlich innerhalb der 'Gruppe Mensch', der die kulturelle Evolution mit Sprache und Schrift die Werkzeuge zum kritischen Denken in und mit der Gruppe gegeben hat (Karl Popper).
Es gibt verschiedene Ansätze, Situationen des Gruppendenkens vorzubeugen.
- Beispielsweise können Verantwortlichkeit und die Macht, Entscheidungen zu treffen, in die Hände einer Person gelegt werden. Sie darf jederzeit andere Gruppenmitglieder um Rat bitten. Da Kompromisse und Handlungen nur von dieser einen Person bestimmt werden, ist sie nicht von einer angenommenen Gruppenhaltung abhängig. Diese Methode ist jedoch sehr fragwürdig, da sie entweder dieser Person zuviel Macht einräumt oder zu unproduktiven Machtkämpfen innerhalb der Gruppe führt, und schließlich, weil diese person ja durchaus auch von einer Gruppe von Personen durch deren Denken unter Druck gesetzt werden kann bzw. sich gesetzt fühlt, also ebenfalls wieder einem Gruppendenken erliegt.
- Durch die Auswahl eines Gruppenmitgliedes, das stets eine ablehnende Haltung einnimmt (Advocatus Diaboli), können andere Gruppenmitglieder zur Begründung von Vorschlägen motiviert werden. Auch sinkt der mit ersten Gegenargumenten verbundene Druck.
- Schließlich haben sich Anonymes Feedback, Vorschlagsboxen sowie Online Chats als wirksame Mittel gegen Groupthink etabliert. Kritik und negative Ansichten können aufgeworfen werden, ohne dass ein bestimmtes Gruppenmitglied dafür verantwortlich gemacht werden kann.
- Eine Alternative zum Gruppendenken ist ein formaler Entscheidungsfindungsprozess, welcher in kooperierenden Gruppen am effektivsten angewendet werden kann.
[Bearbeiten] Literatur
- Janis, Irving. Victims of Groupthink: A Psychological Study of Foreign-Policy Decisions and Fiascoes. Boston: Houghton Mifflin, 1972. ISBN 0395140447
- Schwartz, John and Wald, Matthew L. Smart People Working Collectively can be Dumber Than the Sum of their Brains: "Groupthink" Is 30 Years Old, and Still Going Strong. New York Times, 9. März, 2003 (nachgedruckt in Groupthink ).
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Weblinks
- Artikel über Gruppendenk von Disinfopedia (auf englisch)