Privacy Policy Cookie Policy Terms and Conditions Geiselnahme von Beslan - Wikipedia

Geiselnahme von Beslan

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Die Geiselnahme von Beslan (auch Massaker von Beslan) war ein Terrorakt tschetschenischer Kämpfer, die zwischen 1. September und 3. September 2004 die Insassen einer Schule in Beslan im russischen Nordossetien in ihre Gewalt brachten.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Verlauf

Am 1. September 2004 stürmte eine Gruppe von ca. 30 schwer bewaffneten Personen um 9:30 Uhr Ortszeit die Mittelschule Nr. 1, in der Schüler im Alter von sieben bis achtzehn Jahren unterrichtet wurden. Unbestätigten Berichten zufolge hielten sich zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1.500 Menschen in dem Gebäude auf. Der 1. September ist in ganz Russland Schulbeginn, an dem die Erstklässler in Anwesenheit der Eltern und zukünftigen Mitschüler feierlich begrüßt werden. Oft kommen ganze Familien, um der Zeremonie beizuwohnen.

Die Angreifer waren maskiert und schwer bewaffnet, einige waren mit Sprengstoffgürteln für Selbstmordattentate ausgerüstet, darunter auch Frauen (so genannte Smertnizi - Schwarze Witwen). Nach einem Schusswechsel mit der Polizei besetzten die Angreifer das Schulgebäude und nahmen hunderte Geiseln, darunter viele Kinder. Mindestens fünf Menschen sollen beim ersten Angriff ums Leben gekommen sein und aus dem Schulgebäude drangen wiederholt Schüsse.

Die Angreifer sperrten die Geiseln in die Turnhalle und verminten sämtliche Eingänge. Um eine Erstürmung des Gebäudes zu verhindern, drohten sie mit der Tötung von fünfzig Geiseln für jeden von der Polizei getöteten Entführer, sowie von zwanzig Geiseln für jeden verletzten. Etwa fünfzig Menschen gelang die Flucht ins Freie im anfänglichen Durcheinander.

Die Schule wurde von russischer Polizei, Armee und OMON-Spezialeinheiten umstellt. Die russische Regierung kündigte zunächst an, zum Schutz der Geiseln auf Gewalt zu verzichten und mit den Geiselnehmern zu verhandeln.

Die Geiselnehmer lehnten die Lieferung von Nahrungsmitteln und Wasser ab, obwohl sich unter den Geiseln auch Kleinkinder befanden. Der Durst der Gefangenen und die Hitze waren so stark, dass diese teilweise ihren Urin tranken und sich bis auf die Unterwäsche auszogen. Der Schulleiter, der an Diabetes litt, starb, weil ihm die nötige Versorgung mit Insulin verweigert wurde.

Auf Antrag Russlands fand am Abend des 1. September eine Sondersitzung des UNO-Sicherheitsrates statt, der die sofortige und unbedingte Freilassung aller Geiseln des Terrorüberfalls forderte; US-Präsident George W. Bush bot Russland "Unterstützung in jeder möglichen Form" an.

Am Donnerstag, 2. September, 15:30 Uhr Ortszeit - dreißig Stunden nach dem Überfall -, waren zwei schwere Explosionen im Schulbereich zu hören und dunkler Rauch zu sehen. Die Ursache der Explosion war zunächst unklar, nach Angaben eines Korrespondenten der russischen Fernsehstation NTW klang es jedoch wie ein Granatwerfer, der möglicherweise von der Schule aus auf die blockierenden Truppen abgefeuert worden war. 26 Geiseln, einige Mütter mit ihren Kindern, wurden freigelassen.

Am Freitag, 3. September, einigten sich die Geiselnehmer und die russischen Einheiten auf den Abtransport von Leichen. Während des Abtransports kam es auf ungeklärte Weise zu einer starken Explosion. Als eine Gruppe von Geiseln die Flucht aus dem Gebäude ergriff, begannen die Terroristen auf sie zu schießen. Die Lage wurde unüberschaubar und es kam von ungefähr 12:30 Uhr Ortszeit an zu stundenlangen Feuergefechten, in deren Verlauf russische ALFA-Einheiten das Schulgebäude stürmten. Erst nach mehreren Stunden konnten sie es vollständig unter ihre Kontrolle bringen. Wie später bekannt wurde, waren sich die Sondereinheiten nicht einig, wer die oberste Befehlsgewalt bei der spontanen Erstürmung innehaben sollte.
Im Verlauf der Kämpfe stürzte eine Decke in der Schule ein, was viele Menschen das Leben kostete. Offiziellen Angaben zufolge wurde die Decke von den Terroristen gesprengt, anderen Angaben zufolge wurde der Einsturz durch unangemessenen Einsatz militärischer Mittel von den russischen Spezialkräften herbeigeführt.
Während der offenbar planlosen Erstürmung wurden nach offiziellen Angaben 704 Menschen verletzt, darunter mehr als 200 Kinder. Insgesamt gab es 331 Tote. Allein im Leichenschauhaus von Wladikawkas wurden jedoch 394 Tote gezählt.Hilfsorganisationen sprachen von mindestens 900 Toten. 27 Geiselnehmer wurden getötet, ein Geiselnehmer (Nurpaschi Kulajew) wurde festgenommen. Er wurde im Mai 2006 zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach Augenzeugenberichten soll mehreren Geiselnehmern die Flucht geglückt sein.

Die Geiselnehmer waren offensichtlich gut ausgebildet und ausgerüstet und hatten möglicherweise Helfer außerhalb der Schule. Sie hatten als Bauarbeiter getarnt bei der zuvor stattgefundenen Schulrenovierung bereits umfangreiche Waffenlager unter den Dielen einiger Schulräume angelegt. Beobachter verweisen hier auch auf Korruption bei örtlichen Amtsträgern, ohne die eine solche Aktion insgesamt kaum durchführbar wäre.

[Bearbeiten] Identität der Angreifer

Die Identität der Angreifer war unklar, aber man ging allgemein davon aus, dass es sich um Terroristen aus dem nahe gelegenen Tschetschenien handelt, wahrscheinlich aus der Gruppe Rijadus-Salichin des Warlords Schamil Bassajew. Offiziellen Angaben, wonach unter den Tätern mehrere Terroristen aus arabischen Ländern waren, widersprachen die Geiseln, sodass diese Behauptung wieder zurückgenommen werden musste. Ein angeblicher Schwarzer stellte sich als mit Ruß verschmierter Tschetschene heraus. Der Tschetschene Nurpaschi Kulajew ist wahrscheinlich der einzige Geiselnehmer, der die Erstürmung überlebt hat. Er war im Chaos der Befreiungsaktion durch mehrere Polizeiabsperrungen entkommen, bevor er von Passanten gestellt wurde. Er wurde im Mai 2006 schuldig gesprochen.

Das Vorgehen der Geiselnehmer ähnelt auffallend der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater vom Oktober 2002, als militante Tschetschenen 700 Geiseln nahmen. Die Aktion fand eine Woche nach dem terroristischen Anschlag von Tschetschenen auf eine U-Bahnstation in Moskau mit 10 Todesopfern und der Sprengung zweier Passagierflugzeuge durch Selbstmordattentäterinnen mit 89 Toten statt. Die russische Regierung schrieb die Anschläge abschließend nicht tschetschenischen Kriegsherren zu, sondern sprach von "internationalem Terrorismus".

Die Beslan-Geiselnehmer sollen folgende Forderungen gestellt haben:

  • Freilassung von gefangenen tschetschenischen Terroristen aus den inguschetischen Gefängnissen
  • Rückzug aller russischen Truppen aus Tschetschenien
  • Rücktritt Putins

[Bearbeiten] Informationspolitik der Behörden

Während der Geiselnahme lancierten die Behörden eine massive Desinformationskampagne. Während Lokalsender von 1 200 Geiseln sprachen, nannte ein Sprecher des nordossetischen Präsidenten und des Geheimdienstes FSB zunächst die Zahl von 130 und später von 354 Opfern. Diese Zahlen wurden verbreitet, obwohl den Ministerien die Anzahl der Schulanfänger natürlich bekannt war. Erst nachdem am 2. September eine freigelassene Frau öffentlich von "über 1 000 Geiseln" sprach, wurde diese hohe Zahl eingestanden, und Nordossetiens Präsident Alexander Dschasochow gab zu, dass falsche Zahlen genannt worden waren. Noch Stunden nach der Erstürmung verschwiegen die russischen Fernsehstationen, dass dabei Menschen ums Leben gekommen waren.

Kritiker des katastrophalen Einsatzes der Sondereinheiten des Innenministeriums wurden mundtot gemacht. Die wenigen Fernseh- und Zeitungsredakteure, die kritisch berichteten, gerieten unter den massiven Druck der Regierung: so wurde Raf Schakirow, der Chefredakteur der renommierten Tageszeitung Iswestija auf Wunsch eines Großaktionärs der Zeitung entlassen. Diese Pressezensur verfolgte möglicherweise den Zweck, die angeheizte Stimmung nicht noch weiter eskalieren zu lassen.

Kritisiert wurde auch die später zurückgenommene Behauptung offizieller Stellen, unter den Terroristen befänden sich mindestens zehn Araber. Der russischen Regierung wurde vorgeworfen, dadurch Verbindungen der Tschetschenen zum internationalen Terrornetzwerk El Qaida herstellen zu wollen. Der festgenommene Geiselnehmer Nur-Pascha Kulaev sagte im Fernsehen, dass der Anschlag auf den tschetschenischen Ex-Präsidenten Aslan Alijewitsch Mashadow sowie den tschetschenischen Warlord Schamil Bassajew zurückgehe, auf deren Kopf eine Belohnung von 10 Millionen Dollar ausgesetzt war. Aslan Maschadow dementierte eine Beteiligung, Schamil Bassajew hingegen bekannte sich zu diesem Terrorakt und drohte weitere Anschläge an. Dies bekräftigte er in einem Interview mit einem Team des amerikanischen Fernsehsenders CBS im Juli 2005. Er bekenne sich zwar voll zu seiner Verantwortung, sei jedoch von Russland zu diesen Taten getrieben worden. Nach Ausstrahlung des Interviews kam es zu diplomatischen Verwicklungen zwischen den USA und Russland, als erstere die Kontaktaufnahme eines Journalisten mit einem Terroristen nicht wie von Russland gefordert verurteilten. Die USA bemühte sich um Schadensbegrenzung, verurteilte den Sender CBS aber nicht, da dies ihrem Verständnis von demokratischen Rechten widersprochen hätte. Es wird darüber hinaus eine stillschweigende Unterstützung der Vorgehensweise der Journalisten vermutet.

Der ausländischen - vor allem westeuropäischen - Berichterstattung wird im Gegenzug teilweise der Vorwurf gemacht, sie vermittele latent den Eindruck, Putin trage mit seiner Tschetschenienpolitik eine Mitschuld an dem Massaker und rechtfertige somit die Taten der Terroristen.

[Bearbeiten] Folgen für die russische Politik

Im Gefolge der Geiselnahme kündigt Russlands Präsident Wladimir Putin eine Reihe von Umstrukturierungen an, die seiner Auffassung nach das Land stabilisieren und künftige terroristische Aktivitäten verhindern sollten. Zu diesem Zweck sollte vor allem die Macht des Kreml ausgeweitet werden, um die Einhaltung föderaler Gesetze sicherzustellen. Weiterhin solle die Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsorgane verbessert werden.
Die Gouverneure der Regionen und Republiken Russlands sollen in Zukunft vom Präsidenten vorgeschlagen werden; die Regionalparlamente sollen diese nur noch bestätigen oder ablehnen. Außerdem solle die Duma nur mehr nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden (bei den Parlamentswahlen 2003 hätte die kremlnahe Partei Einiges Russland mit diesem Wahlsystem noch mehr Sitze erlangt).
Entsprechende Gesetze wurden Ende 2004 verabschiedet; sie sollten laut Ankündigung Putins die Verfassung angeblich nicht verletzen.

Am 5. September 2004 trat der nord-ossetische Innenminister Kasbek Dsantijew zurück.

Im Zusammenhang mit der geplanten Einrichtung eines zentralen Anti-Terror-Dienstes sagte Putin später: "Terroristen müssen direkt in ihren Lagern vernichtet werden. Wenn es nötig ist, muss man sie auch im Ausland erwischen."

Weitere Bemerkungen Putins zum "ausländischen Einfluss" bei der groß angelegten Geiselnahme werden von den meisten Beobachtern als Verweis auf Al-Qaida verstanden, von einigen aber auch als Anspielung auf eine ausgewiesene US-Strategie, Russlands Südgrenze anhaltend zu destabilisieren.

[Bearbeiten] Weblinks


[Bearbeiten] Literatur

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