Cap Anamur
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Cap Anamur ist sowohl der Name eines Rettungsschiffes, als auch die geläufige Bezeichnung einer Hilfsorganisation. Beide Namen sind historisch und thematisch unmittelbar verknüpft und leiten sich ab vom Kap Anamur, dem südlichsten Kap der Türkei im Mittelmeer.
Zur Hilfsorganisation siehe Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V.
Die erste Cap Anamur war ein deutsches Frachtschiff, mit dem von 1979 bis 1986 insgesamt 10.375 vietnamesische Flüchtlinge (die sogenannten "boat people") auf dem Chinesischen Meer gerettet und nach Deutschland gebracht wurden. Die Flüchtlinge trieben zuvor auf überladenen, altersschwachen Booten auf dem Meer. Die meisten von ihnen fielen vor einer Rettung den Stürmen, den Piraten oder dem Hungertod zum Opfer. Die Rettungsaktion Deutsches Komitee. Ein Schiff für Vietnam wurde 1979 vom deutschen Journalisten Rupert Neudeck initiiert. Sie erregte weltweites Aufsehen und wurde mit teils dramatischen Bildern von den Medien verfolgt.
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[Bearbeiten] Baudaten
- Schiffsname: "CAP ANAMUR"
- Schiffstyp: Stückgutfrachter
- Heimathafen: Lübeck
- Bauwerft: Heinrich Brand Schiffswerft GmbH & Co. KG, Oldenburg
- Baunummer: 216
- Kiellegung: 13. April 1982
- Fertigstellung: 01. März 1983
- Eigner: Komitee CAP ANAMUR/Deutsche Not-Ärzte e.V.
- LüA: 90,02 m; Abkürzungen siehe Schiffsmaße
- Lpp: 78,60 m
- B: 14,00 m
- T: 5,57 m
- Seitenhöhe bis Oberdeck: 7,90 m
- Tragfähigkeit (tdw): 3235
- Laderauminhalt (Vc) 4721 m³
- Container auf Deck. 181 TEU
- Leistung der Hauptmaschine: 1470 kW
[Bearbeiten] Geschichte
[Bearbeiten] Hintergrund
Nach dem Ende des Vietnamkrieges kam es 1975 zur Vereinigung von Nord- und Südvietnam. Wachsende ideologische Streitigkeiten mit der Volksrepublik China, der Einmarsch in Kambodscha, sowie der Beschluss der neuen kommunistischen Regierung, die gesellschaftlichen Strukturen im Süden denen des Nordens anzupassen, führten 1979 zu großen Flüchtlingsströmen. Die meisten glaubten, auf dem Seeweg nach Hongkong, Macau oder Singapur sicherer zu sein, als auf dem Landweg nach Laos oder Thailand. Um einen Platz auf den teilweise seeuntüchtigen Booten zu bekommen, bezahlten viele mit ihrem gesamten Vermögen.
[Bearbeiten] "Ein Schiff für Vietnam"
Der deutsche Journalist Rupert Neudeck entschloss sich, den Flüchtlingen zu helfen. Gemeinsam mit seiner Frau und einigen Freunden, darunter der Schriftsteller Heinrich Böll, gründete er in Troisdorf bei Köln das private Hilfskomitee Ein Schiff für Vietnam. Sie charterten den Frachter "Cap Anamur" und bauten ihn zu einem Hospitalschiff um. Gleichzeitig liefen in ganz Deutschland die ersten Spendenaktionen an. Mit einem Team aus freiwilligen Technikern, Logistikern, Ärzten und Pflegern erreichten sie am 13. August 1979 das Chinesische Meer.
Schon früh wurde über die Medien bekannt, dass Neudeck nicht nur die Rettung der Flüchtlinge plante, sondern auch für deren Aufnahme in Deutschland sorgen wollte. Dies brachte ihm den Vorwurf ein, dadurch noch mehr Vietnamesen zur Flucht zu ermutigen und die humanitäre Katastrophe zu verschlimmern. Es kam zu Konflikten mit den deutschen Behörden, die aber aufgrund des öffentlichen Interesses zu einem Kompromiss führten: man war seitens der Bundesrepublik bereit, denjenigen Flüchtlingen Asyl zu gewähren, die direkt von der Cap Anamur aufgenommen wurden, aber nicht denjenigen, die von Schiffen anderer Nationalität bereits gerettet und übergeben wurden. In den ersten drei Jahren konnten über 9500 "boat people" gerettet werden. Im Juli 1982 beschloss die deutsche Regierung einen Aufnahmestopp. Die Helfer mussten vorübergehend ihre Arbeit einstellen.
Der starke Rückhalt in der deutschen Bevölkerung, die mit ihren Spenden diese Aktion unterstützte und ermöglichte, führte 1982 zur Gründung der Hilfsorganisation Komitee Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V. Nach öffentlichen Protesten und der Intervention von prominenten Unterstützern wie Heinrich Böll, Alfred Biolek und Freimut Duve öffnete die Bundesregierung wieder die Tore für die Flüchtlinge. Die Rettungsaktion wurde noch bis 1986 fortgeführt, wobei rund 1000 weitere Menschen gerettet werden konnten. Die meisten der Flüchtlinge leben heute noch in Deutschland, viele durften im Laufe der Jahre ihre Familienangehörigen nachholen.
[Bearbeiten] Folgeaktionen
Bis heute folgten zahlreiche weltweite Einsätze in Somalia, Uganda, Äthiopien, Sudan, Eritrea, Afghanistan, Nordkorea, Bosnien, Mazedonien und im Kosovo. Alle Projekte werden weiterhin durch Spendengelder finanziert. Neben der Aufnahme von Flüchtlingen auf See werden auch Hilfsmaßnahmen an Land durchgeführt, wie etwa
- das Einrichten und Unterhalten von Flüchtlingslagern
- die Versorgung mit Nahrung, Wasser und Medikamenten
- den Bau von Unterkünften, Schulen und Ambulanzen
In den Projekten arbeiten Fachkräfte zum Einheitslohn von 1.100,- Euro brutto und für eine Mindestdauer von sechs Monaten. Von den Spendengeldern konnte im Jahr 2004 ein eigenes Schiff gekauft werden. Am 14. Februar 2004 wurde die zweite Cap Anamur in ihren Dienst gestellt. Die Jungfernfahrt führte im März 2004 von Lübeck/Deutschland nach Westafrika.
Erneut in die Schlagzeilen geriet das Schiff im Juli 2004. Bei ihrem ersten Einsatz im Mittelmeer wurden 37 Flüchtlinge vor der afrikanischen Küste an Bord genommen, welche ihre Herkunft zuerst mit "Sudan" angaben, wobei sich herausstellte, dass 31 aus Ghana und sechs aus Nigeria stammten. Ihre Anträge auf Asyl in Deutschland wurden abgelehnt, da sich das Schiff nicht in deutschen Gewässern befand. Nach fast dreiwöchiger Blockade erteilten die italienischen Behörden der Cap Anamur am 12. Juli die Einlaufgenehmigung in den sizilianischen Hafen Porto Empedocle. Die 37 Flüchtlinge wurden in ein Lager gebracht. Kurz nach der Landung wurde das Schiff beschlagnahmt, der Kapitän, der 1. Offizier und der Chef der Hilfsorganisation Elias Bierdel wurden wegen Beihilfe zur illegalen Einreise festgenommen. Kritiker warfen dem Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V. vor, das Leid von Menschen zur Durchsetzung politischer Ziele zu missbrauchen. Auch der ehemalige Vorsitzende Rupert Neudeck kritisierte das Vorgehen der neuen Crew um Elias Bierdel und sprach von einem Verlust der Glaubwürdigkeit in die Hilfsorganisation. Die Beschuldigten kritisierten ihrerseits das bürokratische und "inhumane" Vorgehen in der EU-Flüchtlingspolitik. Am 16. Juli 2004 wurden die drei Crew-Mitglieder wieder freigelassen. Am 20. Juli wurden fast alle nigerianischen (ein einziger durfte vorläufig in Italien bleiben) und am 22. Juli die ghanaischen Flüchtlinge in ihre Heimat abgeschoben. In Folge dieser Aktion trennte sich der Cap Anamur/Deutsche Notärzte e.V. von seinem Ersten Vorsitzenden Elias Bierdel.
Am 18. Februar 2005 wurde das Schiff wieder freigegeben und lief Richtung Kroatien aus.
Im März 2005 beschloss das Komitee den Verkauf der zweiten Cap Anamur. Da das Schiff fast acht Monate lang als Beweismittel in Italien beschlagnahmt war, wurden in dieser Zeit Verträge mit Transportunternehmen abgeschlossen, um die Hilfsprojekte logistisch bewältigen zu können. Durch die langfristigen neuen Bindungen wäre der zusätzliche Einsatz und Unterhalt eines eigenen Schiffes zu teuer gewesen. Der Verkauf wurde im April 2005 abgeschlossen.
[Bearbeiten] Weblinks
- Komitee Cap Anamur - Homepage
- Gesammelte Pressemitteilungen
- Alessandra Sciurba: Gesetzlose Zone. Der Fall Cap Anamur - ein antirassistisches Tagebuch. Aus: Analyse & kritik Nr. 489 / 19.11.2004
- HR2 - MP3 Beitrag