Akıncı
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Ein Akıncı (osm.-türk. Stürmer, Sturmreiter) war ein Angehöriger irregulärer - also unbesoldeter und auf Raub und Sklavenhandel angewiesener - Reitertruppen der Osmanen.
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[Bearbeiten] Militärische Aufgaben
Die Akıncı stellten die wichtigsten der leichten Kavallerieeinheiten dar, die im Rahmen der Provinzialtruppen neben der schweren Sipahi-Reiterei zur Verfügung standen.[1] Sie gerieten vor allem während und nach der ersten Belagerung Wiens durch die Osmanen 1529 als „Renner und Brenner“ ins europäische Bewusstsein. „Viele christliche Nachbarn [des türkischen Machtbereiches] kannten von der großen Menge osmanischer Kämpfer nur die wilden Akindschis“.[2] Die Akıncı waren in der Regel in den europäischen Grenzgebieten stationiert und unternahmen, schon während die regulären Truppen ihre Lager bezogen, Streifzüge[2], um die Bevölkerung zu verunsichern, ihre Besitztümer als Vorräte zu brandschatzen[3][1] und sie selbst zu töten oder als Sklaven gefangen zu nehmen.[3] Sie schnitten dem Gegner den Weg ab[1] und sollten durch ihre Einfälle auch die Mobilität und Kampfbereitschaft des gegnerischen Heeres prüfen,[3] erfüllten also taktische Kundschaftertätigkeiten.[4] Meist entkamen die türkischen Reiter, noch bevor geeignete Gegenmaßnahmen getroffen werden konnten. Stand in einem Jahr kein europäischer Kriegszug der regulären Armeen bevor, schwärmten die Akıncı schon im Frühjahr unter roten, schwarzen und weißen Fahnen sich in kleine Scharen auflösend auf eigene Faust aus,[3] da sie weder Sold noch Pfründe erhielten[1] und ihr Lebensunterhalt gänzlich von den jährlichen Räubereien abhing.[3][1] Wurden sie während regulärer Kriegszüge beim Hauptheer nicht gebraucht, unternahmen sie weite Beutezüge, so im Sommer 1478 „in das Geiltal oder herabwertz gen Kernden“.[3] Ihren Ruf als undisziplinierte Truppen unterstrichen die wiederholten Schäden, die sie auch auf osmanischem Gebiet anrichteten.[1] Nur ausnahmsweise nahmen sie auch an Feldzügen in Asien teil, wie auf dem Bild rechts dargestellt.[5] Von ihrer Beute mussten sie in jedem Fall ein Fünftel an den Sultan abgeben.[2]
[Bearbeiten] Die Akıncı-Beys aus privilegierten Familien
Einige Akıncı-Familien bekamen in früher osmanischer Zeit von den Sultanen ein Erbrecht auf das Oberkommando über Akıncı-Truppen verliehen, so z. B. die Familie Mihaloğlu von Sultan Orhan Gazi (1326 - 1359). Diese Familien eroberten sich mit ihren Akıncı große Landstriche im südöstlichen Europa, die Familie Mihaloğlu beispielsweise weite Bereiche an der Donau. Sie besaß auch erbliche Schlösser und eine anerkannte politische und militärische Stellung. Ihre Akıncı waren zum großen Teil Bulgaren, Serben und Bosnier.
Bedeutend waren auch die Familien der Malkoçoğlu und der Turhanlı. Mitglieder dieser Familien waren nicht nur Akıncı-Beys, sondern bekleideten auch andere osmanische Ämter. Sie gehörten damit zu den wenigen türkischstämmigen Würdenträgern. Meist bevorzugten die Sultane Renegaten und deren Nachkommen.[6]
[Bearbeiten] Die Bewaffnung der Akıncı
Belegt ist, dass die Akıncı Reflexbogen benutzten, die man nach heutigem Verständnis als Hightechwaffen bezeichnen könnte.[7][8] Diese Bögen (osman.-türk. ok) hatten durch ihre besondere Bauart eine für die damalige Zeit sehr große Spannkraft und gaben den Pfeilen (yay) eine so hohe Geschwindigkeit, dass diese sogar Rüstungen durchschlagen konnten.[7] Außer Pfeil und Bogen und den dazu gehörigen Köchern (tirkes und kemandan) trugen die Akıncı zunächst nur einen leichten, rechteckig-gewölbten oder runden, hölzernen Schild (kalkan), manchmal eine Lanze (mısrak), später auch einen Säbel (gaddare). Im Feld waren die leicht gekleideten Akıncı-Reiter an übergeworfenen Leopardenfellen zu erkennen. Ihren Erfolg verdankten sie auch ihren durchtrainierten, beschnittenen Pferden[6] - „führ[t]en doch Mann und Pferd schon wochenlang vor Antritt des Zuges eine eigene Lebensart, um allen Verhältnissen gewachsen zu sein“.[2]
[Bearbeiten] Die Auflösung der Akıncı-Truppen nach 1595
Die Reitertruppen der Akıncı, die seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts große militärische Bedeutung hatten, wurden im Jahre 1595, nachdem sie unter der schlechten Führung des Großwesirs Sinan Paşa im Kampf gegen christliche Truppen stark dezimiert worden waren und sich dann nicht mehr erholen konnten, vom Sultan nicht mehr gefördert und aufgelöst.[9] Noch kurz vorher standen „30-50000 immer kriegsbereite Akindschis [...] an der Donau, bis nach Sofia hin und Saloniki“.[10] Später bestand die leichte Kavallerie der Osmanen aus den Tataren und den wenig erfolgreichen Deli (osm.-türk. Tollkühne, Verrückte, Ungestüme), die sich vor dem Kampf mit Drogen berauschten. Diese Deli hatten sich aus Unterabteilungen der Akıncı entwickelt und waren wie auch schon die Akıncı eine gemischte Truppe aus Türken und Angehörigen von Balkanvölkern. Sie fungierten noch bis Ende des 17. Jahrhunderts als besondere Garde. Nicolae Jorga erwähnt in seiner Geschichte des Osmanischen Reiches die Akıncı nach 1595 nicht mehr; deren bisherige militärische Funktion ordnet er nun stattdessen hauptsächlich den Tataren zu. Diese waren „immer zur Hand; ihre wilden Schwärme bildeten gewöhnlich den Vortrab des gegen Polen, Kosaken, Moskowiter oder gegen die Kaiserlichen vorrückenden Heeres“.[11] Zwar wird noch ein Mihaloğlu Koca Hızır Paşa bei Kämpfen gegen die Polen unter dem Oberbefehl Iskender Paşas erwähnt, doch weder das Jahr - es könnte 1620 oder 1622 sein - noch die Person dieses Mitglieds der Familie Mihaloğlu sind eindeutig identifiziert.[12]
[Bearbeiten] Anekdotisches und Sagenhaftes
Um diese als undiszipliniert geltende Akıncı-Reiterei rankten sich vor allem nach der ersten Belagerung Wiens von Furcht und Bewunderung geprägte Anekdoten und Sagen. Sie bestimmten das Bild, das man sich in Wien und Umgebung und darüber hinaus im deutschsprachigen Europa von „den Türken“ machte.
- So sollen die Akıncı unter anderem von ihren Gegnern gefürchtet worden sein, da sie als berittene Bogenschützen in der Lage waren, vom Rücken ihrer galoppierenden Pferde aus zielgenau zu treffen,[7] wobei sich zum Zeitpunkt des Abschusses alle vier Hufe des Pferdes in der Luft befinden mussten.[13] Auf diese Art soll es dem Akıncı-Reiter möglich gewesen sein, seinen Pfeil aus dem Galopp heraus durch den feindlichen Visierschlitz zu schießen oder ihn genau zu dem Zeitpunkt losschnellen zu lassen, zu welchem der Gegner den Arm zum Schwerthieb hob und so durch den Pfeil an der ungepanzerten Stelle unter der Achsel tödlich getroffen werden konnte.[7][13]
- In einem Siebenbürgischen Lied von 1551 heißt es:
„Die Türken mit ihren flitzen Pfeyl,
Sie schossen heraus mit schneller Eil,
Als ob es mit Pfeylen her schnibe.“[14]
- Ein Teilnehmer an den Heereszügen Mehmets II. (1451-1481) schrieb:
„Über die türkischen Jäger, die akıncı genannt werden
Die Türken nennen ihre Jäger akıncı, das bedeutet Renner. Sie sind wie Regengüsse, die aus Wolken stürzen. Und diese Güsse schaffen große Überschwemmungen und reißende Bäche, die über das Ufer spülen, alles, was sie erfassen, tragen sie mit sich fort, aber sie sind nicht von langer Dauer. Den Wolkenbrüchen gleich, verweilen die Jäger oder türkischen Renner nur kurz. Sobald sie etwas erreichen, ergreifen und rauben sie es. Sie morden und richten solche Verheerungen an, dass an den Stellen viele Jahre kein Hahn mehr kräht. Die türkischen Jäger sind Freiwillige, und sie nehmen an den Feldzügen freiwillig und zu ihrem eigenen Nutzen teil.“[15]
- Die Sage vom Türkensturz:
Am 18./19. September 1532 kam es bei Leobersdorf-Enzesfeld zu einer großen Schlacht zwischen der von Kasım Beg angeführten Hauptmacht der Akıncı und den kaiserlichen Truppen unter Pfalzgraf Friedrich II., bei der die Türken vernichtend geschlagen wurden. Eine Akıncı-Schar soll beim überhasteten Rückzug in das Pittental versprengt, von Bauern über die Felsen bei Gleißenfeld gehetzt und in den Tod gestürzt worden sein.
Zur Erinnerung daran und als romantischen Landschaftsschmuck ließ Fürst Johann II. von Liechtenstein 1824/25 an dieser Stelle eine künstliche Ruine errichten, den Türkensturz.[16]
In einer anderen Version wird die Akıncı-Schar nicht von den Bauern, sondern von der Jungfrau Maria in den Tod gestürzt.[17]
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ a b c d e f Josef Matuz, Das Osmanische Reich – Grundlinien seiner Geschichte, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1985, ISBN 3-534-05845-3, 354 S., S. 101
- ↑ a b c d Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997, Bd. 1, S. 480 ff
- ↑ a b c d e f Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997, Bd. 2, S. 185 ff
- ↑ J. Matuz 1985, a. a. O., S. 103
- ↑ Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997, Bd. 3, S. 124
- ↑ a b Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997, Bd. 2, S. 204
- ↑ a b c d ZDF Expedition, Sendung vom Mai 2006
- ↑ Jan Lorenzen und Hannes Schuler: "1529 - Die Türken vor Wien", Redaktion: Ulrich Brochhagen (MDR) & Esther Schapira (HR), Teil 2 der 4-teiligen ARD-Dokumentations-Reihe "Die großen Schlachten", TV-Erstausstrahlung am 6. November 2006
- ↑ nach der „Chronik des Na'īmā“ (روضة الحسين فى خلاصة أخبار الخافقين), zitiert bei Josef Hammer-Purgstall, Die Geschichte des Osmanischen Reiches, Bd.4, 1829, S. 250
- ↑ Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997, Bd. 3, S. 217
- ↑ Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997, Bd. 4, S. 167
- ↑ Beschreibung der Schlacht für 1620 bei Josef Freiherr von Hammer-Purgstall: Die Geschichte des Osmanischen Reiches, Wien 1838
- ↑ a b Micha Wolf (Bogenbaumeister), in: Jan Lorenzen und Hannes Schuler: "1529 - Die Türken vor Wien", Redaktion: Ulrich Brochhagen (MDR) & Esther Schapira (HR), Teil 2 der 4-teiligen ARD-Dokumentations-Reihe "Die großen Schlachten", TV-Erstausstrahlung am 6. November 2006
- ↑ Ulrich Klever: Sultane, Janitscharen und Wesire, Bayreuth 1990, S. 226
- ↑ Memoiren eines Janitscharen oder Türkische Chronik. Eingeleitet und übersetzt von Renate Lachmann. Slavische Geschichtsschreiber Bd. VIII. Graz 1975, S. 163
- ↑ siehe letzten Absatz im Fließtext der Quelle
- ↑ Die schönsten Sagen aus Österreich, Wien, Ueberreuter Verlag, 1989, S. 178
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Günther Dürigl: Wien 1529 - Die erste Türkenbelagerung, Graz 1979
- Gertrud Gerhartl: Die Niederlage der Türken am Steinfeld 1532. In: Militärhistorische Schriftenreihe, Heft 26, herausgeg. vom Heeresgeschichtlichen Museum Wien, 1974
- Joachim Hein, Bogenhandwerk und Bogensport bei den Osmanen nach dem 'Auszug der Abhandlungen der Bogenschützen' des Mustafa Kani, ein Beitr. zur Kenntnis des türkischen Handwerkes und Vereinswesens. In: Der Islam Bd. 14 (1925), S. 289-360 und Bd. 15 (1926), S.1-78 und S. 233-294
- Walter Hummelberger: Wiens erste Belagerung durch die Türken 1529. In: Militärhistorische Schriftenreihe, Heft 33, herausgeg. vom Heeresgeschichtlichen Museum, Wien 1976
- Nicolae Jorga: Die Geschichte des Osmanischen Reiches nach Quellen dargestellt, unveränderte Neuausgabe, Primus Verlag Darmstadt 1997
- Mihaloğlu Mehmet Nüzhet Paşa: „Ahval -i al-i Gazi Mihal“, 1897
- Rhoads Murphey: Ottoman Warfare 1500-1700, New Brunswick, New Jersey, London 1999
- Ünsal Yücel: Türkische Waffen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Günter Dürigl: Das Wiener Bürgerliche Zeughaus. Rüstungen und Waffen aus fünf Jahrhunderten, Ausstellungskatalog Schloß Schallaburg bei Melk, Wien 1977