Sülzeunruhen
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Die Sülzeunruhen, auch als Hamburger Sülzeaufstand bekannt, ereigneten sich im späten Juni 1919 in Hamburg. Auslöser war die Annahme der Bevölkerung, dass verfaulte Tierkadaver zu Sülze verarbeitet und verkauft würden. In Folge der Unruhen marschierten Reichswehr und Freikorps in der Hansestadt ein und zerschlugen viele Errungenschaften der Novemberrevolution.
In Hamburg war die politische Stimmung im Juni 1919 gespannt: die Ereignisse und Spannungen der Novemberrevolution wirkten noch nach, die Bayerische Räterepublik war kurz zuvor blutig zerschlagen worden. Während die Arbeiter um die Errungenschaften der Revolution fürchteten und sich einer bewaffneten Konterrevolution ausgesetzt fühlten, sorgten sich Bürgertum und Handel um die öffentliche Sicherheit und fürchteten Aufstand und Anarchie.
Der Konflikt brach in Hamburg aus, als am 23. Juni 1919 ein Fass mit verfaulten Tierkadavern vor der Fleischwarenfabrik Heil in der Kleinen Reichenstraße zerbrach. Die zusammengelaufene Menge mutmaßte, die Kadaver würden in der Fabrik zu Sülze verarbeitet und stürmten das Gelände, wo sie weitere Kadaver von Ratten, Hunden und Katzen fanden. Da in der Fabrik aber auch, der Menge unbekannt, Abfälle für Leimfabriken gesammelt wurden, war dies kein sicheres Zeichen für den Verdacht. Der Fabrikbesitzer selbst wurde in die Kleine Alster geworfen und entging so glücklich einer möglichen Lynchjustiz.
In den folgenden Tagen durchsuchten Menschenmengen verschiedene andere Fleischfabriken und fanden viele Anzeichen für Fleischpanschereien. Die Unruhen breiteten sich über die Stadt aus, nicht nur die Fabrikbesitzer, sondern auch staatliche Stellen, die der Komplizenschaft beschuldigt wurden, wurden Opfer gewalttätiger Angriffe.
Zu einem Schusswechsel und zu einer Belagerung kam es am Rathausmarkt. Nachdem dort ein „Pranger“ für verschiedene Beschuldigte aufgestellt wurde, versuchte die Rathauswache einzugreifen. Schüsse fielen, eine in der Arbeiterschaft verhasste Zeitfreiwilligen-Abteilung marschierte auf. Weitere Schüsse fielen, eine Handgranate explodierte, das Rathaus wurde belagert. Während sich die Lage in der Stadt von alleine wieder beruhigte, wurde die weitere Gewalt von außen in die Stadt hineingetragen.
In den folgenden Tagen erklärte Reichswehrminister Gustav Noske die Reichsexekution und beauftragte den späteren Teilnehmer des Kapp-Putsches Generalmajor Paul von Lettow-Vorbeck, die Unruhen niederzuschlagen. Als Reichswehr-Truppen am 27. Juni in die mittlerweile wieder weitgehend ruhige Stadt einmarschierten, konnten die Soldaten zur Umkehr überredet werden, als ihnen die tatsächliche Lage in Hamburg geschildert wurde. Am 1. Juli 1919 jedoch marschierten Reichswehr- und Freikorps-Truppen in die Stadt ein. Sie besetzten die Arbeiterwohnviertel und verhielten sich wie in besetztem Feindesland. Vielerorts hissten sie die schwarz-weiß-rote Flagge des Kaiserreichs, Arbeiter und Funktionäre wurden oft unter willkürlichen Anschuldigungen verhaftet und misshandelt, die Freikorps machten großzügigen Gebrauch von ihren Schusswaffen um „Plünderer und Heckenschützen“ niederzustrecken, zudem galt in den Vierteln eine „Schnelljustiz“ durch die Truppen.
Langfristig führte der Aufstand zu einer Neuverteilung der militärischen Machtverhältnisse in der Stadt. Während einerseits die noch aus Revolutionszeiten stammende „Volkswehr“ aufgelöst wurde, wurden die bürgerlichen und oft republikfeindlichen Zeitfreiwilligenverbände und Einwohnerwehren gestärkt. Zusätzlich wurde eine militärisch ausgestattete und teilweise kasernierte Sicherheitspolizei, deren Mitglieder sich zu einem großen Teil aus ehemaligen Berufssoldaten und Freikorpsangehörigen zusammensetzte, geschaffen.
Heute erinnert eine Plakette im Hamburger Rathaus an die Unruhen und ihre Folgen.
[Bearbeiten] Literatur
- Berlin, Jörg: Staatshüter und Revolutionsverfechter. Arbeiterparteien in der Nachkriegszeit; in: Ulrich Bauche u.a. (Hrsg.): „Wir sind die Kraft.“ Arbeiterbewegung in Hamburg von den Anfängen bis 1945; Katalogbuch zur Ausstellung des Museums für Hamburgische Geschichte, VSA Hamburg 19883 S. 103-131. ISBN 3-87975-355-5