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Reichsgericht

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Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig
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Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig

Das Reichsgericht war das oberste Straf- und Zivilgericht im Deutschen Reich.Der Bau des Reichsgerichtsgebäudes, in dem seit dem Jahr 2002 das Bundesverwaltungsgericht seinen Sitz hat, wurde 1888 begonnen und 1895 vollendet (Architekt: Ludwig Hoffmann).

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Wilhelminisches Reich 1871-1918

Das Reichsgericht war mit Ausnahme seiner Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen eine reine Rechtsmittelinstanz. Seine Aufgabe war es, die Einheitlichkeit des Rechtsprechung auf dem gesamten Reichsgebiet sicher zu stellen.

[Bearbeiten] Dienstsitz

Das Reichsgericht nahm am 1. Oktober 1879 auf Anordnung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze seine Tätigkeit auf. Dienstsitz des Reichsgerichts war Leipzig. Angesichts der im Bundesrat umstrittenen Standortwahl fiel Berlin nur knapp mit 28 Stimmen (Leipzig 30 Stimmen) durch. Leipzig war schon Sitz des Bundesoberhandelsgerichts des Deutschen Bundes, dem späteren Reichsoberhandelsgericht. Es entschied über Streitigkeiten nach dem Allgemeinen deutschen Handelsgesetzbuch (ADHGB) von 1861.

[Bearbeiten] Zuständigkeiten

Das Reichsgericht war ein orderliches Gericht. Es war zur Entscheidung über Strafsachen und Zivilsachen (Bürgerliche Rechtsstreitigkeitkeit, Rechtshandlungen des Staates als Fiskus, Handelssachen, Arbeitsrecht) berufen. Eine gesonderte Arbeitsgerichtsbarkeit bestand nicht. Zuständig war das Reichsgericht auch für das Staatshaftungsrecht.

Im Instanzenzug hatte das Reichsgericht in der Regel geborene (d.h. durch Gesetz zwingend vorgegebene) Zuständigkeiten. Lediglich bei der Revision gegen Berufungsurteile der Strafkammern in Strafsachen betreffend Abgaben, die in die Reichskasse flossen, war seine Zuständigkeit gekoren (d.h. erst auf Antrag der Staatsanwaltschaft entstanden). Als geborene Zuständigkeiten hatte das Reichsgericht im Zivilrecht Entscheidung über die Revision gegen Endurteile und Beschwerden über Beschlüsse der Oberlandesgerichte (Kammergericht) zu fällen. Als geborene Zuständigkeit im Strafrecht war es zur Entscheidung über das Rechtsmittel der Revision gegen die Urteile der Strafkammern erster Instanz und der Schwurgerichte berufen, wenn nicht die Zuständigkeiten der Oberlandesgerichte (Kammergericht) begründet war. Das war der Fall, wenn außschließlich eine Norm aus dem Landesrecht verletzt war. Das Reichsgericht war somit nicht zuständig für Revisionsverfahren bei Straftaten, in denen die Amtsgerichte erstinstanzlich entschieden. Das waren Verfahren wegen leichter Delikte (z.B. Übertretungen, Hausfriedensbruch, Diebstahl und Sachbeschädigung bis zu einem Wert von 25 Mark). Sie konnten nur bis zum Oberlandesgericht angefochten werden.

Das Reichsgericht entschied in erster und letzter Instanz für die Untersuchung und Entscheidung in Fällen des Hochverrats und Landesverrats, wenn diese Verbrechen gegen Kaiser oder Reich gerichtet waren. Eine Rechtsmittelinstanz war nicht mehr gegeben. In dieser erstinstanzlichen Zuständigkeit war das Reichsgericht Tatsacheninstanz. Auch diese Zuständigkeit war geboren. Das Reichsgericht führte keine eigenen Ermittlungsrichter. Für die Entscheidungen vor Erhebung der öffentlichen Klage durch den Oberreichsanwalt, welche nach der StPO dem Richter oblagen, waren die Ermittlungsrichter an den Landgerichten zuständig (heute an den Oberlandesgerichten und am Bundesgerichtshof). Der erste Senat erledigte die Geschäfte der gerichtlichen Voruntersuchung, die nach der StPO a.F. bis in die 1970er Jahre möglich war, und entschied über die Beschwerden betreffend die Entscheidungen des Ermittlungsrichters. Das Hauptverfahren fand vor dem vereinigten zweiten und dritten Senat statt.

[Bearbeiten] Zusammensetzung

Das Reichsgericht wurde mit einem Präsidenten und der erforderlichen Anzahl von Senatspräsidenten und Räten (Reichsgerichtsräte) besetzt. Beim Reichsgericht wurden Zivil- und Strafsenate gebildet, deren Anzahl der Reichskanzler bestimmte. Wollte ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senates abweichen, so hatte dieser, um die Einheitlichkeit der Rechtssprechnung zu wahren, die Verhandlung und Entscheidung an die Vereinigten Zivil- oder die Vereinigten Strafsenate zu verweisen. Der Präsident, die Senatspräsidenten und die Reichsgerichtsräte wurden auf Vorschlag des Bundesrats von Kaiser ernannt. Voraussetzung dafür war die Befähigung zum Richteramt und die Vollendung des 35. Lebensjahres. Im Reichsgericht bestand eine Gerichtsschreiberei. Beim Reichsgericht wurde die Oberreichsanwaltschaft als Staatsanwaltschaft eingerichtet.

Das Reichsgericht wurde seit seiner Etablierung von Kritikern als Fortsetzung des Preußischen Obertribunals interpretiert. Die Richterschaft war monarchisch-konservativ geprägt, besonders im Bereich des Strafrechts waren zur Zeit des Kaiserreichs kritische Stimmen am Gericht in der Minderheit – so auch in anderen damaligen staatlichen Institutionen. So wertete das Gericht es im Jahre 1912 beispielsweise als Beleidigung, dass die sozialdemokratische Partei 1907 eine Broschüre herausbrachte, die sich an Beamte richtete und diese zur Wahl der SPD aufforderte – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die SPD bereits die stärkste Fraktion im Reichstag stellte.

[Bearbeiten] Weimarer Republik

In der Weimarer Republik setzte das Gericht besonders im Bereich des Strafrechts seine konservative Linie bis hin zum Reaktionären fort. Während gegen linke Aufständische, wie etwa gegen Teilnehmer der Münchner Räterepublik; hart geurteilt wurde, kam es im Zusammenhang mit dem rechtsgerichteten Kapp-Putsch nur zu drei Verfahren und nur einer einzigen Verurteilung - der Innenminister der Putschregierung Traugott von Jagow wurde zur Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft (die mildeste und ehrenhafteste Form der Freiheitsentziehung bei Vergehen und Verbrechen) verurteilt. Diese Linie setzte das Gericht fort. So wurde beispielsweise Carl von Ossietzky in dem spektakulären Weltbühne-Prozess wegen Spionage zu 18 Monaten Haft verurteilt, weil in seiner Zeitschrift ein Artikel erschienen war, der auf die geheime und rechtswidrige Aufrüstung der Reichswehr hingewiesen hatte. Da zugleich der Gewalt von rechts nicht entschieden genug begegnet wurde bzw. diese insbesondere in den sogenannten Fememordverfahren in einigen Urteilen gerechtfertigt wurde, trugen dieser und ähnliche Prozesse zu dem Vorwurf bei, die Justiz sei in der Zeit der Weimarer Republik „auf dem rechten Auge blind“ gewesen.

Jedoch fielen in die gleiche Zeit einige bahnbrechende Entscheidungen im Gebiet des Zivilrechts. So wurden die Kategorien des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ und der „positiven Vertragsverletzung“ entwickelt, die dem Bürgerlichen Gesetzbuch bis dato unbekannt waren – beides heute feste Bestandteile der Zivilrechtsordnung. Geradezu revolutionär war die unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise (siehe auch Deutsche Inflation 1914 bis 1923) entwickelte Aufwertungsrechtsprechung, mit der sich das Reichsgericht erstmals die Befugnis zusprach, Gesetze auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, was dazu führte, das der bis dahin anerkannte Mark-gleich-Mark-Grundsatz (Nennwertgrundsatz, Nominalismus) wegen der galoppierenden Inflation aufgegeben wurde.

[Bearbeiten] Nationalsozialismus

Der Machtergreifung Hitlers und der zahlreichen illegalen Gewaltakte stellte sich das Reichsgericht nicht entgegen. Vielmehr verstrickte es sich tief in das nationalsozialistische Unrechtsregime, etwa als es im Prozess um den Reichstagsbrand den holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe rechtswidrig zum Tode verurteilte. Trotz dieses Urteils war der neuen Staatsführung die Rechtsprechung dieses Gerichts ein Dorn im Auge, sprach es doch die sonstigen Mitangeklagten frei und widerlegte damit die öffentiche Behauptung Hermann Görings, dass ein kommunistischer Umsturzversuch im Gange sei. Unter anderem deshalb wurde dem Reichsgericht im Jahre 1934 durch das Gesetz zur Errichtung des Volksgerichtshofs die Zuständigkeit in Hoch- und Landesverratssachen entzogen.

Auch im Bereich des Zivilrechts war die Verstrickung tief. Beispielhaft sei hier eine Entscheidung aus dem Jahre 1935 herausgegriffen, in der das Reichsgericht urteilte (Fundstelle: RGZ 147, 65, 68):

Beizutreten ist dem Spruchausschuß darin, daß bei der grundlegenden Bedeutung der Rassenfrage im nationalsozialistischen Staat die Heranbildung des jungen Menschen arischer Abstammung zu einem art- und rassebewußten Volksgenossen einen untrennbaren Bestandteil des Erziehungswerkes bildet und daß diese Heranbildung nicht gewährleistet ist, wenn zwar die Pflegemutter, nicht aber der Pflegevater arischer Abstammung ist.

In Form von Rechtsfortbildung erkannte das Reichsgericht 1935 die Tatsache, dass der Ehepartner Jude war, als Eheanfechtungsgrund an, ohne dass die – wenige Monate später als Nürnberger Rassegesetze – erlassene Rechtsgrundlage bestand.

Weitere Einzelheiten im Artikel Sondergericht.

[Bearbeiten] Präsidenten des Reichsgerichtes

Nr. Name Amtsantritt Ende der Amtszeit
1 Eduard von Simson (18101899) 1. Oktober 1879 1. Februar 1891
2 Otto von Oehlschläger (18311904) 1. Februar 1891 1. November 1903
3 Karl Gutbrod (18441905) 1. November 1903 17. April 1905
4 Rudolf Freiherr von Seckendorff (18441932) 1. Juni 1905 1. Januar 1920
5 Heinrich Delbrück (18551922) 1. Januar 1920 3. Juli 1922
6 Walter Simons (18611937) 16. Oktober 1922 1. April 1929
7 Erwin Bumke (18741945) 1. April 1929 20. April 1945

[Bearbeiten] Abschaffung des Reichsgerichtes durch die Alliierten

Mit dem Zusammenbruch des Dritten Reichs wurde 1945 das Reichsgericht durch die Alliierten abgeschafft. In den einzelnen Besatzungszonen wurden vorübergehend Oberste Gerichtshöfe gebildet. 1950 übernahm für die Bundesrepublik Deutschland der Bundesgerichtshof die Aufgaben des Reichsgerichts. In der DDR wurde diese Aufgabe durch das Oberste Gericht wahrgenommen.

[Bearbeiten] Heutige Nutzung der Liegenschaft

Nach der Deutschen Wiedervereinigung wurde das höchste bundesdeutsche ordentliche Gericht, der Bundesgerichtshof, nicht an den ehemaligen Standort des Reichsgerichts verlagert. Ausschlaggebend für diese Entscheidung des Deutschen Bundestages waren politische Standorterwägungen im föderalen Verteilungskampf der Bundesländer. Das vorbildlich restaurierte Gerichtsgebäude des ehemaligen Reichsgerichts in Leipzig wird heute zweckentsprechend vom Bundesverwaltungsgericht genutzt.

Die Entscheidung des Bundestages, das Gebäude nicht für den Bundesgerichtshof zu nutzen, wurde zudem damit begründet, dass das Reichsgericht eng mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat verstrickt gewesen ist.

[Bearbeiten] Literatur

  • Thomas G. Dorsch: Der Reichsgerichtsbau in Leipzig. Anspruch und Wirklichkeit einer Staatsarchitektur. Frankfurt am Main 1999. ISBN 3631350600 (Zugl.: Marburg, Univ., Diss., 1998)
  • Dieter Kolbe: Reichsgerichtspräsident Dr. Erwin Bumke. Studien zum Niedergang des Reichsgerichts und der deutschen Rechtspflege. 1975, ISBN 3811400266
  • Erich Loest: Reichsgericht. ISBN 3861520036.
  • Ingo Müller: Kein Grund zur Nostalgie: das Reichsgericht. in: Betrifft Justiz 2001, S. 12–18 mwN
  • Gerd Pfeiffer: Reichsgericht und Rechtsprechung. 1979

[Bearbeiten] Entscheidungssammlungen

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Koordinaten: 51° 19' 59" n. Br., 12° 22' 11" ö. L.

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