Verfassungsbeschwerde
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Die Verfassungsbeschwerde ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf im deutschen Recht aufgrund einer Beschwer (Beschwerde). Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen hoheitliche Akte der deutschen öffentlichen Gewalt, die den Bürger in seinen Grundrechten aus Art. 1-19 Grundgesetz (GG) oder in den in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten grundrechtsgleichen Rechten verletzen. Die Bindung der öffentlichen Gewalt an die Grundrechte folgt aus Art. 1 Abs. 3 GG. Die Verfassungsbeschwerde selbst ist als Individualverfassungsbeschwerde ausgestaltet. Eine Prozessstandschaft für andere Personen ist grundsätzlich ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer muss geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein (Selbstbetroffenheit).
Das Bundesverfassungsgericht ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG für die Verfassungsbeschwerden originär zuständig. Weitere Anforderungen ergeben sich aus § 13 Nr. 8a und §§ 90 ff. BVerfGG. Die durch die Verfassungsbeschwerde zu rügenden Rechte (also Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte) sind in den Artikeln 2 bis 12, (ohne 12a) 13, 14, 16 - 17, (ohne 17a, 18) 19, 20 Abs. IV, 33, 38 Abs. 1 S. 1, 101, 103, 104 des Grundgesetzes niedergelegt. Inwieweit die Menschenwürdegarantie, Art. 1 GG, selbst Grundrecht ist, ist umstritten.
Angesichts der hohen Zahl von Verfassungsbeschwerden (2004: 5.434), die das mit 16 Richtern besetzte Gericht zu überlasten drohen, wurden mit drei Richtern besetzte Kammern eingeführt, durch die eine Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen werden muss. An dieser Hürde scheitern bereits zahlreiche Verfassungsbeschwerden. Insgesamt liegt der Anteil der Beschwerden, denen im Ergebnis stattgegeben wird, bei ca. 2% (2000: 1,61%; 2001: 1,99%; 2002: 2,21%; 2003: 1,60%; 2004: 2.15%, 2005: 2,5%).
Einige deutsche Bundesländer sehen für das Landesrecht ebenfalls Individualverfassungsbeschwerden in ihren Landesverfassungen vor. Zuständig sind dann die Landesverfassungsgerichte bzw. Staatsgerichtshöfe der Bundesländer.
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[Bearbeiten] Zulässigkeitsvoraussetzungen
Der ordnungsgemäße Antrag muss schriftlich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht werden. Es muss das verletzte Recht bezeichnet werden und auch die Rechtsverletzung (der hoheitliche Akt) angegeben werden. Beteiligtenfähig ist jeder, der in der Lage ist, Träger von Grundrechten zu sein. Das können auch juristische Personen sein, Art. 19 III GG, sofern es sich um inländische juristische Personen handelt und die betreffenden Grundrechte ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sind.
Prozessfähig sind diejenigen, die die Grundrechtsmündigkeit besitzen. Der Vortrag der Rechtsverletzung muss die Verletzung von Grundrechten möglich erscheinen lassen. Ferner darf kein fremdes Recht geltend gemacht werden. Dadurch werden Popularklagen ausgeschlossen. Der Beschwerdeführer muss gegenwärtig betroffen sein, sodass ein weit zurückliegender oder fern in der Zukunft liegender Eingriff in die Grundrechte keinen statthaften Beschwerdegrund darstellt. Der Beschwerdeführer muss weiterhin unmittelbar betroffen sein. Ein wichtiger Prüfungspunkt ist die Ausschöpfung des Rechtsweges. Alle bisher möglichen Rechtsmittel müssen daher ausgeschöpft worden sein. Ausnahmsweise kann nach dem Gesetz davon abgewichen werden, wenn die Ausschöpfung des Rechtsweges nicht zumutbar ist. Der Nachteil muss aber gravierend sein, ein einfacher Nachteil reicht hierfür nicht aus.
Bei Urteilsverfassungsbeschwerden besteht eine Frist von einem Monat, bei Rechtssatzverfassungsbeschwerden ein Jahr.
Als Akte öffentlicher Gewalt, die der Verfassungsbeschwerde unterfallen, zählen sämtliche Rechtsetzungsakte (Rechtssatzverfassungsbeschwerde) und auch Urteile aller Gerichte in Deutschland (Urteilsverfassungsbeschwerde).
[Bearbeiten] Form und Inhalt der Verfassungsbeschwerde
Die Verfassungsbeschwerde ist schriftlich einzureichen und zu begründen. Die Begründung muss mindestens folgende Angaben enthalten (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG):
1. Der Hoheitsakt (gerichtliche Entscheidung, Verwaltungsakt, Gesetz), gegen den sich die Verfassungsbeschwerde richtet, muss genau bezeichnet werden (bei gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakten sollen Datum, Aktenzeichen und Tag der Verkündung bzw. des Zugangs angegeben werden).
2. Das Grundrecht oder grundrechtsähnliche Recht, das durch den beanstandeten Hoheitsakt verletzt sein soll, muss benannt oder jedenfalls seinem Rechtsinhalt nach bezeichnet werden.
3. Es ist darzulegen, worin im einzelnen die Grundrechtsverletzung erblickt wird. Hierzu sind auch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Gerichtsentscheidungen, Bescheide usw. in Ausfertigung, beglaubigter Abschrift oder Fotokopie vorzulegen. Zumindest muss ihr Inhalt aus der Beschwerdeschrift ersichtlich sein.
[Bearbeiten] Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
Grundsätzlich werden sämtliche und nicht nur die vom Beschwerdeführer genannten Grundrechte überprüft, die wegen der Rechtsverletzung in Betracht kommen.
Das Bundesverfassungsgericht erwartet aber von Rechtsanwälten, ohne dass dies gesetzlich normiert oder sonst bei Gerichten erforderlich ist, dass diese sich bei der Begründung der Verfassungsbeschwerde mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes auseinandersetzen.
Stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Rechtsverletzung begründet ist, kann es ein Gesetz nach Art. 95 BVerfGG für nichtig erklären. Wird ein Urteil angegriffen, so muss die Urteilsentscheidung willkürlich und/oder objektiv unhaltbar sein. Das Bundesverfassungsgericht will damit vermeiden, zur Superrevisionsinstanz zu werden. Dieser Maßstab wird aber nicht immer eingehalten, manchmal setzt das Bundesverfassungsgericht eigenes Ermessen, welches dem Fachgericht oblägen hätte. Das Urteil wird ggf. aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung zurückverwiesen.
[Bearbeiten] Kosten
Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist kostenfrei (§ 34 Abs. 1 BVerfGG). Missbräuchliche Anrufungen des Gerichtes können jedoch mit einer Gebühr bis zu 2.600 Euro geahndet werden (§ 34 Abs. 2 BVerfGG). Von dieser Möglichkeit macht das Bundesverfassungsgericht jedoch nur selten Gebrauch. Seit der Einführung der Möglichkeit zur Verhängung von Missbrauchsgebühren im Jahr 1962 wurden solche Gebühren 2.719 mal verhängt (Erster Senat 930, Zweiter Senat 1.789). Die Gesamtsumme aller Missbrauchsgebühren beträgt 479.761 Euro. Der Anteil der Missbrauchsgebührenentscheidungen an der Gesamtzahl der eingelegten Verfassungsbeschwerden liegt bei ca. 0,26% (Stand 31. Dezember 2005).
[Bearbeiten] Kommunen
Durch die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden sind Kommunen ebenfalls befugt, ihre Rechte aus Art. 28 GG vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen. Für Kommunalverfassungsbeschwerden gilt ebenfalls der Gedanke der Subsidiarität, sodass zunächst zu prüfen ist, ob das Recht vor dem Landesverfassungsgericht (in einigen Ländern auch als Verfassungsgerichtshof oder Staatsgerichtshof bezeichnet) des Landes (sofern vorhanden - siehe Schleswig-Holstein) geltend zu machen ist.
[Bearbeiten] Prüfungsschritte
Eine Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. Das setzt im Einzelnen voraus (hier: Prüfung von Freiheitsrechten):
- Zulässigkeit
- Zuständigkeit des BVerfG: Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff BVerfGG
- Tauglicher Beschwerdegegenstand, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: Akt der öffentlichen Gewalt
- Grundrechtsberechtigung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: "jedermann" hinsichtlich in Betracht kommender Grundrechte
- bei Minderjährigen: Grundrechtsmündigkeit
- Beschwerdebefugnis, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG: eigene, unmittelbare, gegenwärtige Beschwer
- Rechtswegerschöpfung, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG, und Subsidiarität
- Form, §§ 23, 92 BVerfGG
- Frist, § 93 BVerfGG
- Prozessvertretung, § 22 Abs. 1 BVerfGG
- Begründetheit: Die Verfassungsbeschwerde ist gemäß § 95 Abs. 1 BVerfGG begründet, wenn der Beschwerdeführer durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt ist, also ein nicht gerechtfertigter Eingriff in deren Schutzbereich vorliegt.
- Definition des Schutzbereichs
- Eingriff in den Schutzbereich
- keine Rechtfertigung
- Voraussetzungen des Schrankenvorbehalts nicht erfüllt
- Rechtssatzvorbehalt (bei der allgemeinen Handlungsfreiheit)
- einfacher Gesetzesvorbehalt
- qualifizierter Gesetzesvorbehalt
- verfassungsimmanente Schranken
- keine verfassungsgemäße parlamentsgesetzliche Grundlage (bei der allgemeinen Handlungsfreiheit zusätzlich: keine verfassungsgemäße Rechtsverordnung oder autonome Satzung)
- keine formelle Verfassungsmäßigkeit
- Zuständigkeit (Verbandskompetenz, Organkompetenz)
- Verfahren
- Form
- keine materielle Verfassungsmäßigkeit
- Verstoß gegen andere Grundrechte
- Verstoß gegen objektiv-rechtliche Verfassungsbestimmungen (Rechtsstaatsprinzip, Demokratieprinzip, Sozialstaatsprinzip, Staatsziel Umweltschutz, kirchliches Selbstbestimmungsrecht usw.)
- Verstoß gegen sonstiges höherrangiges Recht (z.B. Gemeinschaftsrecht)
- Nichtbeachtung der Schranken-Schranken
- Zitiergebot
- Verbot des Einzelfallgesetzes
- Wesensgehaltsgarantie
- Übermaßverbot (Verhältnismäßigkeit):
- legitimer Zweck
- geeignetes Mittel
- mildestes aller geeigneten Mittel
- Angemessenheit (Zweck-Mittel-Relation)
- keine formelle Verfassungsmäßigkeit
- wenn nicht unmittelbar gegen Gesetz gerichtet: fehlende formelle und materielle Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns bzw. nicht-verfassungskonforme Auslegung durch die angefochtene Gerichtsentscheidung (insbesondere: Verhältnismäßigkeit)
- Voraussetzungen des Schrankenvorbehalts nicht erfüllt
[Bearbeiten] Weblinks
- Entscheidungen des BVerfG
- BVerfGG
- Grundgesetz
- Merkblatt über die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht
- Beispiele für Verfahren mit Missbrauchsgebühr:
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