Stammbuch (studentisch)
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Das Stammbuch (auch Album Amicorum), eine frühe Form des Poesiealbums, entstand während der Reformation, als es Mode wurde, Autographe berühmter Reformatoren zu sammeln. Noch im 18. Jahrhundert waren Stammbücher eher eine Mode unter Protestanten als unter Katholiken. Verbreitet waren diese Stammbücher vor allem bei Studenten, und zwar bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts.
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[Bearbeiten] Zweck
In einem Stammbuch versicherten sich zwei oder mehrere Personen ihrer Freundschaft, indem sie sich gegenseitig ein Blatt in einem Album ausfüllten. Dies geschah meist zu besonderen Anlässen, etwa bei Festen oder beim Weggang vom Studienort. Diese Eintragung konnte - etwa bei einem Wiedersehen oder aus Anlass eines Festes - wiederholt werden. Auf diese Weise hatten die Besitzer der Stammbücher bis an ihr Lebensende eine Erinnerung an ihre Jugendfreunde.
Daneben diente es dem Sammeln von Autographen der Professoren und anderer "Respektspersonen" (Pfarrer, Adlige, Prominente), da die Eintragungen wie Empfehlungsschreiben genutzt wurden, wenn ein Student an eine neue Universität kam. Durch das Herantragen eines Album mit der Bitte um Eintrag an einen sozial höherstehenden Inskribenten eröffnete sich für den Halter eine Möglichkeit, potentielle Gönner und Protektoren kennenzulernen.
[Bearbeiten] Inhalt und Bedeutung
Die Eintragung bestand zumindest aus einem handschriftlichen Gruß, meistens mit einem (wenn möglich selbstverfassten) Gedicht oder einem anderen literarischen Text. Gedichte mit Titeln wie An * (statt des * kann auch ein (Vor)name stehen) waren meist ursprünglich für ein Stammbuch bestimmt.
In der Idealform steht neben dem Textteil, der ein Gedicht, Literaturzitat, Lied oder sonstwie geartete Sentenz wiedergibt, die Orts- und Datumsangabe, wann und wo der Eintrag getätigt wurde. Oft nennt der Inskribent auch ein als Symbolum oder Wahlspruch bezeichnetes Lebensmotto. Unerlässlich ist die Nennung des Namens des Eintragenden, die in der Regel mit Angabe der Fakultät, an welcher er studiert und der des Herkunftortes versehen ist. Dem Namen wurde meist eine Dedikationsformel (=Widmungstext) vorgestzt, die manchmal den Adressaten (Halter des Stammbuchs) nennt und in der meist um ein künftigen Gedenken gebeten wird ("memoriae causa scripsi ..." oder "bei Durchlesung dieser Zeilen gedenke..."). Diese standardisierte Form hat sich bis heute formal in den Poesiealben (primär) junger Mädchen vor der Pubertät erhalten.
Ganz besonders interessant sind Stammbücher mit eigenen, oft kolorierten Federzeichnungen der Eintragenden. Da nicht bei allen Personen die entsprechende Begabung zu erwarten war, bildete sich im 18. Jahrhundert eine eigene Industrie, die vorgefertigte Grafiken als "Stammbuchblätter" anbot, die individuell beschriftet und dann eingeheftet wurden. Beliebte Motive waren Ansichten der Universitätsstädte oder Szenen aus dem studentischen Leben.
Die Themen der Eintragungen stammten verständlicherweise aus dem Bereich, den die Studenten gemeinsam erlebten oder der sie besonders verband. Die verschiedenen, in den betreffenden Jahrhunderten üblichen Formen der studentischen Zusammenschlüsse spiegelten sich dann auch in diesen Blättern wider. Da diese (von den Studenten selbstverwalteten) Zusammenschlüsse bis 1848 in der Regel verboten waren, stellen diese Stammbuchblätter eine wichtige historische Quelle für diesen Bereich der Universitätsgeschichte dar. Besonders von den Studentenorden aus der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ist nur sehr wenig Schriftliches überliefert. Hier stellen die Stammbuchblätter mit ihren teilweise sehr persönlichen Einträgen oft die einzige Quelle dar. Aus Geheimhaltungsgründen erfanden sie eine Vielzahl von kryptographischen Elementen, mit denen sie die Zugehörigkeit zu ihrem Orden bestätigten, ohne dass ein Außenstehender etwas nachweisen konnte.
Aus diesen kryptographischen Elementen sind die Identitätssymbole entstanden, die teilweise auch heute noch von den Verbindungen verwendet werden. So zum Beispiel der Zirkel oder - in ausgeweiteter Form - das Bundeszeichen, das bis heute in praktisch jedem Studentenwappen vorkommt.
[Bearbeiten] Neue Moden
Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam das Stammbuch außer Mode. Die Funktion des Freundschaftssouvenirs aus der Studentenzeit übernahmen jetzt verschiedene Couleurgegenstände, die mit Widmungen versehen und verschenkt ("dediziert") werden. Großer Beliebtheit erfreuten sich Bierkrüge mit Couleurbemalung, aber auch andere Formen von Geschirr. Der Erinnerung dienten auch bald Silhouetten der Schenkenden in Schwarzweiß-Lackmalerei mit ausgearbeiteten Couleurfarben. Nach Erfindung der Fotografie kamen die Coleurfotos in Mode, bis heute meist in Schwarzweiß, wobei die Farben von Band und Mütze oft von Hand einkoloriert wurden.
Diese Sitte des "Dedizierens" von Couleurgeschenken ist bis heute bei Verbindungsstudenten üblich und sehr beliebt.
[Bearbeiten] Stammbücher als Geschichtsquelle
Stammbücher sind für die Geschichte von Studenten und Universitäten oft eine unschätzbare Quelle. Zunächst lässt sich mit ihrer Hilfe nachweisen, wer wann wo studierte. Außerdem trug mancher Stammbuchbesitzer weitere Lebensdaten seiner ehemaligen Freunde ein, wodurch man eine Vielzahl zumindest grober Lebensläufe von weniger bekannten Gelehrten besitzt.
Daneben treten prosopografische und kultur- oder kommunikationsgeschichtlich ausgerichtete Fragstellungen in den Vordergrund.
Die zitierten Dichter in den Stammbüchern geben Hinweise auf literarische Moden unter Studenten.
Die dabei herausgestellten Tugenden sind eine unschätzbare Quelle für die Mentalitätsgeschichte. Dies bedeutet aber nicht, dass jede Äußerung wörtlich zu nehmen ist, sondern dass die Eintragenden ein Bild von sich vermitteln, wie sie von künftigen Lesern gesehen werden wollen. Für die Textvorlagen gab es zahlreiche Textsammlungen, die quasi für jede Gelegenheit den passenden Spruch boten.
Da Stammbücher nur in privaten Zirkeln kursierten und damit nicht der Zensur unterworfen waren, kann man dort auch recht freimütige politische Äußerungen erwarten. Deshalb sind Stammbücher eine wichtige Quelle der deutschen Jakobinerforschung. In der Tat gibt vielfache Hinweise auf die Französische Revolution, wie Datierungen nach dem Revolutionskalender oder Zitate von Revolutionären. Bei Bekenntnissen zur Freiheit ist aber häufiger die studentische "libertät" als die politische Freiheit gemeint.
[Bearbeiten] Literatur
- Robert und Richard Keil: Die deutschen Stammbücher des XVI. bis XIX. Jahrhunderts. Ernst und Scherz, Weisheit und Schwank in Original=Mittheilungen zur deutschen Kultur=Geschichte, Berlin 1893
- Walter Blankenburg / Fritz Lometsch: Denkmal der Freundschaft - Studentenstammbücher 1790-1840, Kassel 1969
- Lotte Kurras: Zu gutem Gedenken. Kulturhistorische Miniaturen aus Stammbüchern des Germanischen Nationalmuseums 1550 – 1770, München 1987
- Christine Göhmann-Lehmann: "Freundschaft - ein Leben lang ..." : schriftliche Erinnerungskultur für Frauen (Ausstellungskatalog), Cloppenburg 1994
- Horst Steinhilber: Von der Tugend zur Freiheit : studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740 - 1800 (Historische Texte und Studien, Bd. 14), Hildesheim u.a. 1995
- Edler Schatz holden Erinnerns : Bilder in Stammbüchern der Staatsbibliothek Bamberg aus vier Jahrhunderten (Staatsbibliothek Bamberg. Text von Werner Taegert), Bamberg 1995
- Der Freundschaft Denkmal : Stammbücher und Poesiealben aus fünf Jahrhunderten; eine Ausstellung im Buchmuseum der SLUB 25. Februar bis 27. Juni 1998 / Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Dresden 1998
- Werner Wilhelm Schnabel: Das Stammbuch - Konstitution und Geschichte einer textsortenbezogenen Sammelform bis ins erste Drittel des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2003
- Ulrich Stolte: Dichter im amusischen Württemberg. Ein neues Autograph von Friedrich Hölderlins Idol Johann Jakob Thill. [Zu einem Stammbucheintrag des Dichters.] In: Suevica. Beiträge zur schwäbischen Literatur- und Geistesgeschichte 9 (2001/2002). Stuttgart [2005], S. 95-110.