Sozialrevolutionäre
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Die Sozialrevolutionäre waren Mitglieder einer Partei in Russland, die Ende 1901/Anfang 1902 durch die Vereinigung von Volkstümlergruppen (russisch Narodniki, eigentlich die Nationalen) und -zirkeln entstand. Die führende Rolle in der Partei nahmen Wiktor Michailowitsch Tschernow als Parteiführer, Nikolai Dmitrijewitsch Awksentjew, Abram Rafailowitsch Goz, Jekatarina Konstantinowna Breschko-Breschkowskaja, Boris Wiktorowitsch Sawinkow, Jewno Fischelewitsch Asef u.a. ein. Das Organ der Partei war die Zeitung "Delo Naroda".
Bis 1917 arbeitete die Partei in der Illegalität. Der Zusammensetzung nach kamen die Angehörigen hauptsächlich aus der wohlhabenden Bauernschaft, der Arbeiterschaft und dem Dritten Stand. Die Sozialrevolutionäre vertraten den linken Flügel der bürgerlichen Demokraten. Wenn die Sozialrevolutionäre auch im Prinzip die Bedeutung von Massenbewegungen anerkannten, so bevorzugten sie doch den individuellen Terror als grundlegendes taktisches Mittel im Kampf gegen die zaristische Autokratie.
Das Programm der Sozialrevolutionäre forderte die Errichtung einer demokratischen Republik nach föderativen Grundsätzen, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts, die Rede-, Presse-, Gewissens-, Versammlungs- und Korporationsfreheit, die Trennung von Kirche und Staat, die allgemeine unentgeltliche Bildung, Abschaffung des stehenden Heeres u.a. In der Arbeiterfrage waren die Sozialrevolutionäre Anhänger des Achtstundentages, der Sozialversicherung auf Kosten des Staates und der Fabrikbesitzer, der Organisierung von Gewerkschaften u.a. Auf landwirtschaftlichem Gebiet stellten sie die Losung "Sozialisierung des Bodens" auf und forderten dessem Überführung in den Gemeindebesitz. Sie verneinten die Gegensätze innerhalb der Bauernschaft, lehnten die führende Rolle der Arbeiterschaft in der bürgerlich-demokratischen Revolution und die Diktatur des Proletariats ab.
Die Bolschewisten anerkannten diese Linie der Sozialrevolutionäre zwar nicht, waren aber zur Zusammenarbeit gegen die zaristische Autokratie bereit. Nach der Februarrevolution 1917 aktivierten die Sozialrevolutionäre ihre Tätigkeit. Im Mai 1917 umfasste die Partei etwa 500 000 Mitglieder und war damit die größte Partei. Sie besaß Organisationen in 63 Gouvernements, in den Flotten und an den Fronten der kämpfenden Armee. Zusammen mit den Menschewisten spielten sie von Juli bis August 1917 die führende Rolle bei den meisten Sowjets. Vertreter der Sozialrevolutionäre traten in das Kabinett der Provisorischen Regierung ein (Kerenski, Awksentjew, Tschernow).
Die Spaltung in der Partei, die schon 1906 begonnen hatte - aus der Partei traten die Trudowiki und die Sozialrevolutionäre-Maximalisten aus - und sich in den Jahren des Ersten Weltkriegs noch verstärkte, führte nach dem Februar 1917 zur Abspaltung des linken Flügels, der sich organisatorisch zur Partei der linken Sozialrevolutionäre im Dezember 1917 formierte. Der Oktoberrevolution standen die rechts und in der Mitte stehenden Sozialrevolutionäre feindlich gegenüber. Aus dem Untergrund bildeten sie Gruppen, die eine Vielzahl von Aufständen und Verschwörungen gegen die Bolschewisten verübten, so in Jaroslawl, Murom, Rybinsk (später Andropow) und weiteren Städten, im Wolgagebiet, in Sibirien und im Fernen Osten.
Am 20. Juni 1918 verübten sie ein Attentat gegen Wolodarski W. und am 30. August 1918 gegen Moissej Solomonowistch Urizki. Die Sozialrevolutionärin Fanny Kaplan beging am 30. August 1918 ein Pistolenattentat auf Lenin, der mit drei Schüssen getroffen wurde. Im Juni 1918 gründeten in Samara (später Kuibyschew) rechtsstehende Sozialrevolutionäre mit Hilfe der Tschechoslowakischen Legion die Gegenregierung Komutsch. Am 14. Juni 1918 schloss das Allrussische Zentralexekutivkomitee die rechtsstehenden Sozialrevolutionäre aus seinen Reihen aus.
Im September 1918 bildeten rechtsstehende Sozialrevolutionäre das Ufaer Direktorium. Während des gesamten Bürgerkrieges führten sie einen erbitterten Kampf gegen die Kräfte der Bolschewisten. Die Sozialrevolutionäre organisierten eine Reihe von Bauernaufständen, z.B. den Antonowaufstand, aber auch den Aufstand von Kronstadt im März 1921. Nach dem Bürgerkrieg zerfiel bis 1923 die Partei. Ihre Führer emigrierten oder wurden verhaftet.
Die Partei der Sozialrevolutionäre scheiterte vornehmlich an der Unvereinbarkeit der Interessen der in ihnen repräsentierten Bevölkerungsschichten, am fast völlige Fehlen befähigter Politiker und dem Zerfall in sich zum Teil selbst bekämpfender radikaler politischer Strömungen. Der linke Flügel der Sozialrevolutionäre, hauptsächlich die sogenannten Sozialrevolutionäre-Internationalisten, gingen mit den Bolschewisten eine Koalition eine und stellten zeitweise im ersten Rat der Volkskommissare einige Volkskomissare. Nach dem Frieden von Brest-Litowsk im März 1918 trennte sich dieser Teil der Sozialrevolutionäre von den Bolschewisten und trat den Kampf gegen diese ebenfalls an.
Der Großteil des Partei-Archivs der Partija Socialistov-Revoljucionerov (Rossija) (21 laufende Meter, dazu 146 Mikrofilme) wird seit Jahrzehnten vom Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis betreut.
