Preußisches Herrenhaus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Das Preußische Herrenhaus war im Zweikammersystem des Landes nach der Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850 die erste Kammer des Parlamentes und bildete zusammen mit dem Abgeordnetenhaus die Legislative. Die bis 1918 weitgehend gültige gesetzliche Ausgestaltung erfolgte allerdings erst mit einem Änderungsgesetz von 1853. In der Kammer waren neben dem Hochadel der grundbesitzende Adel, Angehörige bestimmter Institutionen, Bürgermeister großer Städte sowie vom König ernannte Mitglieder vertreten.
Die Mitglieder des preußischen Herrenhauses (abgekürzt MdH) werden in der historischen Forschung in Anlehnung an französische und englische Mitglieder der jeweiligen Oberhäuser auch Pairs genannt.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Ziele und Kompromisse in der Entstehungsphase
Die erste Kammer des preußischen Landesparlaments der Verfassung von 1849 war eine reine Wahlkammer, mit der revidierten Verfassung von 1850 noch eine partielle Wahlkammer. Nach einer erneuten Gesetzesänderung im Jahr 1853 wurde der Wahlcharakter stark eingeschränkt und 1854 der Name des Hauses in „Herrenhaus“ geändert. Als Vorbild dazu diente das „House of Lords“ in Großbritannien. Aus Sicht von König Friedrich Wilhelm IV. sollte die Institution keine Wahlkammer sein, sondern nach seinen „neoständischen“ Ideen ein Haus „historisch berechtigter Obrigkeiten“, dies spiegelt der Name „Herrenhaus“ ebenso wieder, wie verschiedene Mitgliederkategorien (z.B. Grafenverbände, evangelische Domstifte). Außerdem gelang es der Krone nach Konflikten mit den Hochkonservativen, im Gegensatz zur süddeutschen Praxis ihr weitgehend freies Dispositionsrecht durchzusetzen. Dies galt sowohl für die Ernennung neuer erblicher wie auch der lebenslänglichen Mitglieder. Der König hatte mit der Möglichkeit eines „Pairsschubes“ und sehr weitgehenden Bestätigungsrechten bei den gewählten Mitgliedern den ausschlaggebenden Einfluss auf die Zusammensetzung der Kammer. Als Kompromiss mit den Konservativen wurde dem grundbesitzenden Adel die Mehrheit der Sitze zugestanden.[1]
[Bearbeiten] Soziale Zusammensetzung
Mitglieder qua Herkunft waren die volljährigen Prinzen der Fürstlichen Familie Hohenzollern, die Häupter der ehemals (bis 1806) unmittelbaren reichsständischen Häuser in Preußen, die Häupter derjenigen Familien, welchen durch Königliche Verordnung das nach der Erstgeburt und Linealfolge zu vererbende Recht auf Sitz und Stimme in der ersten Kammer beigelegt wurde (das Recht der Mitgliedschaft ruhte während der Minderjährigkeit, eines Dienstverhältnisses zu einer Regierung eines nichtdeutschen Staates oder eines Auslandsaufenthalts und wurde an Grundbesitz geknüpft).
Hinzu kamen vom König auf Lebenszeit ernannte Mitglieder; die Anzahl der auf Lebenszeit ernannten Pairs durften zehn vom Hundert der Zahl der Prinzen der Fürstlichen Familie Hohenzollern, der Häupter ehemals unmittelbar reichsständischer Häuser und der vererbbaren Sitze nicht überschreiten. Von der Möglichkeit der Ernennung von Vertrauenspairs machte Friedrich Wilhelm IV. zunächst nur geringen Gebrauch. Auf Druck der Regierungen Auerswald/Schwerin und dann von Bismarck erfolgte unter Wilhelm I. ein erster Pairsschub. Vor allem aber Wilhelm II. machte von diesem Recht insbesondere nach der Jahrhundertwende starken Gebrauch. Die Folge war, dass diese Gruppe immer mehr Gewicht bekam. Waren 1860 nur 11% aller Mitglieder ernannt, waren es 1914 knapp 30%.
Neben „geborene“ und ernannte Mitglieder traten 90 direkt gewählte Repräsentanten. Die Wahlbezirke stellte das Gesetz fest durch die dreißigfache Zahl derjenigen Urwähler, welche die höchsten direkten Staatssteuern bezahlten. Außerdem hatten dreißig von den Gemeinderäten gewählte Mitglieder (fast immer die Oberbürgermeister) aus den größeren Städten des Landes einen Sitz im Herrenhaus.
Mitglieder des Herrenhauses 1854-1918 | |
Kategorien | Mitgliederzahlen |
Erbliche Sitze | 282 |
Vertrauenspairs | 325 |
Städte | 217 |
Universitäten | 40 |
Grundbesitz-Verbände | 345 |
Grafen-Verbände | 30 |
Familienverbände | 55 |
ev. Domstifte | 19 |
ostpreuß. große Landesämter | 9 |
Inkl. Mehrfachmitgliedschaften. Quelle: Hartwin Spenkuch, Herrenhaus und Rittergut, S.380 |
Die gewählten Pairs mussten mindestens 40 Jahre alt sein und mindestens fünf Jahre dem preußischen Staatsverband angehören. Die Pairs wurden auf sechs Jahre gewählt. Sie erhielten weder Reisekostenentschädigung noch Diäten.
Obwohl dem Bürgertum über die Vertreter von Städten und Universitäten Sitz und Stimme eingeräumt wurde, war das Herrenhaus eindeutig vom Adel dominiert. Während Friedrich Wilhelm IV. ursprünglich eine Repräsentation des hohen Adels und der von ihm Ernannten wollte, hatten letztlich vor allem die Junker, der grundbesitzende Landadel, eine starke Position erhalten. Von den 1295 Personen, die zwischen 1854 und 1918 Mitglieder des Herrenhauses waren, entstammten 862 dem Altadel (66,5 Prozent), 103 waren Nobilitierte (8,0 Prozent), Bürgerliche waren 295 Mitglieder (25,5 Prozent). Von den 114 Mitgliedern des Jahres 1914 hatten 21% ihren beruflichen Hintergrund im Staatsdienst (die meisten als Landräte), 3,5% kamen aus dem auswärtigen Dienst, 11% waren Berufsoffiziere, etwa 9% hatten eine begonnene Staatslaufbahn (Referendariat u.ä.), 55,2% waren hauptberuflich Grundbesitzer.[2]
In regionaler Hinsicht dominierten auf Grund der dem Adel vorbehaltenen Berechtigung insgesamt die sieben östlichen Provinzen mit drei Vierteln aller Mitglieder. Bei den ernannten Pairs lag auf Grund der hohen Zahl der dort ansässigen Beamten und Militärs Berlin an der Spitze (etwa ein Drittel aller Ernannten), gefolgt von den „alten“ Westprovinzen Rheinland und Westfalen sowie den seit 1866 bestehenden Provinzen Hannover, Hessen-Nassau und Schleswig-Holstein.[3]
Siehe auch: Mitglieder des Preußischen Herrenhauses
[Bearbeiten] Politische Strömungen
Die politischen Strömungen des Herrenhauses unterschieden sich durch die Art der Zusammensetzung nicht nur deutlich von der Parteienlandschaft Preußens, sondern auch von den Fraktionen der zweiten Kammer. Sozialdemokratische Mitglieder hat es nie gegeben, ausdrückliche Zentrumsanhänger wie Adam Stegerwald blieben ebenso Ausnahmen wie linksliberale Mitglieder.
Gleichwohl gab es auch im Herrenhaus durchaus unterscheidbare Strömungen. Friedrich Julius Stahl war der Namensgeber der konservativen „Fraktion Stahl“, die man später „Alte Fraktion“ nannte. Diese wurde überwiegend von den kleineren Grundbesitzern („Junkern“) unterstützt. Die wirklich großen Grundbesitzer mit einem Besitz zwischen 3500 und 75.000 ha bildeten in den ersten Jahrzehnten die Basis der „Neuen Fraktion“, die einen freikonservativ-nationalliberalen Kurs steuerte. Gegen Ende der 1880er Jahre schwenkten die jüngeren Mitglieder dieser „Grandseigneurs“ zunehmend auf den Kurs der Alten Fraktion ein. Den gemäßigt konservativen bzw. nationalliberalen Part übernahm eine bürgerlich dominierte sogenannte „Oberbürgermeister-Fraktion“.[4]
[Bearbeiten] Rolle in der Gesetzgebung
Das preußische Herrenhaus war zusammen mit dem Haus der Abgeordneten, der zweiten Kammer des preußischen Landtags, zur Gesetzgebung berufen. Die preußische Verfassung von 1850 legte fest, dass Budgets und Finanzgesetze zuerst der zweiten Kammer vorgelegt werden mussten (Art. 62). Über den Haushalt durfte das Herrenhaus nur im Ganzen beraten (Art. 62). Dies hatte zur Folge, dass dem Herrenhaus in diesen Fragen eher Vetorecht, aber keine Gestaltungsmacht zukam. Auch bei einfachen Gesetzen war die Zahl der Vorlagen, die zuerst im Oberhaus eingebracht wurden, gering. Praktisch sahen alle Regierungen den Schwerpunkt der Landesvertretung im Abgeordnetenhaus und konnten meist zu Recht erwarten, dass das Herrenhaus dem Kompromiss zwischen Ministerium und Abgeordnetenhaus zustimmen würde, sofern die Konservativen im Abgeordnetenhaus einbezogen waren.
Über die faktische Rolle im Herrschaftsgefüge des preußischen Staates bestehen in der Forschung unterschiedliche Ansichten. Thomas Nipperdey konstatierte zwar eine verfassungsrechtlich und real starke Stellung des Herrenhauses, gleichzeitig stellte er ein Übergewicht der Krone über beide Häuser des Parlaments fest. Hans-Ulrich Wehler sieht im Herrenhaus vor allem eine Vetomacht. Diese beträfe nicht nur Preußen, sondern letztlich die gesamte Reichspolitik. Wolfgang Mommsen sah im Widerstand des Herrenhauses einen Hauptgrund für das Scheitern aller bis 1918 erfolgten Versuche, die politischen Mitspracherechte des Bürgertums festzuschreiben.[5]
[Bearbeiten] Gebäude
Auf dem Grundstück des späteren Preußischen Herrenhauses in der Leipziger Straße 3 befand sich seit 1761 zunächst eine Porzellanmanufaktur und später eine Seidenmanufaktur im Besitz von Johann Ernst Gotzkowsky. Das Gebäude war von 1825 bis 1851 im Besitz der Familie Mendelssohn Bartholdy, die es in ein repräsentatives Wohngebäude umbauen ließ. In diesem Adelspalais soll Felix Mendelssohn Bartholdy seine Musik zum Sommernachtstraum komponiert haben. Von 1867 bis 1870 tagte dort der Reichstag des Norddeutschen Bundes. Für den Reichstag des Deutschen Kaiserreichs entstand 1871 auf dem Nachbargrundstück Nr. 4 ein provisorisches Sitzungsgebäude, das bis 1894 als solches genutzt wurde. 1898 wurden beide Gebäude abgerissen, um dem Neubau des Herrenhauses Platz zu machen.
Dieser wurde vom Architekten Friedrich Schulze geplant und im Jahre 1904 fertiggestellt. Er wurde nördlich des Gebäudes für den Preußischen Landtag errichtet, das seit 1993 als Berliner Abgeordnetenhaus, als Sitz des Parlaments, fungiert. Das Preußische Herrenhaus liegt an der Südseite der Leipziger Straße.
Ab 1904 diente das Preußische Herrenhaus als Sitz der Ersten Kammer des Preußischen Landtages. Während der Novemberrevolution 1918 tagte hier zwischen dem 16. und 21. Dezember die Reichsversammlung der Arbeiter- und Soldatenräte. Hier fiel die Entscheidung, die Wahlen für die neue Nationalversammlung am 19. Januar 1919 abzuhalten.
Von 1921 bis 1933 tagte in dem Gebäude der preußische Staatsrat als Vertretung der Provinzen. Sein Vorsitzender war über die gesamte Epoche Konrad Adenauer, der 1917 als Kölner Oberbürgermeister zum Mitglied des Preußischen Staatsrates berufen worden war.
Nach 1933 wurde das Gebäude von den Nationalsozialisten genutzt, es war als so genanntes Preußenhaus dem Reichsluftfahrtministerium angegeliedert, so dass dort Hermann Göring seinen Sitz hatte.
Durch den Zweiten Weltkrieg stark beschädigt, wurde das Haus nach 1946 von der Akademie der Wissenschaften der DDR genutzt.
Seit dem 29. September 2000 dient das Gebäude des preußischen Herrenhauses als Sitz des deutschen Bundesrates, der hier zwölfmal jährlich tagt.
Auf dem Dach des Gebäudes wurden acht Bronzeskulpturen des dänischen Bildhauers Per Kirkeby aufgestellt.
[Bearbeiten] Quellen
- ↑ Spenkuch, H.(1999): Herrenhaus und Rittergut, S. 378f., Hans-Ulrich Wehler (1995): Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd.3, S.204.
- ↑ Spenkuch, H.(1998): Das preußische Herrenhaus, S. 36, Ders, (1999): Herrenhaus und Rittergut, S.381
- ↑ Spenkuch, H.(1999): Herrenhaus und Rittergut, S. 388
- ↑ Spenkuch, H.(1999), Herrenhaus und Rittergut, S.389
- ↑ Spenkuch, H.(1999): Herrenhaus und Rittergut, S.379f., Hans-Ulrich Wehler (1995): Deutsche Gesellschaftsgeschichte Bd.3, S.857.
[Bearbeiten] Literatur
- Hartwin Spenkuch: Herrenhaus und Rittergut. Die erste Kammer des Landtages und der preußische Adel von 1854-1918 aus sozialgeschichtlicher Sicht. In: Geschichte und Gesellschaft 3/1999. S.375-403.
- Hartwin Spenkuch: Das preußische Herrenhaus. Adel und Bürgertum in der ersten Kammer des Landtages 1854-1918. Düsseldorf, 1998.
- Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band: Von der Deutschen Doppelrevolution bis zum Beginn des ersten Weltkrieges. 1849-1914. München, 1995.
[Bearbeiten] Weblinks
Commons: Preußisches Herrenhaus – Bilder, Videos und/oder Audiodateien |
Koordinaten: 52° 30' 33" N, 13° 22' 53" O