Lectio divina
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Die Lectio divina ist eine Methode der betenden Meditation über Bibeltexten, die in den Klöstern des Mittelalters geübt wurde und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil eine Wiederentdeckung erfahren hat.
Der lateinische Ausdruck lectio divina bedeutet wörtlich "göttliche Lesung" und meint die Lektüre der Bibel als Heilige Schrift.
Die Wurzeln der Lectio divina gehen auf das Urchristentum zurück, welches im Alten Testament mittels allegorischer Auslegung Hinweise auf Christus und die Kirche fand.
Die Kirchenväter entwickelten die Lehre vom "vierfachen Schriftsinn":
- buchstäblich-historischer Sinn: wörtliche Bedeutung des Textes gemäss den Umständen seiner Entstehung
- allegorisch-christologisch-ekklesiologischer Sinn: Bedeutung des Textes in Bezug auf Christus und die Kirche
- moralisch-existentialer Sinn: Bedeutung des Textes in Bezug auf das Verhalten im täglichen Leben
- anagogisch-eschatologisch-mystischer Sinn: Bedeutung für die Kontemplation und Begegnung mit Gott
Die Lehre vom vierfachen Schriftsinn, die heute wieder im Katechismus der Katholischen Kirche (109-119) vertreten wird, ist in einem mittelalterlichen Zweizeiler zusammengefaßt:
| Littera gesta docet, | Der Buchstabe lehrt die Ereignisse, |
| quid credas allegoria, | was du zu glauben hast, die Allegorie, |
| moralis quid agas, | die Moral, was du zu tun hast, |
| quo tendas anagogia. | wohin du streben sollst, die Anagogie (Führung nach oben). |
Um 1150 beschrieb der Kartäusermönch Guigo II. in seinem Buch Scala Claustralium ("Die Treppe der Mönche") mit Bezug auf das Jesuswort "Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan" (Matthäus 7,7) die Lectio divina als einen Prozess in vier Stufen:
- lectio: aufmerksame Lektüre eines Abschnitts der Bibel
- meditatio: Nachdenken über den gelesenen Abschnitt
- oratio: die Ergebnisse des Nachdenkens werden in einem Gebet formuliert
- contemplatio: das Gebet mündet in die schweigende Anbetung Gottes
Im Jahre 2005 sagte Papst Benedikt XVI. zu dieser Theorie: "Dies ist die Treppe, mit der die Mönche von der Erde zum Himmel aufsteigen". Wiederenteckt wurde die Lectio divina nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil vor allem durch die Werke von Enzo Bianchi, Carlo Maria Martini und Wilhelm Egger, dem Bischof von Bozen-Brixen.
Parallelen zur Lectio divina finden sich auch im Protestantismus, zum Beispiel in August Hermann Franckes Kurzem Unterricht, wie man die Heilige Schrift zu seiner wahren Erbauung lesen sollte.
[Bearbeiten] Literatur
- Enzo Bianchi, DICH finden in deinem Wort. Die geistliche Schriftlesung, Freiburg im Breisgau 1988
- Edgar Friedmann OSB, Die Bibel beten. Lectio divina heute, Münsterschwarzach 1995 (= Münsterschwarzacher Kleinschriften 88)
