Kritik der zynischen Vernunft

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Die Kritik der zynischen Vernunft ist ein 1983 erschienenes zweibändiges Werk des deutschen Philosophen Peter Sloterdijk. Das Werk behandelt den Kynismus/Zynismus als gesellschaftliches Phänomen der europäischen Geschichte.

Der erste Band beinhaltet die philosophischen Grundlagen; der zweite Band fächert darauf aufbauend eine Phänomenologie der Handlungsgeschichte auf. In beiden Bänden ist der Text-Bild-Bezug ein integraler Bestandteil des philosophischen Diskurses.

[Bearbeiten] Inhaltlich-strukturelle Nachzeichnung

Da Sloterdijk formal wie inhaltlich Anschluss an Immanuel Kant sucht, hat er seine „Kritik der zynischen Vernunft“ genau zum 200jährigen Jubiläum der von Kant verfassten Kritik der reinen Vernunft veröffentlicht.

Sloterdijk entwirft ein groß angelegtes Entstehungsszenario des bürgerlichen Bewusstseins anhand von Negativbeispielen aus der europäischen Handlungs- und Bildungsgeschichte. Sloterdijk ortet den Zweiten Weltkrieg als einen ersten Kulminationspunkt eines „Systems der Selbstaushöhlung“ (Kapitalismus), „das, bis zu den Zähnen bewaffnet, ewig leben will“.

Seine Analyse des Dadaismus und seine historische Darstellung in Berlin geht einher mit einer Aufdeckung der Spielarten von Ironien und Sarkasmen aller Lager der Zwischenkriegszeit (insbesondere Dadaisten, Sozialdemokraten, Nationalsozialisten und deren gegenseitige höhnische Aufhetzung). Er beleuchtet das nazistischen Schriftgut, welches – so Sloterdijk – das Dritte Reich „rhetorisch retten“ will), nicht ohne Kästner und Remarque als die „Autoren des Menschlichen“ in einem „erbitterten Krieg Aller gegen Alle“ zu erwähnen. Dabei deckt er ihre eindeutig auf das mittlerweile zynische Klima hinweisenden Textstellen strukturell auf und erläutert es aus seiner Sicht.

Außerdem unternimmt Sloterdijk den Versuch, die Wirkungsgeschichte der Kantschen Kritiken und deren Interpretationen bis in die nahe Vergangenheit nachzuzeichnen. Er versucht aufzuzeigen, dass Kants „kritisches Geschäft“ durch die Prämisse Bacons „Wissen ist Macht“ instrumentalisiert und schließlich ausgehebelt werde. Zugleich betrachtet er die Entstehung des heutigen menschenverachtenden Zynismus im Gespann kleinbürgerlicher Semiologien bzw. großphilosophischen Ambitionen auf der Folie des griechischen Kynismus. Dieser stehe heute nun nicht mehr für letztlich (natürlich-)ethisch verbürgende Werte zwischen Menschen außerhalb religiöser und/oder wirtschaftlich-oportunistischer Überzeugungen. Stattdessen sei er einem Zynismus gewichen, der sein Handeln aufgrund eines „Endziels“ rein materialistisch definiere und ein „gesolltes“ Handeln wirtschaftlich auf Gewinnmaximierung trimme bzw. reduziere; einen Zynismus, der sich jedoch da ausschweige, wo es sich um soziale, nicht-antropogene, d.h. dem Menschen natürlich innewohnende, altruistische Zielverfolgung in einem und für ein „gelungenes Leben“ handelt.

Sloterdijk macht im Schlusskapitel darauf aufmerksam, dass er ein Gelingen nicht als allein äußere Tatsache betrachtet, sondern als „Eingebettetsein“ in ein sich ständig selbstorganisierendes und selbsterneuerndes von Menschen aus eigener Einsicht und eigenem Antrieb geschaffenes „Ganzes“ (Sloterdijk).

Weiterhin unterzieht er Heideggers Werk Sein und Zeit einer genauen Untersuchung und sucht Verdeutlichung durch Bestätigung der „Tatsachen“ vor allem was die Geschehnisse und der künstlerische Aktivität aus der Zwischenkriegszeit betrifft.

Sloterdijk macht an vielen Stellen klar, dass er den etymologischen Konsonantensprung (von K zu Z, wie B zu W) dazu nutzt, seine Grundthese zu verstärken: Der einstige Kynismus, gewissermaßen als Antithese zur griechischen Akademie und als Ventil einer entmachteten Bevölkerung, gerinnt in einem neuzeitlichen – industriellen/postindustriellen System zu einem Zynismus von nur mehr merkantil verstandenen Handlungen. Sloterdijk versucht den heutigen real-existierenden Zynismus zu veranschaulichen mittels der Tätigkeit von Agenten und Doppelagenten als Verkörperungsformen des Schweigens/Taktierens/Lavierens/Versprechens. Eine wirkliche Aufklärung im Sinne Kants (wie dargelegt in dessen beiden Schriften Was ist Aufklärung? und Zum ewigen Frieden) habe demnach niemals stattgefunden.

[Bearbeiten] Veröffentlichungen - Diskussion - Interpretation

Seine "Kritik der zynischen Vernunft" hat in Deutschland größeres Aufsehen erregt (Verkaufszahlen) und dazu beigetragen, die Philosophie in der Öffentlichkeit wieder als ein relevantes Forum aller Wissensbereiche und als offenen Diskurs zu verstehen. Der Verlag Suhrkamp hatte im Anschluss 1987 eine Sammlung mit Beiträgen von Wissenschaftlern herausgegeben, welche sich zum Phänomen Zynismus psychologisch, soziologisch, historisch und philosophisch äußern.

In seiner Rolle als Philosoph nahm Sloterdijk mit diesem Werk während der damaligen öffentlichen Diskussion für Deutschland eine ähnliche Stellung ein wie Baudrillard in Frankreich, wenngleich Sloterdijk nicht so sehr als Verfechter der Nouvelle Philosophie gilt. Beide großen Kulturnationen entwickelten verschiedene philosophische Traditionen, welche sich wenig übertragen lassen, entsprechend ihres Problembewusstseins, ihrer Weltbilder, der zu erzielenden Wirkung mittels Philosophie und ihrer Methoden.

[Bearbeiten] Literaturnachweis

• Peter Sloterdijk: Kritik der zynischen Vernunft. 2 Bände. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1983 ISBN 3-518-11099-3
• Otto Kallscheuer u.a.: Peter Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“ Frankfurt am Main: Suhrkamp 1987 ISBN 3-518-11297-X
• Ulrich Holbein: Peterchens Mondfahrt. In: Der Spiegel (18.10.1993) (versteht sich als bissiger Gegenessay)