Konsumismus
aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Konsumismus (engl. consumerism: übersteigertes Konsumverhalten; auch weitere Bedeutung von consumerism als: Verbraucherschutzbewegung; siehe: Konsumerismus) ist ein seit den 70er Jahren sich einbürgender Begriff, der u.a. von Pier Paolo Pasolini gebraucht wurde, um den übersteigerten Konsum in den westlichen Gesellschaften zu beschreiben.
Pasolini formulierte die These, der Konsumismus sei eine neue Form des Totalitarismus, weil er mit dem Anspruch einher gehe, die Konsumideologie auf die gesamte Welt auszudehnen. Eine seiner Folgen sei die Zerstörung der Vielfalt sozialer Lebensformen und die Einebnung der Kulturen in einer globalen konsumistischen Massenkultur, die die Freiheitsvorstellungen mit einer "Pflicht" zum Konsumieren auflade und die Menschen veranlasse, mit dem "Gefühl von Freiheit" die Konsumimperative zu erfüllen. Die entsprechenden Dispositionen, die eine innere Leere, Langeweile, Überdruss und chronische Depressivität im Akt des Kaufens oder Konsumierens kompensierbar machen, gehören nach Fromm zum Charakterbild des modernen Menschen. Eine überspitzte Ausprägung finden die konsumorientierten Haltungen, Leidenschaften und Verhaltensweisen des so genannten konsumistischen Sozialcharakters im Krankheitsbild der Kaufsucht.
Als "alltäglicher Konsumismus" wird eine angebliche Tendenz vieler Menschen in den Konsumgesellschaften beschrieben, sich mit Produkten oder Dienstleistungen übermäßig zu identifizieren und ihr Selbstwertgefühl davon abhängig zu machen. Dabei werden angeblich besonders Produkte mit kommerziellem Markennamen und statushebenden Versprechungen vorgezogen. Insoweit der Konsumismusbegriff als abwertend wahrgenommen wird, lehnen ihn viele Betroffene ab und ziehen es vor, ihren Konsum mit rationalen Argumenten zu rechtfertigen; sie verwerfen die Idee, sie würden "gezwungen" zu konsumieren.
Menschen, die die Ideologie des Konsumismus bejahen, bewerten die gekauften oder konsumierten Produkte nicht als in sich wertvoll, sondern benutzen sie gezielt als gesellschaftliche Statussymbole und Signale, um sich mit gleichgesinnten Leuten zu umgeben.
Sich von der "linken" Konsumkritik abwendend, sehen Befürworter wie Norbert Bolz im Konsumismus das weltweite Gegengewicht zum religiösen Fundamentalismus. Dem Konsumismus wird die Rolle zugewiesen, die Welt zu befrieden, indem er seine Segnungen allen Völkern zuteil werden lasse. Die westliche Konsumkultur werde dabei jedoch ohne Rücksicht auf die ökologischen Folgen weltweit ausgedehnt. Auch wenn er letztlich gegen alle seine Feinde (religiöse Fundamentalisten, Konsumismus-Kritiker, Wachstums- und Globalisierungskritiker) siegreich bleiben sollte, kann der Konsumismus als "Immunsystem der Weltgesellschaft" (Bolz) nur an sich selbst zugrunde gehen.
Eine populäre Kritik des Konsumismus haben John de Graaf, David Wann und Thomas Naylor vorgelegt. Sie sprechen von "Affluenza", der Überflusskrankheit oder der "Zeitkrankheit Konsum"; dieses Kunstwort verbindet "Influenza" und "Affluence" (Wohlstand, Reichtum, Überfluss). Als Symptome dieser Krankheit nennen die Autoren Schulden, eine Überproduktion von Waren, Unmengen an Müll sowie Angstzustände, Gefühle der Entfremdung und Verzweiflung. Hervorgerufen sei die Krankheit durch die Gier nach immer mehr materiellen Gütern. Als Weg der Gesundung biete sich der Abschied vom konsumistischen Lebensstil im Sinne "freiwilliger Einfachheit" an.
[Bearbeiten] Literatur
- Pier Paolo Pasolini (1975), Freibeuterschriften. Die Zerstörung der Kultur des Einzelnen durch die Konsumgesellschaft, Berlin 1975.
- Erich Fromm (1976), Haben oder Sein, 1976. ISBN 3-423-36103-4
- Sigurd H. Brandt (1977), "Offene Fallstudie: Consumerismus - ein Unterrichtsmodell zur Verbrauchererziehung", in: ders.: Die Arbeitslehre, Heft 3/77, S.
- Sigurd H. Brandt (1978), "Konsumerismus und Verbraucherbildung", in: Allgemeiner Schulanzeiger, Heft 4/78, S.
- Sigurd H. Brandt (1982), "Consumerism", in: ders.: Verbrauchererziehung: Vorschläge für einen Unterricht über selbstbestimmtes Konsumverhalten. Berlin : Colloquium-Verlag, 1982, S.
- Burkhard Bierhoff (2002), "Das Unbehagen im Konsumismus", in: Erich Fromm als Vordenker, hrsg. von Marko Ferst, Berlin 2002, S. 57 - 74.
- Norbert Bolz (2002), Das konsumistische Manifest, 2002
- John de Graaf, David Wann, Thomas Naylor, Affluenza. Zeitkrankheit Konsum, 2002
- Gerhard Scherhorn (2003), Nachhaltiger Konsum. Auf dem Weg zur gesellschaftlichen Verankerung, München 2003. ISBN 3-928244-85-X
- Alexander von Schönburg (2005), Die Kunst des stilvollen verarmens, wie man ohne Geld reich wird, Berlin, 2005. ISBN 3-499616-68-8
- Branislav Dimitrijević (2006), Sozialistischer Konsumismus, Verwestlichung und kulturelle Reproduktion. Der "postkommunistische" Übergang im Jugoslawien Titos, in: In: Zurück aus der Zukunft. Osteuropäische Kulturen im Zeitalter des Postkommunismus. Hg. von Boris Groys et al. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2006, S. 195 - 277. ISBN 3-518-12452-8 (Siehe zu Konsumismus insbesondere den Abschnitt "Der Konsum der Arbeiterklasse: Parad und Die fröhliche Klasse" (S. 217 - 251), sowie Abschnitt "Exkurs: Arvatovs Theorie des sozialistischen Konsums?" (S. 251 - 256))
[Bearbeiten] Siehe auch
- Konsumgesellschaft
- Materialismus
- Nachhaltige Entwicklung
- Verbraucherbildung
- Wirtschaftspädagogik
- Affluenza (englisch)