Kentumsprachen
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Als Kentumsprachen (seltener Centumsprachen) bezeichnete die frühere Indogermanistik eine indogermanische Sprachgruppe der Jungsteinzeit. Alle anderen indogermanischen Sprachen gehören nach dieser Theorie zu den Satem-Sprachen. Heute spielt diese Unterscheidung in der Forschung keine Rolle mehr.
Benannt sind die beiden Gruppen nach dem lateinischen bzw. altiranischen Wort für "hundert", die beide aus einem urindogermanischen */dk’mtóm/ entstanden sind.
[Bearbeiten] Ältere Annahme
Früher nahm man an, dass sich das Indogermanische - noch bevor die Völker westwärts nach Europa kamen - zuerst in eine Kentumsprache und eine Satem-Sprache geteilt habe.
Beim Proto-Indogermanischen geht man von der „k“-Aussprache aus. Irgendwann tendierten einige indogermanische Sprachen dazu, dieses „k“ zu palatalisieren, also zu einem Zischlaut /s/ bzw. /ʃ/ werden zu lassen, ähnlich, wie dies später in verschiedenen romanischen Sprachen mit dem lateinischen <c> in centum passierte.
Dieser Wandel trat bei den heute östlichen Zweigen wie z. B. den indoiranischen Sprachen ein, zu denen Sanskrit und Persisch gehören. Auch bei den frühen slawischen und baltischen Sprachen sowie dem Albanischen ereignete sich Ähnliches. Andere Sprachen wie die germanischen und die keltischen blieben (zumindest zunächst) beim ursprünglichen Laut.
[Bearbeiten] Moderne Annahme
Die Unterscheidung zwischen Kentum- und Satem-Sprachen entstammt einer Zeit, als die vergleichende Sprachwissenschaft noch von sich ständig verästelnden Sprachstammbäumen ausging. Dagegen besteht inzwischen Einigkeit, dass die tatsächlichen Verhältnisse viel komplexer waren und insbesondere das Stammbaummodell spätere Beeinflussungen durch Sprachkontakte ignorierte.
Außerdem ist nicht zu beweisen, dass der Unterschied zwischen Kentum- und Satemsprachen der am frühesten eingetretene Unterschied zwischen indogermanischen Sprachen ist.
Zudem konnte man feststellen, dass in den Satemsprachen einige Wörter existieren, die den bewussten Lautwandel nicht zeigen, sondern noch das ursprüngliche -k- aufweisen. Es kann sich aber auch nicht um Lehnwörter aus irgendeiner Kentumsprache handeln.
Da die Unterscheidung zwischen Kentum- und Satemsprachen sich also als nicht so grundlegend herausgestellt hat, wie man lange gemeint hatte, spielt sie in der aktuellen Forschung der Indogermanistik praktisch keine Rolle mehr.
Damit liegt bei diesem Begriff ein weiteres Beispiel dafür vor, wie ein Forschungsergebnis zu einer gewissen Zeit über die ursprüngliche Forschergemeinde hinaus populär geworden und dies geblieben ist, während es in der eigentlichen Forschung keine Rolle mehr spielt.