Privacy Policy Cookie Policy Terms and Conditions Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968 - Wikipedia

Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Die Kaufhaus-Brandstiftungen am 2. April 1968 waren der Beginn einer Reihe von politisch-revolutionär motivierten Straftaten, die letztlich zur Gründung der Rote Armee Fraktion führten und dort weiter eskalierten. Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Thorwald Proll und Horst Söhnlein legten insgesamt drei Brände in zwei Kaufhäusern und wurden dafür zu vergleichsweise hohen Haftstrafen verurteilt.

Inhaltsverzeichnis

[Bearbeiten] Vorgeschichte

Im Mai 1967 brannte in Brüssel ein Kaufhaus ab, wobei über 300 Menschen ums Leben kamen. Dieses Ereignis inspirierte die Kommune 1 zu Flugblättern, in denen einerseits das menschliche Leid bedauert, andererseits aber auch die Freude an der Zerstörung der kapitalistischen Symbole zum Ausdruck gebracht wurde. Das Leid der Betroffenen sollte der Öffentlichkeit endlich eine Vorstellung vom Leid der im Vietnam mit Napalm bombardierten Menschen vermitteln.

Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelte zum erstenmal in einer europäischen Grossstadt jenes knisternde Vietnamgefühl (dabeizusein und mitzubrennen), das wir in Berlin bislang noch missen müssen. (...) So sehr wir den Schmerz der Hinterbliebenen in Brüssel mitempfinden: wir, die wir dem Neuen aufgeschlossen sind, können, solange das rechte Mass nicht überschritten wird, dem kühnen und Unkonventionellen, das, bei aller menschlichen Tragik im Brüsseler Kaufhausbrand steckt, unsere Bewunderung nicht versagen. [1]

Das zweite Flugblatt wurde noch direkter. Die bisher durch Eierwürfe und Pudding-Attentate bekannten Ersteller der Flugblätter deuteten beispielsweise an, die Bevölkerung könne auch ins Kaufhaus gehen und sich in der Ankleidekabine diskret eine Zigarette anzünden.

Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht. Genausowenig wie beim überschreiten der Demarkationslinie durch die Amis, der Bombardierung des Stadtzentrums von Hanoi, dem Einmarsch der Marines nach China
Brüssel hat uns die einzige Antwort darauf gegeben:
Burn ware-house, burn !
Kommune I (24. Mai 1967) [1]

Rainer Langhans und Fritz Teufel wurden wegen der Flugblätter am vor Gericht gestellt. Der so genannte „Brandstifer-Prozess“ ging allerdings zu ihren Gunsten aus. Die Kommunarden wurden freigesprochen.

Baader und Ennslin hatten sich zu dieser Zeit gerade kennengelernt. Im März 1968 beschlossen sie, es nicht bei Flugblättern zu belassen.

[Bearbeiten] Der Anschlag

Baader, Ensslin und Proll holten Söhnlein in München ab und fuhren nach Frankfurt am Main. Den ganzen 2. April 1968 kundschafteten sie Kaufhäuser aus, und suchten nach Zielen für die Aktion. Nach Schließen der ausgesuchten Häuser Schneider und Kaufhof an der Zeil legten sie dort selbstgebastelte Brandsätze mit Zeitzündern, die kurz vor Mitternacht auslösten. Im Kaufhof brannte ein Teil der Sportartikel- und Spielwarenabteilung, bei Schneider im ersten Stock die Wand einer Umkleidekabine und im dritten Stock ein Schrank. Der direkte Schaden durch die Brandsätze war vergleichsweise gering, löste aber zwangsläufig die seinerzeit noch nicht überall verbreiteten Sprinkleranlagen aus. Der gesamte Sachschaden betrug etwa 675.000 DM. Menschen wurden nicht verletzt. Kurz nach dem Auslösen der Brandsätze erhielt die Deutsche Presse-Agentur (dpa) einen Anruf:

Gleich brennt's bei Schneider und im Kaufhof. Es ist ein politischer Racheakt.

Die Brandstifter verbrachten die Nacht bei einer Bekannten. Deren Lebensgefährte war allerdings mit den Gästen nicht einverstanden.

[Bearbeiten] Nachfolgende Ereignisse

Die Frankfurter Kriminalpolizei ermittelte recht schnell, dass Brandstiftung vorlag, denn es wurden an allen drei Brandherden Plastikflaschen und Reisewecker gefunden, deren Zustand keinen Zweifel an der Ursache des Feuers ließ.

Bereits am 3. April 1968 entschlossen sich die Geschäftleitungen der Kaufhäuser, für sachdienliche Hinweise zur Ergreifung der Täter eine hohe Belohnung auszusetzen. Schon morgens am 4. April 1968 ging bei der Frankfurter Kriminalpolizei ein „konkreter Hinweis“ ein, der zur unmittelbaren Verhaftung der vier Brandstifter führte.

[Bearbeiten] Der Prozess

Der Prozess verlief turbulent und wurde vielfach kritisiert. Die Angeklagten verhielten sich zunächst auffällig gut gelaunt und verhöhnten Richter und Staatsanwalt. Besonders bekannt wurde ein Foto, das die vier Polit-Aktivisten teilweise mit Zigarre im Mund auf der Anklagebank zeigt.

  • Foto aus dem Gerichtssaal

Am 29. Oktober 1968 forderte der Frankfurter Erste Staatsanwalt Walter Griebel jeweils sechs Jahre Zuchthaus für die Angeklagten. Der Spielraum der Anklage reichte von einfacher Sachbeschädigung bis zu besonders schwerer Brandstiftung (Verlust von Menschenleben).

Einer vollendeten schweren Brandstiftung macht sich schuldig und mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer (...) vorsätzlich in Brand setzt 1. ein zu gottesdienstlichen Versammlungen bestimmtes Gebäude, 2. ein Gebäude, ein Schiff oder eine Hütte, welche zur Wohnung von Menschen dienen, oder 3. eine Räumlichkeit, welche zeitweise zum Aufenthalt von Menschen dient, und zwar zu einer Zeit, während welcher Menschen in derselben sich aufzuhalten pflegen.

Dazu hätten außerdem einige weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die selbst juristischen Laien als offensichtlich nicht vorhanden auffielen. Die Unverhältnismäßigkeit des Strafantrags erstaunte nicht nur die Kommentatoren großer liberaler Zeitungen wie Uwe Nettelbeck. [2]

Das Schöffengericht der Großen Strafkammer unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Gerhard Zoebe folgte der Argumentation des Anklägers nur zum Teil, verhängte aber dennoch ungewöhnlich harte Strafen. Am 31. Oktober 1968 wurde das Urteil verkündet: jeweils drei Jahre Zuchthaus. Die Angeklagten - zu diesem Zeitpunkt noch weitaus mehr Spaßguerillas als Terroristen - empfanden den Richtspruch als staatliche Willkür. Die Nichtbeachtung des politischen Hintergrundes, die ausschließliche Wahrnehmung bzw. Auslegung des „politischen Happenings“ als simple Kriminalität war für sie besonders enttäuschend. Als Gudrun Ensslin nach einem Schlußwort gefragt wurde, sagte sie:

Nein. Ich will Ihnen nicht die Gelegenheit geben, den Eindruck zu erwecken, als hörten Sie mir zu. [2]

[Bearbeiten] Kommentare zum Prozess

Sogar politische Sympathisanten waren sich darin einig, dass die Aktion sinnlos war. Nettelbeck schrieb:

Es ist in der Ordnung, daß sich die Ordnung gegen die Unordnung verteidigt, daß sich die herrschende Ordnung gegen den Versuch verteidigt, sie abzuschaffen; wer die herrschende Ordnung stört, muß damit rechnen, daß sie zuschlägt, wenn sie kann. Darum war es sinnlos, am 2. April 1968 eine fremde eigene Sache anzuzünden; nichts anderes konnte damit demonstriert werden. (..) Es gibt Gesetze, deren Übertretung weniger gefährlich und doch politisch wirksamer ist. [2]

Ulrike Meinhof - zu der Zeit als bekannte linke Journalistin tätig - kommentierte die Anschläge mit einem Essay im Magazin konkret 14/1968 und kam zu dem Schluss:

So bleibt, daß das, worum in Frankfurt prozessiert wird, eine Sache ist, für die Nachahmung - abgesehen noch von der ungeheuren Gefährdung für die Täter, wegen der Drohung schwerer Strafen - nicht empfohlen werden kann. Es bleibt aber auch, was Fritz Teufel auf der Deligiertenkonferenz des SDS gesagt hat: „Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.“ Fritz Teufel kann manchmal wirklich sehr gut formulieren. [3]

[Bearbeiten] Reaktion der Verurteilten

Am 13. Juni 1969 - also etwa 14 Monate nach der Verhaftung - wurden die Häftlinge unter Auflagen bis zur Entscheidung über die Revision des Prozesses auf freien Fuß gesetzt.

Im November 1969 wurde der Revision nicht stattgegeben. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Thorwald Proll tauchten mit Prolls Schwester Astrid Proll unter und flohen zunächst nach Paris. Nur Horst Söhnlein trat seine Haftstrafe an.

[Bearbeiten] Quellen

  1. a b Zwei Flugblätter der K1 „Burn ware-house, burn!“
  2. a b c Uwe Nettelbeck über den Frankfurter Brandstifter-Prozess, 8. November 1968, DIE ZEIT, Ausgabe 45/1968]
  3. Ulrike Meinhof in konkret 14/1968 über die Brandstiftungen

[Bearbeiten] Weblinks, Literaturhinweis

THIS WEB:

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