Integrierte Versorgung
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Die Integrierte Versorgung ist eine neue "sektorenübergreifende" Versorgungsform im deutschen Gesundheitswesen.
Sie fördert eine stärkere Vernetzung der verschiedenen Fachdisziplinen und Sektoren (Hausärzte, Fachärzte, Krankenhäuser), um die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern und gleichzeitig die Gesundheitskosten zu senken.
Inhaltsverzeichnis |
[Bearbeiten] Historie
Ansätze zur Ablösung der sektoralen Trennung im deutschen Gesundheitswesen durch ein integriertes System gibt es seit etwa 1975 (z.B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftl. Institut des DGB). Bis zur Umsetzung dauerte es jedoch über eine Generation: Zu tief waren in der Zwischenzeit die Gräben zwischen Leistungserbringern und ihren Vertretern auf der einen und den Kostenträgern und ihren Vertretern auf der anderen Seite geworden.
Der Reformversuch "Integrierte Versorgung" in der Gesundheitsreform 2000 zeigte zunächst kaum Wirkung. Integrationsverträge zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen konnten nur mit Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigungen abgeschlossen werden. Hier schienen die Tendenzen zu einem Status Quo-Erhalt dominierend zu sein, so dass der Ersatz kollektivvertraglicher durch selektivvertragliche Vereinbarungen nicht stattfand. Am 1. Januar 2004 schaffte die rot-grüne Koalition mit dem GKV-Modernisierungsgesetz die Grundlagen für die Aufweichung der Fronten. In dem für die Integrierte Versorgung neu geschaffenen Paragraph (140 a-d) des Sozialgesetzbuch V (SGB V) wurde festgelegt, dass Leistungserbringer und Krankenkassen auch ohne Zustimmung der Kassenärztlichen Vereinigungen Verträge zur Integrationsversorgung miteinander schließen konnten. Damit war zum einen die Grundlage für einzelvertragliche Aktionen geschaffen. Die Krankenkassen sind unter diesen Regelungen mit einem deutlichen Machtzuwachs gegenüber den ehemals überlegenen Vereinigungen der Leistungserbringer ausgestattet.
"§ 140 a Integrierte Versorgung (IV) (1) Abweichend von den übrigen Regelungen dieses Kapitels können die Krankenkassen Verträge über eine verschiedene Leistungssektoren übergreifende Versorgung der Versicherten oder eine interdisziplinär-fachübergreifende Versorgung mit den in § 140b Abs. 1 genannten Vertragspartnern abschließen .
§ 140 b Verträge zu integrierten Versorgungsformen (1) Die Krankenkassen können die Verträge nach § 140 a Abs. 1 nur mit 1. einzelnen ... Ärzten und Zahnärzten und einzelnen ... Leistungserbringern ... 2. Trägern zugelassener Krankenhäuser ... 3. Trägern von Einrichtungen nach § 95 Abs. 1 Satz 2 (Medizinische Versorgungszentren) ... 4. Trägern von Einrichtungen, die eine integrierte Versorgung nach § 140 a durch zur Versorgung der Versicherten nach dem 4. Kapitel berechtigte Leistungserbringer anbieten (Managementgesellschaften), 5. Gemeinschaften der vorgenannten ... abschließen. ..."
In dem Reformwerk von 2004 wurde ein zweiter wichtiger Grundstein für den Erfolg integrierter Versorgungsmodelle gelegt: Zum 1. Januar 2004 wurde nach §140 d SGB V eine Anschubfinanzierung in Höhe von 1% der Gesamtvergütung ambulanter und stationärer Leistungen bereitgestellt, um die bis dahin zögerliche Inanspruchnahme der neuen Möglichkeiten zu beschleunigen. Danach stehen bis zum Jahr 2006 jährlich maximal 680 Mio Euro zur Verfügung (220 Mio aus der vertragsärztlichen Vergütung und 460 Mio aus der stationären Versorgung). Diese Anschubfinanzierung reduziert die Budgets der jeweiligen KV-Bezirke, in denen die Integrationsmodelle angesiedelt sind. Die Anschubfinanzierung stellt, wie der Name schon andeutet, nur eine Übergangslösung dar. Für das langfristige Überleben der Integrierten Versorgung sind klare Finanzierungsregelungen (Budgetbereinigungen) notwendig.
Ende 2004 gab es etwa 300 Integrationsverträge, im Herbst 2005 wurde die Marke von 1000 Verträgen mit einem Vergütungsvolumen von über 300 Mio Euro erreicht. Zum 31. März 2006 bestehen laut Bundesministerium für Gesundheit bereits 2.214 Verträge mit einem Volumen von 513 Mio. Euro.Bundesministerium für Gesundheit: Integrierte Versorgung
[Bearbeiten] Vertragsgestaltung
Die meisten IV-Verträge nach § 140 a-d SGB V beziehen sich auf bestimmte Indikationsgebiete, es ist jedoch auch möglich, sog. populationsgestützte Verträge für ganze Bevölkerungsgruppen abzuschließen. Häufig wird die hausarztzentrierte Versorgung nach § 73b SGB V in IV-Verträge eingebettet. Diese sogenannte "hausarztbasierte Versorgung" zielt allerdings stärker auf die standespolitische bzw. finanzielle Stärkung der Hausärzte als auf eine echte Integration von Leistungserbringern. Teilweise wurden diese "Hausarztverträge" den Krankenkassen durch streikartige Aktionen aufgezwungen, um so die finanzielle Basis des Hausärzteverbandes zu stärken. Eine Verbesserung der Versorgungsqualität konnte damit bislang nicht nachgewiesen werden.
Indikationsspezifische IV-Verträge entsprechen dem klassischen Case Management, bei dem ein Krankheitsfall in einem definierten Zeitraum behandelt und standardisiert vergütet wird (bspw. Komplexpauschale). Da operative Indikationen wie z.B. Hüftendoprothesen bei Arthrose durch ihre hochgradige Normierung einen entsprechend übersichtlichen Leistungsumfang mit einem kalkulierbaren Risiko haben, gibt es für solche Indikationen besonders viele Vertragsbeispiele. Kritiker sprechen in diesem Zusammenhang gerne von "IV light" oder "altem Wein in neuen Schläuchen". Da es sich jedoch um komplett neue sektorenübergreifende Kooperationsstrukturen handelt, sind indikationsspezifische IV-Modelle nicht zuletzt als "Übungsfeld" der beteiligten Akteure zu verstehen. Man wird sich auf diesem Wege komplexeren Modelle, die komplexere Indikationen behandeln, annähern.
Populationsgestützte Versorgung bedeutet im Gegensatz zu der indikationsspezifischen Versorgungen, daß die Leistungserbringer über Kopfpauschalen (engl. Capitation) bzw. Gesundheitsprämien pro eingeschriebenem Versicherten vergütet werden, ggfs. beschränkt auf eine bestimmte Region. In Reinform, wie sie in den USA gelebt wird, sind solche Verträge bislang in Deutschland noch im Pilotstadium, doch Ärztenetze und bundeslandweite hausarztzentrierte Versorgungsmodelle (AOK Sachsen, Barmer Hausarztvertrag für bestimmte Gebiet der BRD) stellen erste Schritte in diese Richtung dar.
Der langfristige Trend geht von einfachen indikationsbezogenen hin zu komplexeren Verträgen, die mehrere Sektoren überspannen, schwierigere Indikationen beinhalten und ganze Versorgungslandschaften entwickeln. Nach dem im deutschen Gesundheitswesen oft vernachlässigten Grundsatz "Geld folgt Leistung" werden sich in der Zukunft außerdem in größerem Umfang erfolgsorientierte Vergütungsstrukturen etablieren, die mit Hilfe medizinischer Leitlinien eine Messung des Gesundungsfortschritts versprechen. Die Diskussion um eine leitlinienbasierte Medizin ist in der deutschen Gesellschaft nicht abgeschlossen.
Einige Leistungserbringer stellen die Inhalte der von ihnen geschlossenen Verträge im Internet zur freien Verfügung. Von den Versicherern werden hingegen Verträge mit Hinweis auf Wettbewerbsverbote oder fehlende Offenlegungspflicht üblicherweise nicht publiziert. Es existiert eine Datenbank bei der Registrierungsstelle, die durch die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung BQS betrieben wird. Auskunftsberechtigt sind lediglich die Krankenhäuser und Kassenärztlichen Vereinigungen, die vom Abzug der Anschubfinanzierung (bis max. 1% der Rechnungen) betroffen sind. Patienten können sich von ihrer Krankenkasse über Verträge, Vertragsinhalte und Vertragspartner informieren lassen.
[Bearbeiten] Verwandte Vertragsformen
Die Integrierte Versorgung kann als Teilkomponente eines modifizierten Managed Care Systems nach US-Vorbild angesehen werden. Dieses ist im Gegensatz zum deutschen Krankenversicherungsmodell Bismarck'scher Prägung primär betriebswirtschaftlich ausgelegt und dient eher der Gesunderhaltung (siehe Health Maintainance Organizations HMO) als der Versicherung bereits eingetretener Gesundheitsschäden.
Weitere Managed Care Komponenten, die mit der Gesundheitsreform 2000 in Deutschland auf den Weg gebracht wurden, sind Disease Management Programme (DMP) und Diagnosis Related Groups (DRG). Gemeinsam zielen diese Maßnahmen darauf ab, standardisierte Behandlung zu standardisierten Preisen anzubieten. Ziel ist die Schaffung von Transparenz durch bessere Vergleichbarkeit der erbrachten Leistungen.
[Bearbeiten] Vom Mengen- zum Qualitätsmodell
Die im folgenden beschriebenen drei Ansätze zur sog. indikationsgestützten IV zeigen beispielhaft, wie man über das inzwischen vielfach beschriebene Modell der Mengenskalierung gegen Preisrabatt hinausgehen und stattdessen geldwerte Qualitätsmomente in IV-Verträge einbringen kann.
1) Case Management: Sind bei der Behandlung chronischer Erkrankungen mehrere Ärzte beteiligt, so kann es zu Abstimmungsproblemen und nebenbei auch Anreizverzerrungen kommen. Traditionelle Lösungen wie standardisierte Behandlungspfade, Fallkonferenzen etc. stoßen bei langen und variablen Verläufen mit rekursiven Elementen an ihre Grenzen. Für solche Indikationen kann ein Case-Manager eingesetzt werden, der immobile Patienten regelmäßig ambulant besucht oder mobile Patienten in seine Sprechstunde einlädt. Er ist verantwortlich für den gesamten Prozess und überwacht die Maßnahmen aller beteiligten Therapeuten. Für Patienten wie auch für die am IV-Vertrag beteiligten Leistungserbringer kann das Case Management eine zentrale Rolle für die Versorgungsqualität und die Zusammenarbeit übernehmen. (siehe hierzu auch: zusammengefasste Evaluationsergebnisse IV-Modell "Endoprothetik Münster")
2) Modulare Komplexpauschalen: Bei komplexen langwierigen Behandlungen über ambulante und stationäre Sektoren hinweg (z.B. Krebserkrankungen) ist eine Modularisierung der Komplexpauschalen zur Vergütung sinnvoller als die Bepreisung heterogener Fälle mit Durchschnittswerten. Ziel ist es, durch geeignete Vergütungsmodule einen Anreiz zu kürzeren Krankenhausaufenthalten zu bieten. So kann man z.B. durch höherpreisige Aufnahme- und Entlassungsmodule mit entsprechenden Folgeangeboten für teilstationäre und ambulante Versorgung das häusliche Umfeld stärker einbeziehen und gleichzeitig den Patienten aktivieren.
3) Komplettpakete: Für inhomogene Indikationen, die aber im therapeutischen Prozess ähnlich sind, sind Komplettpakete sinnvoll. Sie könnten z.B. beim ambulanten Operieren gemäß EBM 2000plus die präoperative Standarddiagnostik, Nachversorgung, Komplikationsmanagement und eine zeitlich befristete Qualitätsgarantie enthalten.
Über diese drei indikationsorientierten Varianten hinaus gibt es noch die populationsgestützte Form der integrierten Versorgung. In dieser wird die komplette Versorgung oder eine Gruppe wesentlicher Versorgungsformen durch eine Leistungserbringergemeinschaft gegen eine morbiditätsadjustierte Kopfpauschale erbracht.
[Bearbeiten] Siehe auch
- Instrumente: Fallmanagement · Disease Management · Integrierte Versorgung · Hausarztmodell · Einkaufsmodell · Evidenzbasierte Medizin
- Organisationen: Health Maintenance Organization · Managementgesellschaft
- Rechtsgrundlage (nur GKV): GKV-Modernisierungsgesetz · Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV)
[Bearbeiten] Weblinks
Evaluationsergebnisse zur Integrierten Versorgung
Beratung zur integrierten Versorgung
- Integrierte Versorgung - Beratung zu Managed Care Modellen
- Integrierte Versorgung - Datenbank mit über 2000 Verträgen