Hydrothermale Karbonisierung
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Die hydrothermale Karbonisierung (etwa: „wässrige Verkohlung bei erhöhter Temperatur“) ist ein chemisches Verfahren zur einfachen und hocheffizienten Herstellung von Braunkohle, Synthesegas, flüssigen Erdöl-Vorstufen und Humus aus Biomasse unter Freisetzung von Energie. Der Prozess, der die in der Natur in 50.000 bis 50 Millionen Jahren ablaufende Braunkohle-Entstehung („Inkohlung“) innerhalb weniger Stunden technisch nachahmt, wurde von Markus Antonietti am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam entwickelt.
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[Bearbeiten] Motivation
Bei den bisher gebräuchlichen Verfahren zur Umwandlung von Biomasse in Brennstoffe ist die Kohlenstoff-Effizienz, d. h. der Anteil des zu Beginn in der Biomasse enthaltenen Kohlenstoffs, der später im verwertbaren Endprodukt enthalten ist, relativ gering: bei der alkoholischen Gärung beträgt die Kohlenstoffeffizienz 67 %, bei der anaeroben Umsetzung zu Biogas 50 % und bei der Holzkohleherstellung durch Holzverkohlung ca. 30 %; bei der Erzeugung von Humus durch Kompostierung liegt die Kohlenstoffeffizienz lediglich bei 5 bis 10 %. Der nicht verwertete Anteil entweicht als Kohlenstoffdioxid bzw. bei der herkömmlichen Kompostierung auch als Methan in die Atmosphäre; beide Gase gelten als klimaschädlich. Zusätzlich wird bei diesen Verfahren Wärme frei, die bisher nicht genutzt wird.
Das Problem bei der Herstellung von Biodiesel aus Ölpflanzen ist die Tatsache, dass nur die in den Früchten enthaltene Energie genutzt werden kann; könnte man dagegen die ganze Pflanze zur Kraftstofferzeugung verwenden, so ließe sich beim Anbau schnell wachsender Pflanzen wie Weidenholz, Schilfrohr oder Wald, die Energieausbeute bei gleicher Anbaufläche verzehnfachen. Die hydrothermale Karbonisierung ermöglicht es erstmals, nahezu den gesamten in der Biomasse enthaltenen Kohlenstoff zur Brennstoff- bzw. Humuserzeugung zu nutzen.
[Bearbeiten] Ablauf
In einem Druckgefäß wird Biomasse, insbesondere pflanzliches Material, (in der nachfolgenden Reaktionsgleichung vereinfachend als Zucker mit der Formel C6H12O6 umschrieben) zusammen mit Wasser und einer geringen Menge eines Katalysators unter Luftabschluss auf 180 °C erhitzt. Die ablaufende Reaktion ist exotherm, d. h. es wird Energie freigesetzt. Nach 12 Stunden sind die Edukte vollständig umgesetzt und es liegt ein wässriger Schlamm aus porösen Braunkohle-Kügelchen (C6H2O) mit Porengrößen zwischen 8 und 20 nm vor. Die Reaktionsgleichung für diesen Fall lautet:
Die Reaktion kann in mehreren Stadien bei unvollständiger Wasserabspaltung abgebrochen werden, wobei man unterschiedliche Zwischenprodukte erhält. Bei Abbruch nach wenigen Minuten entstehen so genannte flüssige Intermediate, Vorstufen von Erdöl, deren Handhabung wegen ihrer hohen Reaktivität allerdings sehr schwierig ist. Im Anschluss daran bildet sich Humus, der nach ca. 8 Stunden als Zwischenprodukt vorliegt.
[Bearbeiten] Anwendungsmöglichkeiten
Der entstandene Kohleschlamm ließe sich zur Verbrennung bzw. zum Betrieb neuartiger Brennstoffzellentypen mit einem Wirkungsgrad von 60 % verwenden, wie sie derzeit an der Harvard-Universität erforscht werden. Zur Erzeugung von Kraftstoffen müsste das Kohlenstoff-Wasser-Gemisch zunächst stärker erhitzt werden, so dass so genanntes Synthesegas, ein Gasgemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff, entsteht:
Aus diesem Synthesegas ließe sich über das Fischer-Tropsch-Verfahren Benzin herstellen. Alternativ könnten die flüssigen Intermediate, die bei der unvollständigen Umsetzung der Biomasse entstehen, zur Kraftstoff- sowie zur Kunststoff-Herstellung genutzt werden.
Der künstlich erzeugte Humus könnte zur Wiederbegrünung erodierter Flächen genutzt werden. Durch das auf diese Weise verstärkte Pflanzenwachstum könnte zusätzliches Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre gebunden werden, so dass im Endeffekt eine Kohlenstoffeffizienz größer als 1 bzw. eine negative CO2-Bilanz erreichbar wäre.
[Bearbeiten] Siehe auch
[Bearbeiten] Literatur
- Cui, XJ.; Antonietti, M.; Yu, SH: Structural effects of iron oxide nanoparticles and iron ions on the hydrothermal carbonization of starch and rice carbohydrates; Small, 2 (6): 756-759 Jun 2006
- Yu, SH.; Cui, XJ.; Li, LL.; Li, K.; Yu, B.; Antonietti, M.; Colfen, H.: From starch to metal/carbon hybrid nanostructures: Hydrothermal metal-catalyzed carbonization; Advanced Materials, 16 (18): 1636 Sep 16 2004
[Bearbeiten] Weblinks
- Zauberkohle aus dem Dampfkochtopf (MaxPlanckForschung 02/2006); 1.985 kB
- Pressemitteilung der Max-Planck-Gesellschaft zur hydrothermalen Karbonisierung mit Verweisen auf die Originalveröffentlichung und einen populärwissenschaftlich gestalteten Film zum Thema.
- Energie: Kohle aus dem Kochtopf (Spiegel online, kostenpflichtig)
- Einfach genial - Rezept für Kohle (Deutsche Welle)
- Kohle aus dem "Dampfkochtopf" (geoscience online)
- Kraftstoff aus Orangen (sueddeutsche.de)