Canon de 75 mle 1897
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Die Canon de 75 modèle 1897 war ein leichtes französisches Feldgeschütz, das vor allem im Ersten Weltkrieg eingesetzt wurde und das durch die Kombination verschiedener neuer Funktionen die Artillerie revolutionierte. Üblicherweise wurde das modèle im Namen zu mle verkürzt. Daneben existierten noch zahlreiche andere inoffizielle Bezeichnungen wie etwa einfach die französische 75er.
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[Bearbeiten] Die Geschütztechnik am Ende des 19. Jahrhunderts
Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war die Feuergeschwindigkeit von Geschützen durch verschiedene Faktoren begrenzt:
- Das Laden war umständlich und zeitaufwendig, da Kanonenkugel und Treibladung relativ schwer waren und getrennt voneinander in das Geschütz eingeführt werden mussten.
- Wegen des Rückstoßes musste das Geschütz nach jedem Schuss neu auf das Ziel ausgerichtet werden.
- Wegen der starken Rauchentwicklung des verbrennenden Schwarzpulvers war die Sicht auf den Gegner nach jedem Schuss eine Zeit lang behindert.
In den 1880er Jahren wurde das Schwarzpulver nach und nach durch ein neues rauchschwaches Pulver auf Nitrozellulosebasis abgelöst. Dieses hatte außerdem einen höheren Energieinhalt als Schwarzpulver. Zusammen mit der Verwendung neuer Brisanzsprengstoffe als Füllung für die Granaten, beispielsweise der Pikrinsäure, ergab dies eine erhebliche Leistungssteigerung. Neben der Verringerung des Munitionsgewichts konnte damit die Mündungsgeschwindigkeit erhöht werden. Dies war vor allem für die Bekämpfung von Infanterie günstig, da hierdurch eine flachere Schussbahn ermöglicht wurde und die Schrapnellkugeln eine größere Fläche bestreichen konnten.
Im Jahre 1896 führte das deutsche Heer eine neue Feldkanone vom Kaliber 77 mm ein, um diesen Vorteilen Rechnung zu tragen. Allerdings waren bei dieser Waffe Geschoss und Treibladung noch getrennt, auch wenn die Kartuschhülse nach dem Schuss immerhin schon automatisch ausgeworfen wurde. Vor allem aber hatte das Geschütz immer noch eine starre Lafette, obwohl der deutsche Ingenieur Konrad Haussner bereits im Jahre 1891 ein Patent auf eine hydropneumatische Brems- und Vorholvorrichtung erhalten und diese 1893/94 auch schon an einem Versuchsgeschütz getestet hatte (ähnliche Vorrichtungen waren schon wenige Jahre zuvor in Frankreich eingesetzt worden, allerdings noch in unvollkommener Form).
[Bearbeiten] Die Funktionsweise einer hydropneumatischen Brems- und Vorholvorrichtung
Hauptartikel: Rohrrücklauf
Die hydropneumatische Brems- und Vorholvorrichtung ist eine Erfindung, mit deren Hilfe der Rückstoß eines Geschützes aufgefangen werden kann, so dass es anschließend nicht neu auf das Ziel ausgerichtet werden muss. Dabei ist das Geschützrohr nicht mehr starr mit der Lafette verbunden. Beim Schuss bleibt die Lafette vielmehr stehen, und nur das Rohr läuft in der Rohrwiege zurück. Ein Teil der Rückstoßenergie wird in einem Pneumatikzylinder gespeichert, der das Rohr anschließend wieder in die Ausgangslage zurück schiebt; außerdem bremst eine hydraulische Vorrichtung das Rohr relativ sanft ab, so dass der Rückstoß abgefedert wird und die Lafette nicht mehr zurückspringt. Dieser Effekt ist um so größer, je länger der Rohrrücklauf ist, je allmählicher das Rohr also abgebremst werden kann.
Statt des Pneumatikzylinders kann auch eine große Feder verwendet werden; in diesem Falle spricht man von einer hydromechanischen Brems- und Vorholvorrichtung.
Ein weiterer Vorteil der still stehenden Lafette ist, dass das Geschütz mit einem Schutzschild und mit Sitzen für die Bedienmannschaft ausgerüstet werden kann.
[Bearbeiten] Die Entwicklung der Canon de 75 mle 1897
Bereits 1891 wurde im Arsenal von Bourges eine experimentelle 57 mm - Kanone getestet, die die neuesten technischen Merkmale in sich vereinte. Allerdings erfüllte die verwendete Brems- und Vorholvorrichtung noch nicht alle Erwartungen.
Aus diesem Prototypen entwickelten die Heerswerkstätten in Puteaux unter der Leitung von Oberstleutnant Deport ab 1892 eine 75 mm - Kanone, wobei der Schwerpunkt der Arbeit bei der Verbesserung des Rohrrücklaufs lag. Dabei wurden Merkmale der früheren französischen Entwicklungen sowie des Systems von Haussner kombiniert. Neben der neuen Brems- und Vorholvorrichtung besaß die Canon de 75 mle 1897 noch mehrere andere Besonderheiten, die es zwar teilweise schon vorher gab, die aber erstmals in einem serienreifen Geschütz kombiniert wurden:
- Verwendung von einteiliger Patronenmunition, d.h. die Granate war wie bei einer Gewehrpatrone fest mit der Kartuschhülse aus Messing verbunden; somit konnten beide zusammen in den Lauf geschoben werden;
- Verbesserungen an der Visiereinrichtung;
- Verwendung eines Schnellfeuerverschlusses, d.h. im Gegensatz zu früheren Hinterladern konnte der Verschluss mit einem Handgriff geöffnet und wieder geschlossen werden;
- Einbau eines Wiederspannabzuges, der in der Ruhelage entspannt ist und erst beim Abziehen automatisch gespannt wird (Vermeidung des unbeabsichtigten Abfeuerns);
- Eine Lafette mit einem Sporn, der ähnlich einer Pflugschar geformt war. Beim ersten Schuss grub sich dieser in den Boden ein und stabilisierte das Geschütz bei allen weiteren Schüssen zusätzlich (davon zu unterscheiden ist das Eingraben des gesamten Lafettenschwanzes zur Erhöhung der Rohrerhöhung und damit der Reichweite des Geschützes).
Die Canon de 75 mle 1897 war damit die erste echte Schnellfeuerkanone der Welt.
Alle diese Merkmale wurden in der Folge auch von anderen Staaten für ihre Geschütze eingeführt, wenn auch die konstruktive Umsetzung teilweise etwas anders war. Vor allem die besondere Ausführung des Verschlusses der französischen 75 mm - Kanone blieb sehr charakteristisch für diese Waffe. Er wurde von der in Frankreich ansässigen Firma des schwedischen Konstrukteurs Thorsten Nordenfelt entwickelt. Das Bodenstück war dabei zylindrisch mit einer Aussparung an einer Seite. Da sich die Drehachse unterhalb der Achse des Geschützrohres befand, gab die Aussparung in der Ladestellung das hintere Ende des Rohres frei; durch eine 180° - Drehung per Handkurbel nach Einschieben der Patrone wurde das Rohr verschlossen, und das Geschütz war feuerbereit.
Zusätzlich gab es für jede Kanone einen eigenen gepanzerten Munitionswagen. Dieser wurde mit geöffneten Flügeltüren neben der Kanone aufgestellt und beinhaltete neben 72 Schuss Munition auch eine Zünderstellmaschine. Mit deren Hilfe konnte die Brenndauer der Schrapnellzünder schnell und unkompliziert eingestellt werden (da Schrapnelle über dem Erdboden explodieren, können keine Aufschlagzünder verwendet werden).
All dies führte dazu, dass die Canon de 75 mle 1897 etwa 15-20 Schuss pro Minute abgeben konnte, während die deutsche 77 mm - Feldkanone 96 gerade einmal die halbe Anzahl schaffte.
Durch das Erscheinen der französischen 75er waren die Feldgeschütze aller anderen Länder praktisch über Nacht veraltet. Die soeben erst eingeführte deutsche Feldkanone musste schon wieder modernisiert werden. Sie erhielt ebenfalls eine Brems- und Vorholvorrichtung sowie einen Schnellfeuerverschluss mit Wiederspannabzug und wurde fortan als Feldkanone 96 n/A ("neuer Art") bezeichnet.
[Bearbeiten] Die verwendete Munition
Ursprünglich existierten für die Canon de 75 mle 1897 zwei Arten von Geschossen:
- Sprenggranaten mit einer Masse von 5,5 kg, davon 825 g Sprengstoff;
- Schrapnellgranaten von 7,2 kg Masse, die mit 290 Bleikugeln gefüllt waren.
Im Laufe des Krieges kamen weitere Geschossvarianten hinzu:
- Wegen Materialmangels Sprenggranaten aus Gusseisen, die eine größere Wandstärke benötigten und eine Masse von bis zu 7,2 kg besaßen;
- Die Obus D Sprenggranate aus Stahleisen für größere Reichweiten. Sie hatte ebenfalls eine Masse von 7,2 kg, wovon 285 g auf den Sprengstoff entfielen.
Dagegen besaß die französische Armee keine Einheitsgeschosse wie die deutsche oder österreichische Feldartillerie.
Bereits Ende 1914 zwang der Munitionsmangel die französische Armee zur Verwendung von Aushilfsgeschossen. Diese wurden zumeist von zivilen Firmen aus Gusseisen-Vollmaterial gebohrt und gedreht und besaßen zum teil ein aufgeschraubtes Kopfstück. Dies führte 1914/15 zu massiven Qualitätsproblemen und einer statistischen Rate von einem Rohrkrepierer auf 3000 Schuss. Erst im Laufe der Zeit bekam man diese Probleme wieder einigermaßen in den Griff.
[Bearbeiten] Technische Daten
Kenngröße | Daten |
---|---|
Kaliber | 75 mm |
Kaliberlänge | L/36 |
Rohrlänge | 2,70 m |
Gefechtsmasse | 1160 kg |
Rohrneigung | -11° bis +18° |
Seitenrichtbereich | 5° 40" |
Mündungsgeschwindigkeit | 529 m/s (Schrapnell) |
584 m/s (Sprengranate) | |
525 m/s (Obus D) | |
Schussweite | 9800 m (schwere Granate, Lafettenschwanz eingegraben) |
11.000 m (Obus D, Lafettenschwanz eingegraben) | |
6800 m (Standardgranate, Lafettenschwanz nicht eingegraben) | |
Bespannung | je 6 Pferde für Geschütz und Munitionswagen |
[Bearbeiten] Einsatz im Ersten Weltkrieg und danach
Mitte 1914 besaß die französische Armee knapp 4000 Exemplare der Canon de 75 mle 1897. Auch zahlreiche andere Staaten verwendeten die Kanonen im und nach dem Ersten Weltkrieg, darunter Polen, Griechenland, Portugal, Irland und mehrere baltische Staaten.
Insgesamt wurden in Frankreich über 17.000 Stück gebaut; dazu wurden 200 Millionen Schuss Munition produziert. Auch die US Army verwendete ab 1917 diesen Geschütztyp; etwa 1000 Exemplare wurden in den USA in Lizenz hergestellt. Eine der amerikanischen Geschützbatterien wurde von Captain Harry S. Truman kommandiert, der später Präsident der Vereinigten Staaten wurde.
Einige wenige Exemplare wurden als Hauptwaffe in spätere Modelle des schweren französischen Panzers St. Chamond eingebaut.
Etwa 4500 Stück der Canon de 75 mle 1897 wurde von der französischen Armee noch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs verwendet, wenn sie auch inzwischen statt der Speichenräder meist Gummireifen besaß, in einigen Fällen auch eine Spreizlafette. Die Deutsche Wehrmacht erbeutete während der Eroberung Frankreichs zahlreiche Exemplare und verwendete sie unter den Bezeichnungen 7,5-cm FK 231(f) bzw. 7,5-cm FK 97(f) selbst (das f stand für französisch). Über 100 Exemplare ließ sie zu Panzerabwehrkanonen mit Spreizlafette (von der PaK 38) und Mündungsbremse umbauen, die dann unter der Bezeichnung Pak 97/38 vor allem an der Ostfront gegen die russischen Panzer vom Typ T-34 eingesetzt wurden.
Auch die US Army verwendete diesen Geschütztyp vereinzelt noch im Zweiten Weltkrieg (teilweise auf Halbkettenfahrzeugen montiert), und zwar sowohl im Pazifik als auch in Nordafrika. Einige wurden sogar in zweimotorige Bomber des Typs North American B-25 eingebaut, um japanische Schiffe zu bekämpfen.
[Bearbeiten] Literatur
- Hans Linnenkohl: Vom Einzelschuss zur Feuerwalze, Bernard & Graefe Verlag Bonn 1996, ISBN 3-7637-5966-2
- Chris Bishop: Waffen des Zweiten Weltkriegs, Bechtermünz Verlag, ISBN 3-8289-5385-9
[Bearbeiten] Wikilink
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